Aichacher Nachrichten

Wenn soziale Netzwerke übereifrig Inhalte löschen

Das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz steht kurz nach seiner Einführung schon wieder auf der Kippe. Soziale Netzwerke löschen offenbar streitbare, aber nicht strafbare Inhalte. Muss nachgebess­ert werden?

- VON PHILIPP KINNE

Augsburg Andere zu beleidigen, das gehört sich nicht. Hass zu verbreiten oder gar zu Gewalt aufzurufen, ist verboten. Das ist nicht neu. Die sichtbare Menge von Pöbeleien, von Nazi-Parolen und schlechter Kinderstub­e ist aber größer denn je. Was früher hinter vorgehalte­ner Hand oder geschlosse­ner Tür posaunt wurde, findet sich heute mit ein paar Klicks.

Im Netz verlieren einige offenbar sämtliche Hemmungen und überschrei­ten nicht nur die Grenze des guten Anstands, sondern auch das Gesetz. Verboten ist das schon immer, in der Vergangenh­eit war der Stuss einiger dennoch auf Twitter und Co. zu lesen. Durch das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz soll sich das ändern. Doch nun steht das neue umstritten­e Gesetz schon wieder auf der Kippe. Im Zweifel entschiede­n sich soziale Netzwerke aus Angst vor hohen Bußgeldern zur Löschung streitbare­r Inhalte, meinen Kritiker. Ist die neue Regel zum Zensurgese­tz geworden?

Nicht einmal zwei Wochen nachdem das Gesetz in vollem Umfang in Kraft trat, ist der Ärger groß. Dabei war es bereits im vergangene­n Jahr umstritten. Zum Oktober 2017 verlangte die neue Regel deutsche Ansprechpa­rtner bei sozialen Plattforme­n, die strafrecht­lich relevante Inhalte schnell entfernen. Seit Jahresbegi­nn drohen den Anbietern Strafen von bis zu 50 Millionen Euro, wenn strafbare Postings nicht binnen 24 Stunden entfernt werden.

Die Regel gilt für jedes Netzwerk, das mehr als zwei Millionen registrier­te Nutzer hat. In Deutschlan­d sind das laut Justizmini­sterium Facebook, Google+, Youtube, Instagram, Pinterest und Soundcloud. Explizit ausgenomme­n sind Karrierene­tzwerke wie Xing oder LinkedIn sowie Messengerd­ienste wie WhatsApp oder Threema.

Wer Beiträge in diesen Netzwerken meldet, muss keine juristisch­en Folgen fürchten. Auch wenn sich die Inhalte als nicht strafrecht­lich relevant herausstel­len. Das führt zu Meldeschla­chten im Internet und zu viel Arbeit für die sozialen Netzwerke. Sie müssen die gemeldeten Beiträge überprüfen. Werden die Posts von den Plattforme­n nicht gelöscht, können sich Nutzer außerdem über ein Formular an das Bundesamt für Justiz wenden. Seit Jahresbegi­nn gingen bereits über 50 solcher Beschwerde­n beim Bundesamt ein. Bei rechtswidr­igem Verhalten der Netzwerkbe­treiber kann das Bundesamt ein Bußgeldver­fahren gegen Twitter und Co. einleiten.

Neben den Bußgeldern für Internetri­esen enthält das neue Gesetz auch weniger bekannte Regeln. Nutzer können nun leichter Auskunft darüber bekommen, wer sich hinter anonymen Profilen verbirgt. Außerdem müssen die Netzwerkbe­treiber halbjährli­ch Auskunft darüber liefern, wie sie mit den Beschwerde­n verfahren sind. Die Ereignisse in der Debatte überschlug­en sich in den vergangene­n Tagen.

In der Silvestern­acht twitterte die AfD-Politikeri­n Beatrix von Storch von „barbarisch­en, gruppenver­gewaltigen­den Männerhord­en“. Kurz darauf wurde der Tweet von Twitter entfernt und die Debatte um das neue Gesetz kam ins Rollen. Darf man so etwas schreiben? Muss man das löschen?

Auch wenn die kurze Botschaft sicher nicht die feine Art ist, ob sie strafrecht­lich relevant ist, darüber sind sich Rechtsexpe­rten nicht einig. Ein erstes Urteil gibt es bereits gegen Storchs Parteikoll­egen Jens Maier. Das Berliner Amtsgerich­t erließ gegen den AfD-Politiker eine einstweili­ge Verfügung, nachdem Maier Noah Becker, den Sohn von Boris Becker, in einem Tweet als „Halbneger“beschimpft hatte. Auch dieser Tweet wurde von Twitter gelöscht.

Andere entfernte Inhalte sind nach einhellige­r Meinung von Experten jedoch ohne strafrecht­liche Relevanz entfernt worden. Als ein satirische­r Beitrag des Magazins Titanic und zuletzt ein streitbare­r Tweet von Justizmini­ster Heiko Maas entfernt wurden, wandten sich auch viele Politiker und Verbandsch­efs gegen das neue Gesetz.

Linkenpoli­tikerin Sahra Wagenknech­t sagt: „Das Gesetz schlägt allen rechtsstaa­tlichen Grundsätze­n ins Gesicht.“FDP-Generalsek­retärin Nicola Beer spricht von einem „vermurkste­n Gesetz“. GrünenChef­in Simone Peter sieht „deutlichen Nachbesser­ungsbedarf“. Auch der CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich macht sich für die Abschaffun­g des neuen Gesetzes stark.

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Foto: dpa Experten gehen davon aus, dass soziale Netzwerke streitbare Beiträge aus Angst vor hohen Strafen löschen. Ist das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz schuld?

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