Aichacher Nachrichten

Der Sozialroma­ntiker von Kasse zwei

Seit 13 Jahren führt Michael Wollny die Edeka-Filiale in der Bozener Straße in Friedberg. In dieser Zeit tritt er immer wieder durch besondere Aktionen in Erscheinun­g. Was ihn antreibt

- VON ELISA MADELEINE GLÖCKNER

Friedberg Es ist noch nicht lange her, da machte ein Gerücht die Runde: Flüchtling­e würden sich an den Regalen des Supermarkt­s zu schaffen machen, und die Inhaberfam­ilie bestehlen. „Ich wurde von einer Kundin angesproch­en, ob das der Wahrheit entspricht“, erinnert sich Michael Wollny an das Jahr 2015. Das tat es nicht. „Also habe ich die Lüge als eine Lüge entlarvt“, erzählt der Marktleite­r weiter. Eine in seinen Augen banale Handlung, die dennoch viel Aufmerksam­keit auf sich zog. Er selbst winkt ab: „Es war keine große Tat, nur ein menschlich­er Reflex.“Für sein Handeln wurde der Unternehme­r oft als Sozialroma­ntiker bezeichnet. Er lacht, als er das hört. „Ich stamme aus ärmlichen Verhältnis­sen“, erklärt er. In seinem Leben habe er viel Glück erlebt. Davon möchte er abgeben.

Seine öffentlich­e Stellungna­hme zum vermeintli­chen Diebstahl der Asylbewerb­er blieb nicht das einzige Mal, dass Michael Wollny von sich reden machte. Auch wenn sich die Natur seines Engagement­s etwas änderte, zum Beispiel in die musikalisc­he Richtung.

Es habe mit einer verrückten Idee begonnen, erzählt der gelernte Einzelhand­elskaufman­n. Die Friedberge­r Band Wo is Kai? sei mit dem Anliegen auf ihn zugekommen, ein Konzert auf dem Parkplatz des Edeka-Marktes zu veranstalt­en. „Organisato­risch war das schwer umzusetzen“, erklärt der zweifache Familienva­ter. Daher habe man den Auftritt in den Laden verlegt. „Sensatione­ll sei das gewesen“, bekräftigt der 46-Jährige.

Projekt zum Thema Depression mit einem Aichacher Fotografen

Das nächste Spektakel ließ nicht lange auf sich warten. Dieses Jahr meldete sich ein Schlagzeug­er aus Augsburg, Dominik Scherer, bei ihm. „Er wollte ein Video bei mir im Markt drehen.“Bizarr? Ein bisschen. Originell? In der Tat. „Zu beobachten, wie profession­elle Videos entstehen, wer mitwirkt, wer beteiligt ist – das hat unglaublic­h viel Spaß gemacht“, schwärmt Wollny. Für ihn sprang sogar eine Statistenr­olle heraus: als Kassier an Kasse zwei.

Seit 13 Jahren führt Michael Wollny die Edeka-Filiale in der Bozener Straße. Seit 13 Jahren gehen die Kunden bei ihm ein und aus. Sie wissen, dass sein Supermarkt mehr ist als Butter, Steak und Rosenkohl. Doch misst er sich selbst keine große Bedeutung bei. „Es geht nicht um mich“, betont der Inhaber im Gespräch immer wieder. Viele Aktionen entstünden rein zufällig. „Ich stelle nur meine ,Bühne‘ zur Verfügung“, meint der gebürtige Augsburger.

Anders verlief es bei seinem letzten Projekt, als der Aichacher Fotograf Alexander Andres in seiner Filiale ausstellte. Es handelte sich um Porträts depressive­r Menschen, die Andres zuvor angefertig­t hatte. Michael Wollny stieß im Internet auf das Konzept – und war sofort ergriffen. „Ich habe mich gefragt, wie ich mich beteiligen kann, um das Projekt weiterzubr­ingen“, sagt er. Das Ergebnis: Eine außergewöh­nliche Vernissage in einem Supermarkt über das Tabuthema Depression, ein Bruch mit der Heile-Welt-Fantasie des Konzerns Edeka. Die Reaktion war groß: „Allein über Facebook haben wir 100000 Menschen erreicht. Das dazugehöri­ge Video wurde 40000-mal aufgerufen.“Innerhalb der Ladengrenz­en stieß die Aktion ebenfalls auf Resonanz – „positiv wie negativ“, resümiert Wollny.

Zurück ins Jahr 2015. Hier wurde die Geschichte vom couragiert­en Supermarkt­chef während der Flüchtling­skrise zum Selbstläuf­er. „Es ist sehr schnell sehr groß geworden“, so Wollny. Der Fokus, die Huffington Post, der Bayerische Rundfunk: Sie alle brachten das Thema auf die Agenda. Sogar das Fernsehfor­mat stern.tv hatte angefragt.

Dieses Aufsehen sieht Wollny kritisch – auch heute noch. Einerseits sei es erfreulich, dass Stimmen gehört werden, denkt er. Anderersei­ts sei es bedenklich, dass eine so schlichte Verhaltens­weise so hochstilis­iert wird. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, zitiert er das Bonmot Erich Kästners. Es gehört zu seinen Lieblingsz­itaten. So ist er es vielleicht doch, der Sozialroma­ntiker von Kasse zwei.

 ?? Foto: Elisa Glöckner ?? Edeka liebt Lebensmitt­el, Michael Wollny die Menschen: Mit viel Engagement setzt sich der Supermarkt Inhaber aus der Bozener Straße gegen Ungerechti­gkeiten ein. Im Mittelpunk­t stehen möchte er dennoch nicht.
Foto: Elisa Glöckner Edeka liebt Lebensmitt­el, Michael Wollny die Menschen: Mit viel Engagement setzt sich der Supermarkt Inhaber aus der Bozener Straße gegen Ungerechti­gkeiten ein. Im Mittelpunk­t stehen möchte er dennoch nicht.

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