Weihnachtsessen im Kloster
Bei der „Armenspeisung“in Maria Stern geht es den Gästen nicht nur darum, ein gutes Mittagessen umsonst zu bekommen. Sie suchen auch Gesellschaft
Das Eis ist dick an diesem zweiten Weihnachtsfeiertag. Zwischen „wir hier unten“und „den anderen“liegt ein tiefer Graben. Bei der Armenspeisung im Kloster Maria Stern ist die „Lady“von der Zeitung eindeutig von der „anderen“Seite. Heute werden die 18 Gäste hier beobachtet, gefragt, angeguckt. Das gefällt nicht jedem. Mit leichtem Zorn in der Stimme sagt einer: „Soso, und Sie schreiben dann sicher, wie toll es uns geht. Sieht man ja, Schweinebraten, Spätzle, alles da. Und dass wir – ob arm, ob reich – doch alle gleich sind, stimmts?“Sind wir nicht gleich? Sicher nicht, aber darüber wolle er nicht diskutieren, beim Essen.
Auch eine ältere Frau links am einfachen Holztisch in dem kleinen extra Essraum des Klosters beäugt die Reporterin misstrauisch, schüttelt missbilligend den Kopf. Ob das an ihrem Naturell oder der Situation liegt, ist nicht auszumachen. Neben ihr hingegen, plaudert Eveline Dänemark ungezwungen. Sie erzählt von ihrer Kindheit im Heim, zuletzt Ursberg, wo sie Gitarre lernte und im Chor sang. Dass die Stadtweihnacht an Heiligabend im Kolpinghaus schön gewesen sei, dass sie das Sonntagsangebot der Schwestern Silvana und Monika hier im Kloster sehr schätze, weil es ruhiger ist als in der Wärmestube und das Essen sehr gut. Sie lebt allein, hat ihren Freund mitgebracht und noch eine launige Weihnachtsgeschichte von einem unbekannten Autor ausgedruckt. Stille kehrt ein, die 13 Männer und fünf Frauen hören zu. Eine Frau, lange schwarze Haare, Mantel und Halstuch, berichtet, dass sie zwar ganztags arbeitet. Ihre Mutter sei jedoch vor Kurzem verstorben und sie kommt her, weil sie die Gemeinschaft schätzt.
Er sei erst zum zweiten Mal hier, sagt ein Mann mit Mütze. Zwar reiche das Hartz-IV-Geld, doch das Mittagessen hier sei eben umsonst und gut. Deswegen kommt er. Früher war er süchtig. Arbeitsunfähig ist er immer noch, macht aber eine Methadontherapie und ist zuversichtlich, auch dieses Medikament bald hinter sich zu lassen. Ein älterer Mann – er sagt, er sei jetzt sechzig – ist es ebenfalls wichtig, festzuhalten, dass er vielleicht arm, aber nicht mittellos ist. Er wuchs im Heim auf, jobbte 15 Jahre als Gelegenheitsarbeiter und war 23 Jahre ohne festen Wohnsitz. Er bekommt Hartz IV, lebt mit einem Kollegen, den er bei sich aufgenommen hat, in einem Zimmer und lobt die Maria-Sternin Schwestern für ihre gute Küche. Außer dem Schweinebraten mit Spätzle gab es noch eine Suppe und Karottensalat. Außerdem Kaffee.
Seit vier Jahren organisieren Schwester Monika und Schwester Silvana diese Armenspeisung. Jeden Sonntag öffnet sich um Viertel vor eins der Seiteneingang des Klosters. Schwester Monika begrüßt jeden mit Handschlag, während ihre Kollegin hinter einem kleinen Küchenwagen schon die ersten Teller mit Suppe füllt. Die Beiden sehen sich in der Tradition von Schwester Felicitas, die 1954 hier mit der Armenspeisung begann. Ein Foto von ihr steht in einer Nische zwischen den beiden kleinen Essräumen. „Wir wollten an den Tagen ein Angebot schaffen, an denen die Tafel und bis auf die Wärmestube auch alle anderen öffentlich geförderten Essensausgaben haben“, sagt Schwester Monika. Bis zu 20 Menschen haben hier Platz, in einem Notizbuch führt die Ordensfrau Buch, wie viele Frauen und Männer kommen und was es zu Essen gab: „Linseneintopf, Chili con Carne, Pasta“.
Regeln gibt es natürlich auch. Alkohol im Haus ist tabu und wer einen halb leer gegessenen Teller zurück gibt, bekommt beim nächsten Mal weniger. „Wir schmeißen nichts weg. Außerdem haue ich auch schon mal auf den Tisch, wenn es zu laut wird oder Streit in der Luft liegt“, erklärt Schwester Monika resolut. Am Weihnachtsfeiertag gibt es noch etwas Besonderes: Eveline hat ihre Gitarre mitgebracht und stimmt mit heller Stimme „Oh, du fröhliche“an. Schwester Monika und die Gäste fallen ein. Nach einer Stunde löst sich die Runde auf, alle verabschieden sich mit Handschlag und jeder bekommt noch ein Geschenk: Einen Supermarktgutschein, Socken für die Männer, Schal und Mütze für die Frauen.