Was Dieter Baumann jetzt denkt?
Die Geschichte der Dopingskandale im Sport ist voller skurriler Geschichten. Keine Ausrede war den Sündern zu abwegig, um damit nicht doch einen Freispruch zu erwirken. Den Spitzenplatz in der nach oben offenen Absurditätenskala hält noch immer Ivonne Kraft. Die Mountainbikerin erklärte einen erhöhten Fenoterol-Wert mit dem explodierten Asthma-Inhalator ihrer Mutter. Kraft: „Vor Schreck hab ich ,huch‘ gesagt und wohl versehentlich etwas inhaliert.“So oder so ähnlich erklärten sich viele Athleten ihre positiven Dopingproben.
Eine derartige Geschichte hatte auch Dieter Baumann der Welt präsentiert, als er 1999 mit Nandrolon erwischt wurde. Ausgerechnet Baumann! Das Gesicht der deutschen Leichtathletik, der bekannteste Anti-Dopingkämpfer im Land – ein Betrüger, wie alle anderen auch? Wie alle anderen leugnete auch Baumann – und forschte nach der Wahrheit wie nur wenige. Das Ergebnis: Entlastende Indizien und der Verdacht, das Nandrolon sei über eine manipulierte Zahnpastatube in seinen Körper gelangt.
Weil die Sportler schon damals alle Glaubwürdigkeit verspielt hatten, erntete der Olympiasieger für seine Geschichte Spott und das Kopfschütteln der Romantiker, für die derlei bis heute unvorstellbar ist. Wer allerdings wusste, wie sehr sich der umtriebige Schwabe mit seinen Anti-Dopingpredigten bei den Sportlerkollegen aus den dopingbelasteten neuen Bundesländern unbeliebt gemacht hatte, dachte anders. Auch der Sport, mit all seinen Lehren fürs Leben, bewahrt nicht vor menschlichen Abgründen, schon gar nicht der Leistungssport.
Es mag für Dieter Baumann, der die Zahnpasta-Affäre mit einem zweijährigen Startverbot büßte, eine Genugtuung sein, dass das unvorstellbar Niederträchtige nicht nur in der Fantasie existiert. Der japanische Kanute Yasuhiro Suzuki ist diese Woche für acht Jahre gesperrt worden, weil er seinem Teamkollegen Seiji Komatsu ein Dopingmittel ins Getränk gemischt hat. Zahnpasta war offenbar gerade nicht greifbar. Suzuki hatte gehofft, sein Rivale würde damit erwischt. Hätte Suzuki nicht sein schlechtes Gewissen geplagt – der Plan wäre wohl aufgegangen.
Was hätte Komatsu zu einem positiven Befund sagen sollen? „Hat mir jemand ins Getränk gemischt.“Die Dopingjäger hätten sich kaputt gelacht: „Lassen Sie sich etwas Besseres einfallen. Wir hatten schon mal einen, der hat sich auf Zahnpasta rausgeredet.“