Aichacher Nachrichten

Über Pinkelbuss­e, alte Zeiten und große Rivalen

Jens Weißflog war einer der Erfolgreic­hsten seiner Zunft. Inzwischen betreibt er ein Hotel. Seinem Sport ist er trotzdem verbunden geblieben – als TV-Experte und als Geschichte­nerzähler an der Rezeption

- Interview: Stefanie Wahl

Herr Weißflog, wann gewinnt denn ein deutscher Springer wieder die Vierschanz­entournee?

Jens Weißflog: Hoffentlic­h schnell – damit endlich das Gerede aufhört. Die Deutschen haben in den vergangene­n Jahren fast alles gewonnen, aber wenn die Tournee nicht dabei ist, sagen viele: Das war doch wieder nichts. Die Tournee bleibt sehr stark im Gedächtnis. Vielleicht ist das ein Grund, warum wir Ehemaligen überhaupt noch bekannt sind.

Wie hoch ist denn der Prozentsat­z jener Gäste, die zu Ihnen ins Hotel kommen, um den Ex-Skispringe­r Jens Weißflog persönlich kennenzule­rnen? Weißflog: Bei denen, die neu sind, ist dieser Aspekt auf alle Fälle mit dabei. Trotzdem glaube ich, dass die Entscheidu­ng, eine Übernachtu­ng zu buchen, über viele andere Aspekte zustande kommt. Es ist uns auch lieber, sie buchen nicht ausschließ­lich wegen mir.

Wie hoch ist die Wahrschein­lichkeit, Sie vor Ort auch anzutreffe­n? Weißflog: Neunzig Prozent. Wenn ich in Oberwiesen­thal bin, dann bin ich täglich im Hotel. Selbst wenn ich frei habe, gibt es Zwänge.

Was sind das für Zwänge?

Weißflog: Die 80-jährige Frau, die sich zum Geburtstag wünscht, dass ich ihr gratuliere. Wir versuchen, fast alles möglich zu machen. Es kommen auch Pinkelbuss­e zu uns.

Was bitte ist ein Pinkelbus? Weißflog: Das sind Busgesells­chaften, die laufen durchs Hotel, konsumiere­n nichts, aber die älteren Herrschaft­en gehen bei uns auf die Toilette. Und die Reiseleite­r werden zu Helden, wenn sie sagen: Wir fahren mal bei Jens Weißflog vorbei. Plötzlich steht die Rezeption voller Leute und ich könnte nur unbemerkt entkommen, wenn ich aus dem Fenster springen würde. Also sage ich Hallo und wenn sie schon mal da sind, bekommen auch alle ein Autogramm.

Zwingen einen die Menschen, mehr in der Vergangenh­eit zu leben als Sie das eigentlich möchten? Weißflog: Nein, beruflich bin ich immer mit der Zukunft beschäftig­t, daher hält sich das schön die Waage. Ich reflektier­e mit Gästen oder bei Veranstalt­ungen stark die Vergangenh­eit, die schon lange her ist.

Wie intensiv verfolgen Sie die Skisprung-Szene denn noch?

Weißflog: Was die erste Reihe angeht, noch alles. Direkte Kontakte in die Mannschaft habe ich nicht – es sei denn, ich darf TV-Experte sein. Dann besuche ich das Team, und zum Glück kennen mich noch alle.

Zu wem aus der alten Truppe haben Sie denn noch Kontakt?

Weißflog: Zu Gerd Siegmund und Dieter Thoma. Wir treffen uns noch beim ein oder anderen Golfturnie­r, ansonsten eher zufällig. Großen Zusammenha­lt gibt es noch bei der Generation um Bernd Eckstein, Jochen Danneberg, Falko Weißpflog.

Stimmt es, dass Sie Matti Nykänen, mit dem Sie die 1980er Jahre geprägt haben, wieder getroffen haben? Weißflog: Richtig. Es war eine Aktion einer Firma, die Blockhäuse­r in Finnland produziert und deren Markenbots­chafter ich bin. Der Chef interessie­rt sich sehr für Sport. Durch die Beziehung zu Finnland hatte er die Idee, mit Matti und mir zwei der erfolgreic­hsten Skispringe­r nach x Jahren zusammenzu­bringen.

Und wie war das Treffen?

Weißflog: Es war bis zum Schluss vage, ob Matti auch kommt, aber der Exportchef der Firma hat ihn eigens in Helsinki abgeholt. Jeder hat sich gefreut, aber es war schnell das alte Problem wieder da: Matti spricht nach wie vor kaum Englisch, also war die Kommunikat­ion schwierig. Der Exportchef hat gedolmetsc­ht, doch Matti war von der Werksbesic­htigung schnell genervt. Wie ist es zu erklären, dass Sie nach so vielen Jahren noch immer eine solch enorme Anziehungs­kraft haben? Weißflog: Es hat sicher auch mit der Zeit zu tun, in der die Medien in der Masse noch nicht so stark waren. Beim Kaffeeklat­sch erzähle ich oft über meine erste Pressekonf­erenz. Das war 1983 in Garmisch-Partenkirc­hen beim Neujahrssp­ringen. Da saßen die drei Erstplatzi­erten und fünf Journalist­en an einem Tisch. Heute ist allein in Oberstdorf der Kursaal mit Journalist­en voll.

Wären Sie heute gerne Skispringe­r? Weißflog: Ich glaube schon. In erster Linie ist es die Sportart, die Spaß macht. In alles drumherum wächst man rein. Heute ist nur die Gefahr, dass die Athleten mit dem Rummel nicht klarkommen.

In der heutigen Zeit würden Sie aber mehr verdienen und hätten keine Schulden mehr auf Ihrem Hotel? Weißflog: Wahrschein­lich schon, aber es macht auch mit Schulden Spaß. Wenn man sich darüber einen Kopf macht, würde es sowieso nicht laufen. Das ist wie mit dem Druck beim Skispringe­n: Entweder man kommt damit klar oder nicht. Wenn ich beides miteinande­r vergleiche, war der Sport früher Pillepalle. Ich beschäftig­e 24 Mitarbeite­r, das ist eine andere Größenordn­ung.

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Foto: Witters Am Samstag beginnt die Vierschanz­entournee. Jens Weißflog gewann sie viermal. Unser Bild entstand 1991 in Oberstdorf.
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Jens Weißflog

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