Sopranistin zwischen Musik und Mutterrolle
Die Halb-Kanadierin Sandra Tucker-Halbfell aus Obergriesbach ist eine Vollblutkünstlerin. Sie jongliert mit den Anforderungen des Familienlebens und ihrer Karriere als Sängerin, Chorleiterin und Gesangslehrerin
Obergriesbach Wege spielen im Leben von Sandra Tucker-Halbfell eine große Rolle. Und auf diesen hat sie bereits unzählige Kilometer zurückgelegt. Die 41-jährige Sopranistin bewegt sich zwischen ihren kanadischen Wurzeln und ihrer aktuellen Heimat, Obergriesbach. Derzeit geht sie den beruflich und musikalisch sicheren Weg, wünscht sich aber doch das vielleicht unsichere Leben auf der Bühne zurück. Und sie versucht mit und für ihre Familie einen Platz zwischen der kanadischen und der deutschen Welt ebenso wie zwischen dem streng regulierten Leben und dem einer Künstlerin zu finden. Manchmal fühlt sie sich dabei ein wenig „neben dem Weg“, wie sie mit einer Handbewegung und einem Lachen versucht zu beschreiben.
Begonnen hat ihr musikalischer Weg bereits in ganz jungen Jahren im fernen Kanada. Ihr Vater, ein Pfarrer in einer evangelischen Kirche und selbst musikalisch ambitioniert, hörte seine damals achtjährige Tochter Sandra zuhause singen. Nur wenig später erklangen die bekannten Töne von „This little light of mine“aus Sandra Tuckers Mund – in der Kirche ihres Vaters. Ein wenig Musikunterricht hier und da folgten, bis sie sich am Ende der Highschool-Zeit fragte: „Kann man Singen wirklich studieren?“Kann man, fand sie heraus. Doch Sandra Tucker entschied sich erst für die Musiktherapie, bis ihre Lehrerin sie freundlich aber bestimmt an eine Schule verwies, an der sie die Kunst der Musikperformance erlernen sollte. „Echtes Singen“wurde ihr dort gelehrt, erklärt sie. Nach einem Bachelor und einem Master of Music sowie einem Opera Diploma wurde sie von Edith Wien entdeckt, die sie einlud, an der Musikhochschule Augsburg ihre Fähigkeiten zu optimieren.
Wohlwissend, dass es sehr schwierig ist, in Kanada eine Karriere in klassischer Musik zu machen, sah Sandra Tucker die Einladung nach Deutschland als ihre Chance, um die Lücke zwischen Studium und Karrierestart zu schließen. Von 2001 bis 2003 studierte sie in Augsburg. Im Jahr 2003 legt sie eine Gesangspause ein, die mitunter auch auf persönliche Differenzen mit ihrer Lehrerin zurückzuführen war. Auch wurde ihr klar: Ich muss mich entscheiden, ob ich Familie oder Karriere möchte. Bereits im Jahr 2002 lernte sie – während sie Englischunterricht gab, um sich das Studium zu finanzieren – ihren zukünftigen Mann kennen. Er hatte Ambitionen, Auslandserfahrungen zu sammeln, was Sandra Tucker zumindest für einige Jahre zurück in ihre Heimat nach Nordamerika brachte. „Dieser Weg war wichtig für mich, um mich selbst wiederzu- finden“, erklärt sie. „Sonst würde ich heute vielleicht keine Musik mehr machen.“
Zwischen 2004 und 2011, ihrer gemeinsamen Zeit mit ihrem Ehemann in Kanada und der Geburt ihrer Tochter im Jahr 2010, startete Sandra Tucker auch eine „kleine Karriere“, wie sie es beschreibt. Sie spielte „große Hauptrollen in kleinen Opernhäusern“. Doch Sandra Tuckers Erfolge sind deutlich imposanter, als sie – fernab der Bühne – erzählt (siehe Infobox). Mit der Entscheidung für eine Rückkehr nach Deutschland und der Geburt ihres Sohnes im Jahr 2013 war klar: Sie musste einen anderen Weg finden, um ihre Familie und die Musik unter einen Hut zu bringen. „Ich konnte und wollte mich nicht mehr regelmäßig beim Vorsingen ‚ver- kaufen müssen’.“Auch lassen sich schlaflose Nächte mit kranken Kindern nur schlecht mit einem Vorsingen am nächsten Tag arrangieren. Und so schlug sie den aktuell sichereren Weg ein, der nicht weniger Arbeit bedeutet, wohl aber kalkulierbarer ist, als das Leben als Sängerin.
Drei Chöre in der Region hat die Sopranistin aktuell unter ihren gesanglichen Fittichen: Die Cantabella und die Cantabella Kids in Obergriesbach und die Röhrmonists. Neben der Proben- und Konzertleitung machen vor allem die organisatorischen Dinge diese Aufgabe sehr zeitintensiv. Dabei macht der Sängerin die Arbeit mit den Chören mächtig viel Spaß. Hinzu kommen private Unterrichtsstunden. Wie viel Zeit ihr für ihre eigene Karriere
bleibt, kann Sandra Tucker nicht beziffern. Gerade die Vorweihnachtszeit sei sehr anstrengend gewesen: Sieben Konzerte in sieben Tagen standen in ihrem Kalender. Die Stimme habe sie dabei – wie ein ausgebildeter Profi eben – absolut im Griff. Und auch wenn die Zeit körperlich anstrengend war, möchte die Sängerin noch mehr: „Ich will wieder mehr auf der Bühne stehen und bin bereit für alles, was da kommt.“
Die Möglichkeit, ganz unterschiedliche Musikstile zu bedienen, beruht auf der Besonderheit ihrer Stimme. Als „dramatisch“und „voll“beschreibt Sandra Tucker ihre Stimme und genau das sei ihre Chance, erneut einen Weg auf die Bühne zu finden. „Ich singe mit meinem Körper und ich mag es so“,
erklärt sie. Doch die Sängerin kann auch ganz andere Facetten zeigen: In der Vokalkapelle in der Theatinerkirche in München schlägt sie ganz feine Töne an. Aufgewachsen ist sie mit Musicals und Gospel. Ausgebildet ist sie klassisch. Popmusik lehrt sie vielen ihrer TeenieSchüler und sogar den Klassiker der Metal-Band Metallica- „Nothing else matters“hat sie bereits auf einer Hochzeit gesungen – allerdings auf ihre lyrische Weise.
Wohin ihr Weg die Sopranistin in fünf oder gar zehn Jahren führen wird, das weiß sie heute noch nicht. Was sie einmal singen möchte, hingegen durchaus: Das „Requiem“von Giuseppe Verdi, ein Musikstück, das für sie geschrieben scheint, denn es vereint Power und Kraft mit lyrischen Passagen.