Was an Augsburg so faszinierend ist
Stadthistoriker Franz Häußler lebt seit 62 Jahren hier. Er fühlt sich so wohl, dass er die Geschichte akribisch erforscht und dokumentiert. Ein Gespräch über die Stadt, Wohlfühlatmosphäre und mehr
Franz Häußler: Heimat? Das ist für mich die Bezeichnung für eine Vielzahl von positiven Faktoren, die man an einem Ort empfindet, wo man sich also in vielfältiger Weise wohlfühlt. Für jeden bedeutet das sicherlich etwas Ureigenes, das nur für ihn gilt. So definiere ich den Begriff „Heimat“.
Wo liegt denn Ihre Heimat? Häußler: Ich bin zwar in einem schwäbischen Dorf geboren, lebe aber seit über 62 Jahren in Augsburg. Augsburg ist meine Heimat, das Dorf mein Geburtsort – mehr nicht. In Augsburg habe ich einen Beruf erlernt, geheiratet, bin sesshaft geworden. Hier habe ich mich schnell wohlgefühlt. Woran das vor Jahrzehnten im Einzelnen lag, ist im Nachhinein kaum mehr zu definieren. An dem „Wohlfühlfaktor“hat sich insgesamt nichts geändert, obwohl sich die Gründe dafür in den vergangenen Jahrzehnten natürlicherweise oftmals änderten. Kann man das „Heimatgefühl“nennen?
Wahrscheinlich schon. Und dieses Gefühl hat Sie offenbar so beflügelt, dass Sie begannen, Heimat zu „sammeln“... Wie kam es dazu?
Häußler: Es ist wohl nicht ungewöhnlich, dass man sich für seine „Heimat“im engeren oder im weiteren Sinne interessiert. Dieses Interesse ist bei vielen ausgeprägt – mehr oder minder stark. Bei mir wurde das Interesse an der Geschichte bereits in der Schule ge- weckt. So kam es, dass die Geschichte meiner neuen Heimat Augsburg bald einen hohen Stellenwert besaß.
Einen sehr hohen, in Ihrem Fall. Sie haben ungezählte Dokumente, Bilder und Geschichten zusammengetragen. Häußler: Ich halte auch das für nichts Ungewöhnliches, zumal das Leben in einer derart geschichtsträchtigen Stadt mit allgegenwärtiger Historie geradezu einen „Anschub“für die Beschäftigung mit ihrer Vergangenheit leistet.
Was inspiriert Sie?
Häußler: In der Kernstadt werde ich an jeder Straße, an jeder Ecke mit Geschichte konfrontiert. Viele Bauten tragen Gedenktafeln. Die wurden mal zum Lesen und zur Erinnerung angebracht. „Denktafeln“nannte man sie im 19. Jahrhundert. Bei mir folgte dem Lesen die Neugierde, der Recherche schließlich das Schreiben.
Weil Sie das neu Erfahrene weitergeben wollten?
Häußler: Ja. Anderen Menschen geschichtliche Informationen über ihre Heimat zu liefern, war dazu der Auslöser. Die Erkenntnis, dass Bilder die wichtigsten Informationsvermittler darstellen, führte zur Illustrierung der „historischen“Texte. Dass der Spruch „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“seine Richtigkeit hat, erkannte ich schon sehr früh. Das gilt mehr denn je bei der Vermittlung von Heimatgeschichte.
Das Recherchieren, das Vermitteln ist das Eine. Sie sind dazu übergegangen, Dokumente der Vergangenheit aufzustöbern, sie auch aufzukaufen. Wie kam es zu diesem „Jagdinstinkt“? Häußler: Je mehr Wissen über die Heimat und je mehr Gefühl für die Heimat verbreitet sind, umso selbstverständlicher ist das Bewahren der Heimat. Augsburger Archive, Museen und Sammlungen sind wohl gefüllte Kulturspeicher. Sie erfüllen die Aufgabe, Zeugnisse der Vergangenheit zu bewahren und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Auf diese Weise vermitteln sie HeimatIdentifikation. Dazu möchte ich beitragen.
Was können solche Sammlungen, was kann Ihre Arbeit dazu beitragen, dass die Bürger sich mit ihrer Stadt identifizieren?
Häußler: Ob es Relikte aus der Römerzeit sind, historische Handschriften und Drucke, Bilder und Kunstwerke – sie stärken das Bewusstsein eines Teils der Bewohner für die eigene Stadt und schaffen so etwas wie „Heimatstolz“im besten Sinne. Wir Augsburger bewegen uns vor allem im Kern der Stadt in historischer Baustruktur aus allen Epochen, gewachsen in fast 1000 Jahren. Jedes erhalten gebliebene Bauwerk vom Dom bis zum kleinen Wohnhaus aus dem 14. Jahrhundert ist ein Stück Augsburg. Wer dies alles wahrnimmt, bei dem bildet sich „Heimatgefühl“von selbst, ohne dass er diesen Begriff dafür gebrauchen würde.
Heimat. Ist das nicht ein Gefühl, das man nur schwer definieren kann? Häußler: Trotzdem ist der Begriff „Heimat“des Nachdenkens wert. Dazu fällt mir noch vieles ein: „Heimatgefühl“ muss sich nicht zwangsläufig mit Altem, Historischem verbinden: Auch ein Neubau ist schnell Wohlfühlheimat! Nicht zu vergessen: die Natur! Die „grüne Stadt“und die „wasserreiche Stadt“sind keine erfundenen Werbeargumente für eine lebenswerte Stadt – ich genieße diese Vorzüge in nächster Nähe tagtäglich.