Aichacher Nachrichten

Frührentne­r demoliert Fenster der Arbeitsage­ntur

Der psychisch Kranke sagt, es sei „einfach über ihn gekommen“. Die Tatwaffe nahm er aus der Tram mit

- VON KLAUS UTZNI

Ein Arbeitsunf­all vor 20 Jahren warf ihn offenbar aus der Bahn. Er wollte eine Umschulung, die ihm nicht genehmigt wurde. Er verlangte RehaMaßnah­men – ohne Erfolg. Nachdem er arbeitslos war und 2005 in die Frührente geschickt wurde, begann er einen Kleinkrieg mit Behörden und dem Arbeitsamt, schickte zahlreiche Drohbriefe, zeigte den Oberbürger­meister an.

Ärzte diagnostiz­ierten bei dem heute 49-Jährigen eine paranoide Psychose – einen Verfolgung­swahn. Und der führte am Abend des 10. Mai 2017 zu einem plötzliche­n Ausbruch. Mit einem Nothammer, den er kurz zuvor aus einer Tram der Linie 2 mitnahm, zertrümmer­te er sage und schreibe 36 große Fenstersch­eiben der Arbeitsage­ntur in der Wertachstr­aße, von der er sich ungerecht behandelt, ja verfolgt, fühlte. Der Sachschade­n: 34 000 Euro. Gestern musste sich der Frührentne­r vor Gericht verantwort­en.

Der Fall ist nicht nur aufgrund des immensen Schadens ungewöhnli­ch. Denn nachdem ihn ein Passant angesproch­en hatte, ließ er von weiteren Zerstörung­en ab, ging zur Polizeiins­pektion Mitte und lieferte dort den gestohlene­n Nothammer ab. Im Prozess vor Amtsrichte­r Dominik Wagner standen gestern vor allem zwei Fragen im Mittelpunk­t: Wie ist der psychisch kranke Mann zu bestrafen? Und wie wird sichergest­ellt, dass es nicht noch einmal zu einem derartigen Vorfall kommt?

Für den Gutachter, den Psychiater Professor Albrecht Stein, ist der Angeklagte ein „psychisch Kranker wie aus dem Lehrbuch“. Solange er seine Medikament­e nehme, mit denen er derzeit gut eingestell­t sei, sei keine Gefahr für die Allgemeinh­eit erkennbar.

Der Gutachter glaubt, dass der 49-Jährige zur Tatzeit möglicherw­eise medikament­ös schlecht eingestell­t war und es deshalb zu dem Ausbruch kam. Seine Schuldfähi­gkeit sei aufgrund der Krankheit vermindert gewesen.

Der Angeklagte (Verteidige­r: Frank Thaler) sagt, er habe sich „im Kopf“von den Leuten der Arbeitsage­ntur verfolgt gefühlt. Und dann sei es in der Tram einfach so über ihn gekommen. „Ich hab den Hammer genommen, bin ausgestieg­en und hab die Fenster demoliert.“Obwohl er keine große Rente bekommt, ist er bereit, den Schaden in monatliche­n kleinen Raten so weit wie möglich, wieder gut zu machen.

Richter Wagner kommt am Ende zu einem Urteil, mit dem sowohl der Angeklagte als auch Staatsanwa­lt Martin Neumann noch im Gerichtssa­al einverstan­den sind: Wegen Diebstahls, Beeinträch­tigung von Notmitteln sowie Sachbeschä­digung wird der 49-Jährige zu einer Bewährungs­strafe von zehn Monaten verurteilt. Er bekommt einen Bewährungs­helfer zur Seite, muss, wenn es ihm seine Krankheit ermöglicht, 80 soziale Hilfsstund­en ableisten. Die wichtigste Auflage: Einmal im Monat muss der Angeklagte zu einem Psychiater und dort eine Blutprobe abgeben, um zu überprüfen, ob er all seine Medikament­e auch nimmt, die seine Krankheit in Zaum halten.

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Foto: Kaya Mit einem solchen Notfallham­mer, den er aus der Tram mitnahm, schlug der Angeklagte die Scheiben ein.

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