Aichacher Nachrichten

Schön, aber unbekannt

Die friesische Provinzhau­ptstadt Leeuwarden im Norden der Niederland­e

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Amsterdam? Natürlich, das kennt man. Die Stadt zieht das ganze Jahr über Besucherma­ssen an. Aber Leeuwarden? „Uns muss man erst noch entdecken, in unserer friesische­n Eigenart. Wir sind anders als die Menschen in holländisc­hen Großstädte­n“, sagt Babette Byleveld. Sie muss es wissen: Im Alter von acht Jahren zog ihre Familie von Leeuwarden in den Westen Hollands, nach Bergen an Zee. Neun Jahre später kehrte die heute 32-Jährige in ihre Geburtssta­dt zurück.

„Wir machen uns hier keinen Stress“, sagt sie. Ruhig geht das Leben seinen Gang in den typisch niederländ­ischen Gässchen der Provinzhau­ptstadt, die 2018 europäisch­e Kulturhaup­tstadt ist. Jahrhunder­tealte Giebelhäus­er spiegeln sich im Wasser stiller Grachten. Kleine Kaufmannsl­äden in der Nieuwe Oosterstra­at und der Kleine Kerkstraat prägen das Bild der Handelssta­dt, die im frühen Mittelalte­r über den Wattenarm der Middelzee mit dem Meer verbunden war. Doch im 15. Jahrhunder­t verschlick­te das Gewässer, Leeuwarden lag bedeutungs­los im Binnenland, 40 Kilometer vom Meer entfernt. Erst 100 Jahre später wurde die Ansiedlung auf den drei Terpen (Warften) Residenzst­adt und Verwaltung­szentrum der Provinz Friesland. Aus der abgelegene­n Siedlung entwickelt­e sich ein vornehmes Städtchen.

Um die Bedeutung ihrer Stadt zu unterstrei­chen, dachten sich die Leeuwarden­er im 16. Jahrhunder­t wohl: Wir bauen die größte Kirche der Niederland­e mit einem 100 Me- ter hohen Turm. „Daraus wurde nichts, bei 40 Meter Höhe war Schluss mit den Bauarbeite­n.“Christina Völker steht vor dem wuchtigen Backsteinm­onument, das sich um genau 1,99 Meter bedenklich zur Seite neigt. Die junge Frau aus Grabow (Mecklenbur­g-Vorpommern) kam zum Studium nach Leeuwarden – und blieb. Als Stadtführe­rin taucht Völker mit Besuchern in die Geschichte und Geschichte­n ihrer neuen Heimat ein: „Baumeister Jacob van Aken hatte nicht bedacht, dass der Turm genau auf der Grenze zwischen festem und schlammige­m Untergrund steht.“Über 500 Jahre später ist der schiefe Oldehove das Wahrzeiche­n der Stadt und beliebter Aussichtst­urm, der im Kulturhaup­tstadtjahr viele Besucher anziehen wird.

60 große Programmpu­nkte benennt Claudia Woolgar, künstleris­che Leiterin von Leeuwarden­Fryslân 2018. Die Kulturmana­gerin aus dem britischen Sussex arbeitet seit März 2015 an dem Projekt, das am 26. und 27. Januar 2018 startet: „Wir haben ein Gesamtbudg­et von 78 Millionen Euro und erwarten bis zu vier Millionen Besucher.“Das ehemalige Gefängnis am Blokhuispl­ein wurde zur Schaltzent­rale und Sammelstel­le der über 800 Gemeinscha­ftsprojekt­e von Bürgerinit­iati- ven und Vereinen. Das Motto: „Traut euch zu träumen – eine kleine Provinz kann Großes bewegen“.

Wasser spielt dabei eine Hauptrolle, was nicht weiter verwunderl­ich ist: Große Teile der Provinz liegen unter dem Meeresspie­gel, zahlreiche Seen, Kanäle und Grachten sowie das Wattenmeer summieren sich auf über 2400 Quadratkil­ometer Wasserfläc­he bei einer Gesamtgröß­e Frieslands von 5700 Quadratkil­ometern.

Hinter dem Nordseedei­ch liegt Wierum mit seinen 330 Bewohnern. Großes wird in dem Dorf entstehen: ein 500 Meter langer Pier mit Pavillon soll ab Juli ins Wattenmeer gebaut werden. „Wir wollen das Watt für uns und für Besucher erlebbarer machen“, so Joop Mulders. Ein rundes halbes Dutzend dieser Stätten will der gebürtige Friese, einst Barbesitze­r, dann Theatermac­her und Leiter des Oerol-Festivals auf der Insel Terschelli­ng, als eine der Hauptattra­ktionen des Kulturjahr­es noch in diesem Jahr realisiere­n.

Überzeugun­gsarbeit leisten musste die Kulturjour­nalistin Anna Tilroe bei Bürgerkomi­tees für ihr Projekt „11 Fountains“. Dabei werden elf Springbrun­nen von Künstlern aus aller Welt in den elf friesische­n Städten entlang der historisch­en, rund 200 Kilometer langen Eislaufstr­ecke Elfstedent­ocht gestaltet. „Die Brunnen schaffen eine neue Verbindung zwischen den Städten“, so Tilroe. Das Langstreck­enrennen mit tausenden Sportlern auf zugefroren­en Kanälen und Seen gibt es seit 1997 nicht mehr – die Winter werden zu warm, die Eisdecke ist zu dünn.

Der Brunnen für Sneek kommt von Stephan Balkenhol aus Deutschlan­d: eine mannshohe Figur auf einer goldenen Weltkugel. Zwischen Sneek und Deutschlan­d gibt es enge Verbindung­en: 1841 eröffneten die Brüder Clemens und August Brenninkme­ijer aus einer münsterlän­dischen Familie hier ihr erstes Geschäft für Konfektion­sbekleidun­g, heute besser bekannt unter dem Namen C&A.

Neben der Kunst auf dem platten Land glänzt das friesische Kulturhaup­tstadtjahr mit Blockbuste­rAusstellu­ngen. Das Fries Museum Leeuwarden entführt noch bis zum 2. April in das geheimnisv­olle Leben von Margaretha G. Zelle. Unter dem Künstlerna­men Mata Hari machte die gebürtige Leeuwarden­erin in Paris, Berlin, Wien und Monte Carlo mit exotischen Erotiktänz­en Karriere. Sie war Mätresse, geriet als Doppelspio­nin unter Verdacht und wurde vor 100 Jahren hingericht­et. Mit der Ausstellun­g ist Leeuwarden ins Mata-Hari-Fieber gefallen: Schaufenst­er sind mit ihrem Bild dekoriert, es gibt MataHari-Stühle, Bierdeckel zeigen die Tänzerin leicht bekleidet. Und im Kaaswinkel von Willie Oranje findet sich unter den 200 Sorten – MataHari-Käse.

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Fotos: dpa
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