Über Pinkelbusse, alte Zeiten und große Rivalen
Jens Weißflog war einer der Erfolgreichsten seiner Zunft. Inzwischen betreibt er ein Hotel. Seinem Sport ist er trotzdem verbunden geblieben – als TV-Experte und als Geschichtenerzähler an der Rezeption
Herr Weißflog, wann gewinnt denn ein deutscher Springer wieder die Vierschanzentournee?
Jens Weißflog: Hoffentlich schnell – damit endlich das Gerede aufhört. Die Deutschen haben in den vergangenen Jahren fast alles gewonnen, aber wenn die Tournee nicht dabei ist, sagen viele: Das war doch wieder nichts. Die Tournee bleibt sehr stark im Gedächtnis. Vielleicht ist das ein Grund, warum wir Ehemaligen überhaupt noch bekannt sind.
Wie hoch ist denn der Prozentsatz jener Gäste, die zu Ihnen ins Hotel kommen, um den Ex-Skispringer Jens Weißflog persönlich kennenzulernen? Weißflog: Bei denen, die neu sind, ist dieser Aspekt auf alle Fälle mit dabei. Trotzdem glaube ich, dass die Entscheidung, eine Übernachtung zu buchen, über viele andere Aspekte zustande kommt. Es ist uns auch lieber, sie buchen nicht ausschließlich wegen mir.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, Sie vor Ort auch anzutreffen? Weißflog: Neunzig Prozent. Wenn ich in Oberwiesenthal bin, dann bin ich täglich im Hotel. Selbst wenn ich frei habe, gibt es Zwänge.
Was sind das für Zwänge?
Weißflog: Die 80-jährige Frau, die sich zum Geburtstag wünscht, dass ich ihr gratuliere. Wir versuchen, fast alles möglich zu machen. Es kommen auch Pinkelbusse zu uns.
Was bitte ist ein Pinkelbus? Weißflog: Das sind Busgesellschaften, die laufen durchs Hotel, konsumieren nichts, aber die älteren Herrschaften gehen bei uns auf die Toilette. Und die Reiseleiter werden zu Helden, wenn sie sagen: Wir fahren mal bei Jens Weißflog vorbei. Plötzlich steht die Rezeption voller Leute und ich könnte nur unbemerkt entkommen, wenn ich aus dem Fenster springen würde. Also sage ich Hallo und wenn sie schon mal da sind, bekommen auch alle ein Autogramm.
Zwingen einen die Menschen, mehr in der Vergangenheit zu leben als Sie das eigentlich möchten? Weißflog: Nein, beruflich bin ich immer mit der Zukunft beschäftigt, daher hält sich das schön die Waage. Ich reflektiere mit Gästen oder bei Veranstaltungen stark die Vergangenheit, die schon lange her ist.
Wie intensiv verfolgen Sie die Skisprung-Szene denn noch?
Weißflog: Was die erste Reihe angeht, noch alles. Direkte Kontakte in die Mannschaft habe ich nicht – es sei denn, ich darf TV-Experte sein. Dann besuche ich das Team, und zum Glück kennen mich noch alle.
Zu wem aus der alten Truppe haben Sie denn noch Kontakt?
Weißflog: Zu Gerd Siegmund und Dieter Thoma. Wir treffen uns noch beim ein oder anderen Golfturnier, ansonsten eher zufällig. Großen Zusammenhalt gibt es noch bei der Generation um Bernd Eckstein, Jochen Danneberg, Falko Weißpflog.
Stimmt es, dass Sie Matti Nykänen, mit dem Sie die 1980er Jahre geprägt haben, wieder getroffen haben? Weißflog: Richtig. Es war eine Aktion einer Firma, die Blockhäuser in Finnland produziert und deren Markenbotschafter ich bin. Der Chef interessiert sich sehr für Sport. Durch die Beziehung zu Finnland hatte er die Idee, mit Matti und mir zwei der erfolgreichsten Skispringer nach x Jahren zusammenzubringen.
Und wie war das Treffen?
Weißflog: Es war bis zum Schluss vage, ob Matti auch kommt, aber der Exportchef der Firma hat ihn eigens in Helsinki abgeholt. Jeder hat sich gefreut, aber es war schnell das alte Problem wieder da: Matti spricht nach wie vor kaum Englisch, also war die Kommunikation schwierig. Der Exportchef hat gedolmetscht, doch Matti war von der Werksbesichtigung schnell genervt. Wie ist es zu erklären, dass Sie nach so vielen Jahren noch immer eine solch enorme Anziehungskraft haben? Weißflog: Es hat sicher auch mit der Zeit zu tun, in der die Medien in der Masse noch nicht so stark waren. Beim Kaffeeklatsch erzähle ich oft über meine erste Pressekonferenz. Das war 1983 in Garmisch-Partenkirchen beim Neujahrsspringen. Da saßen die drei Erstplatzierten und fünf Journalisten an einem Tisch. Heute ist allein in Oberstdorf der Kursaal mit Journalisten voll.
Wären Sie heute gerne Skispringer? Weißflog: Ich glaube schon. In erster Linie ist es die Sportart, die Spaß macht. In alles drumherum wächst man rein. Heute ist nur die Gefahr, dass die Athleten mit dem Rummel nicht klarkommen.
In der heutigen Zeit würden Sie aber mehr verdienen und hätten keine Schulden mehr auf Ihrem Hotel? Weißflog: Wahrscheinlich schon, aber es macht auch mit Schulden Spaß. Wenn man sich darüber einen Kopf macht, würde es sowieso nicht laufen. Das ist wie mit dem Druck beim Skispringen: Entweder man kommt damit klar oder nicht. Wenn ich beides miteinander vergleiche, war der Sport früher Pillepalle. Ich beschäftige 24 Mitarbeiter, das ist eine andere Größenordnung.