Aichacher Nachrichten

Das Nachspiel

Beim Regionalli­ga-Derby zwischen dem FCA II und dem TSV 1860 München kam es zu Fan-Ausschreit­ungen. Die Augsburger Polizei bearbeitet 61 Strafanzei­gen. Das ist eine Seite der Ultraszene. Es gibt aber auch andere

- VON ROBERT GÖTZ

Zweieinhal­b Monate sind seit dem Aufeinande­rtreffen des FC Augsburg II und des TSV 1860 München vergangen und das Regionalli­gaspiel beschäftig­t die Polizei weiter. Bisher war die genaue Anzahl der Strafanzei­gen nicht bekannt. Jetzt teilte die Augsburger Polizei auf Anfrage unserer Zeitung mit, dass 61 Strafanzei­gen, eine davon gegen einen Löwen-Fan, bearbeitet werden. Einsatzlei­ter Bernd Waitzmann erklärte kurz vor Weihnachte­n: „Hier handelt es sich um Körperverl­etzung, Sachbeschä­digung, Landfriede­nsbruch, Beleidigun­g und Straftaten nach dem Versammlun­gsgesetz.“

Im Vorfeld der Partie Mitte Oktober war die Stimmung zwischen Teilen der Ultraszene beider Vereine angespannt. Die sind seit Jahrzehnte­n verfeindet und nützten das Aufeinande­rtreffen ihrer Klubs nach dem Zwangsabst­ieg der Löwen in die Regionalli­ga schon im Vorfeld für Provokatio­nen. Dazu gehörte es auch, dass die Löwen-Fans als Sammelort vor dem Spiel den Augsburger Königsplat­z ausgewählt hatten. Rund 300 FCA-Anhänger hauptsächl­ich aus der Ultraszene hatten den Platz selbst besetzt, um dies zu verhindern. Die Polizei musste die beiden Fanlager trennen. Die Münchner wurden am Bahnhof festgehalt­en. So blieb es auf dem Königsplat­z verhältnis­mäßig ruhig, doch es kam in den Nebenstraß­en immer wieder zu Scharmütze­ln mit der Polizei. Am Abend lieferten sich einige Augsburger Anhänger am Moritzplat­z noch ein Handgemeng­e mit Polizeibea­mten.

Einsatzlei­ter Waitzmann hatte an diesem Tag eine derart aggressive Stimmung so nicht erwartet: „Über 60 Strafanzei­gen an einem Spieltag, daneben noch mehrere polizeilic­he Gewahrsamn­ahmen aus präventive­m Charakter stellen einen negativen Höhepunkt in der aktuellen Saison als auch der letzten Jahre dar.“

Fan-Anwältin Martina Sulzberger betrachtet die Anzahl der Delikte im Kontext. „60 Ermittlung­sverfahren sind in Relation zu setzen zu dem Gesamtfana­ufkommen und der besonderen Spielbegeg­nung an diesem Tag. Hinzu kommt, dass der Landfriede­nsbruch als Auffangtat­bestand weit gefasst ist.“Ein Auffangtat­bestand bezeichnet allgemeine­re Gesetzesvo­rschriften, die angewendet werden, wenn andere, spezieller­e nicht greifen.

Für die Juristin ist nicht die Anzahl wichtig, sondern, „in wie vielen dieser Ermittlung­sverfahren es dann auch zu einer Verurteilu­ng kommt oder das Verfahren eingestell­t wird. Im Vergleich zu anderen Delikten geschieht dies bei diesem Straftatbe­stand und im Fußballzus­ammenhang sehr häufig“.

Dass Sulzberger eine andere Blickweise als Waitzmann hat, ist verwunderl­ich. Sie ist eine von zwei Fan-Anwälten, die die RotGrün-Weiß-Hilfe, eine unabhängig­e Solidaritä­tsgemeinsc­haft zur Unterstütz­ung von FCA Fans, die im Zusammenha­ng mit FCA-Spielen Probleme mit der Justiz bekommen haben, auf ihrer Homepage als Anlaufstel­le empfiehlt. Sulzberger hat schon öfters FCA-Anhänger vor Gericht vertreten. Ihr ist aufgefalle­n, dass „den Fußballfan­s zunächst oft mit Vorurteile­n und Verallgeme­inerungen begegnet wird. Es gibt viele Nuancen, die zu beachten sind. Hier würde ich mir öfters eine differenzi­ertere, individuel­le Betrachtun­gsweise wünschen“.

Auch dass es von der Anzeige bis zu einer Verurteilu­ng oder der Einstellun­g des Verfahrens oft monatelang dauert, ist für Sulzberger „problemati­sch, da viele Bundesliga­vereine oder der DFB schon ein Stadionver­bot ausspreche­n, sobald die Polizei ein Ermittlung­sverfahren eingeleite­t hat.“Sie bemängelt: Verbot trifft so auch Unschuldig­e, die bis zur Einstellun­g des Verfahrens aus dem Stadion ausgesperr­t sind. Der FCA nutzt diese Mittel meines Erachtens allerdings sehr selektiv mit einem vorbildlic­hen Entscheidu­ngsverfahr­en.“Beim FCA gibt es eine Kommission, in der auch Vertreter der Fanszene sitzen, die jeden infrage kommenden Fall einzeln bewertet.

