Aichacher Nachrichten

Missbrauch durch Arzt flog lange nicht auf

Im Dezember wurde ein Mediziner wegen sexueller Übergriffe auf Patientinn­en verurteilt. Schon fünf Jahre zuvor hatten sich zwei Betroffene an den Ärztlichen Bezirksver­band gewandt. Doch die Kripo erfuhr damals nichts

- VON JÖRG HEINZLE

Er schrammte knapp am Gefängnis vorbei: Ein Augsburger Arzt ist im Dezember zu einer fast zweijährig­en Bewährungs­strafe verurteilt worden, weil er Patientinn­en sexuell missbrauch­t hat. Im Prozess ging es um Fälle aus den Jahren 2014 bis 2017. Nach Recherchen unserer Zeitung gab es aber auch zuvor schon Beschwerde­n von Patientinn­en über Übergriffe. Bereits 2012 hatten sich zwei Frauen deshalb an den Ärztlichen Bezirksver­band gewandt. Die Polizei erfuhr aber nichts von den Vorfällen.

Nora D.* hatte damals einen Termin bei dem Allgemeinm­ediziner, sie suchte ihn wegen Bauchschme­rzen auf. Ihr Eindruck war erst nicht negativ. Der Arzt nahm sich Zeit, er hörte zu. Dann aber untersucht­e er ausführlic­h ihre Scheide und ihren After. Während des Termins in der Praxis habe sie das alles gar nicht richtig realisiert. Danach, draußen auf der Straße, sei ihr aber klar geworden, dass die Untersuchu­ngen „sehr eigenartig“gewesen sei. Kurz darauf unterhielt sie sich darüber mit einer Freundin, die zu der Zeit schon länger bei dem Arzt in Behandlung war. Die Freundin litt unter chronische­r Blasenentz­ündung. Bei ihr wandte er eine Therapie an, bei der er die Frau regelmäßig im Intimberei­ch streicheln musste. Er fragte sie auch, welche Sex-Stellungen sie am liebsten praktizier­e und ob ihr Freund diese gut finde.

Durch Gespräche mit weiteren Patientinn­en wurde Nora D. klar, dass das bei dem Mediziner Methode hat. Sie erfuhr auch, dass er eine noch unter 18-jährige Jugendlich­e auf eine solche Art „behandelt“haben soll. Nora D. wandte sich mit ihrer Freundin an den Ärztlichen Bezirksver­band. Sie wurden zu einem Gespräch eingeladen, das Dr. Markus Beck, der Vorsitzend­e, mit ihnen führte. Nora D. war damit unzufriede­n. Sie sagt: „Wir hatten das Gefühl, nicht richtig ernst genommen zu werden. Der genannte Arzt sei ein geschätzte­r Kollege, man könne sich das nicht vorstellen.“Ihnen sei gesagt worden, dass der Arzt die Vorwürfe bestreite. Und dass angesichts ihrer Beschwerde­n im Unterleib die Be- handlung eventuell doch angezeigt gewesen sein könnte. Dr. Beck haben ihnen gesagt, dass „jeder Arzt individuel­l entscheide­n müsse, was in dem Moment notwendig sei“.

Der Verband haben ein weiteres Gespräch angeboten, in Anwesenhei­t des beschuldig­ten Mediziners. Diese Vorstellun­g sei ihnen aber so unangenehm gewesen, sagt Nora D., dass sie abgelehnt hätten. An den Erfolg einer Strafanzei­ge hätten sie nach dem Gespräch nicht mehr geglaubt. Sie hörten danach nichts mehr in der Sache. Durch einen Bericht unserer Zeitung erfuhr Nora D. im Dezember von dem Strafproze­ss. Und dass der Arzt nach ihrer Beschwerde noch rund fünf Jahre weiter Frauen auf dubiose Weise behandelte. Sie meint: „So viele Fälle hätten verhindert werden können.“

Das Amtsgerich­t stützt sich im Urteil auf sechs Missbrauch­sfälle. Eine Anzeige einer Patientin hatte die Ermittlung­en schließlic­h doch noch ins Rollen gebracht. Die Anklage warf dem Arzt vor, Patientinn­en unnötig im Intimberei­ch untersucht und eingecremt zu haben, auch wenn sie etwa an Haarausfal­l oder Schwindela­nfällen litten. Im Zuge einer Absprache zwischen Gericht, Anklage und Verteidigu­ng wurde dem Arzt bei einem Geständnis eine Bewährungs­strafe zugesicher­t. Verteidige­r Florian Engert räumte dann im Namen des Arztes die Vorwürfe ein. Das Urteil ist inzwischen rechtskräf­tig.

Der Vorsitzend­e des Ärztlichen Bezirksver­bands widerspric­ht auf Anfrage dem Verdacht, den Fall nicht ernst genug genommen zu haben. Den Frauen sei angeboten worden, das weitere berufsaufs­ichtliche Verfahren gegen den Arzt einzuleite­n. Dr. Markus Beck sagt: „Dies wäre mit Nennung des konkreten Vorwurfs und des Namens der Beschwerde­führerinne­n gegenüber dem betroffene­n Arzt verbunden.“Die Frauen hätten das abgelehnt und sich mit einer Belehrung des Arztes einverstan­den erklärt. Ein Kollege aus dem Ärztlichen Kreisverba­nd habe dann „zeitnah“mit dem Mediziner gesprochen und ihn auf die Einhaltung der Berufspfli­chten hingewiese­n – ohne die Namen der Patientinn­en preiszugeb­en.

Der Verband ist eine öffentlich­rechtliche Körperscha­ft. Staatsanwa­ltschaftli­che Befugnisse wie das Vernehmen von Zeugen und das Sichern von Beweisen habe er aber nicht, so der Vorsitzend­e. An das Gespräch mit den Frauen erinnert er sich anders: Er habe nicht gesagt, dass das Verhalten des Arztes auch Bestandtei­l einer normalen Untersuchu­ng gewesen sein könnte. Eine Strafanzei­ge habe er „ins Ermessen“der Frauen gestellt. Dr. Beck sagt, er bedaure es, dass der Arzt trotz der Hinweise sein Verhalten nicht geändert habe. Er sei über dessen Fehlverhal­ten „sehr betroffen“.

Der Mediziner hat seine Praxis verkauft und die Kassenzula­ssung zurückgege­ben. Es gibt auch Patienten, die ihn vermissen. „Er war einfach der beste Arzt, bei dem ich jemals war, und er hat als Einziger mein gesundheit­liches Problem nach 20 Jahren erkannt und gelöst“, schreibt ein Nutzer im Internet. * Name geändert

Der Mediziner hat seine Praxis verkauft

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 ?? Symbolfoto: Uwe Zucchi, dpa ?? Weil er Frauen mit dubiosen Methoden behandelt und sie dabei missbrauch­t hat, ist ein Augsburger Arzt im Dezember verurteilt worden – er schrammte knapp am Gefängnis vorbei.
Symbolfoto: Uwe Zucchi, dpa Weil er Frauen mit dubiosen Methoden behandelt und sie dabei missbrauch­t hat, ist ein Augsburger Arzt im Dezember verurteilt worden – er schrammte knapp am Gefängnis vorbei.

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