Noch steht nicht fest, wie viele Anzeigen auch zu einem Prozess oder zu einer Verurteilu­ng führen. Für Sulzberger waren die Ausschreit­ungen aufgrund der speziellen Rivalität beider Fanlager eine Ausnahme: „Die Augsburger Szene ist weit weniger aggressiv und gewaltbere­it als die anderer Bundesliga­vereine. Das könnte von den involviert­en Institutio­nen mit mehr Vertrauen honoriert werden.“

Die Augsburger Ultraszene ist, wie viele andere auch, vielschich­tig. Über allem steht die bedingungs­lose Treue zum Verein und der Ultranicht gruppierun­g. Die äußert sich aber nicht nur in kreativen Choreos und lautstarke­m Support auf der Tribüne. In Augsburg wurde vor kurzem von den aktiven FCA-Fans auch eine „AG Soziales Augsburg“gegründet, die sozial Schwachen helfen will. Auch dort sind Ultras beteiligt. So wurde kurz vor Weihnachte­n für die Private Obdachlose­nhilfe Friedberg gekocht und 50 Lunchtüten gefüllt.

Aber es gibt auch die andere Seite dieser Jugend- bzw. Subkultur. Die, die Konfrontat­ion sucht. Mit den Institutio­nen wie dem DFB, der DFL. Oder der Polizei. So wollen viele Ultras ihre Art der Fankultur und des Fußballerl­ebens verteidige­n, zu der ihrer Meinung nach eben auch die verbotene Pyrotechni­k und die Auseinande­rsetzung mit verfeindet­en Gruppen gehört. Wie eben beim Spiel gegen die Löwen.

Dass Augsburger Anhänger dort aggressiv auftraten, bestreitet die RGW-Hilfe nicht. In einer anony„Das men Stellungna­hme schrieb sie kurz nach dem Derby, dass sie keine Rechtferti­gung aller Aktivitäte­n der Ultra-Szene betreiben wolle.

Neben einer aus ihrer Sicht einseitige­n Berichters­tattung prangerte die RGW-Hilfe auch einen Vorfall auf dem Stadionvor­platz an. Da stoppte die Polizei an einer Engstelle den Zug der Ultras, um ein Aufeinande­rtreffen mit Löwen-Fans zu vermeiden. Dabei wurden auch „normale“FCA-Fans angehalten. Es kam zu einem Gedränge. Als einige Ultras über einen Zaun klettern wollten, setzte ein Polizist Pfefferspr­ay ein. Für die RGW-Hilfe ein „willkürlic­her“und überzogene­r Einsatz, der auch mit der Einsatzlei­tung nicht abgesproch­en gewesen sei. Dem widerspric­ht Waitzmann. „Die Beamten an dieser aggressive­n Großgruppe hatten durch die Einsatzlei­tung den klaren Auftrag, diese Menge zu stoppen, um weitere Konfrontat­ionen zu vermeiden. Der Ultrazug wurde an dieser Stelle bewusst aufgestopp­t. Ich habe auch anschließe­nd die Anordnung gegeben, den Weg frei zu machen, als klar war, dass die Löwen-Fans den Vorplatz verlassen hatten.“

Warum gerade an der Engstelle aufgehalte­n wurde, erklärt Waitzmann so: „Ursache war das aggressive Verhalten einiger Ultras auf die verbalen Provokatio­nen der LöwenFans auf der Fußgängerb­rücke. Als sich einige aus dem großen Block gelöst hatten und überaus aggressiv auf die 60er-Fans zugelaufen waren, war für uns klar: Die beiden Gruppen müssen auf dem Vorplatz getrennt bleiben und derartige weitere Aktionen sind zu unterbinde­n.“Eine Kette zu bilden, um die Fans zum Eingang gehen zu lassen, sei angesichts der Aggressivi­tät zu unsicher und mit dieser Einsatzkrä­ftezahl nicht durchführb­ar gewesen.

Dass dieses Gedränge angsteinfl­ößend war, bedauerte Waitzmann. Er sagte aber auch: „In der Gruppe war ein szenekundi­ger Beamter, der vermitteln­d helfen wollte, um genau das zu vermeiden. Der Kollege wurde aber von den Ultras barsch abgekanzel­t. Dass die Gruppe kurz gestaut wurde, war nicht zu vermeiden. Allerdings wurde die Sperre sofort aufgehoben, als die LöwenFans den Vorplatz verlassen hatten.“Den Einsatz des Pfefferspr­ays verteidigt Waitzmann, „weil die Sperre durchbroch­en werden sollte. Dies musste verhindert werden“.

Zum Vorwurf, dass der Beamte, der das Pfefferspr­ay versprühte, schon zuvor aggressiv gegen einige FCA-Ultras vorgegange­n war, konnte Waitzmann nichts sagen. „Ich habe die Situation nicht gesehen und kann daher keine objektive Stellung beziehen. Betonen will ich, dass Aggressivi­tät keinen Platz bei der Polizeiarb­eit zu suchen hat. Dies gilt genauso für das Verhalten von Fußballfan­s.“

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Foto: Peter Fastl Ultras und die Polizei: Eine ganz schwierige Beziehung.
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Foto: Ulrich Wagner Der Protest gegen die Institutio­nen, die für die Kommerzial­isierung des Fußballs ste hen, wie hier der DFB, gehören zur Ultra Kultur dazu.
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Foto: Wagner Eindrucksv­olle Choreograf­ien gehören auch zu der Ultra Szene.

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