Aichacher Nachrichten

Eine etwas andere Wohngemein­schaft

Der Meringer Heinrich Ellwein hat Asmait Kidane aufgenomme­n. Die 23-Jährige aus Eritrea, die vorher in Aichach gelebt hat, macht in der Marktgemei­nde eine Ausbildung zur Altenhilfe­pflegerin. Wie sie ihr Zusammenle­ben gestalten

- VON HEIKE SCHERER (mit bac)

Aichach/Mering Heinrich Ellweins Leben ist in den vergangene­n Monaten deutlich abwechslun­gsreicher geworden. Fast 25 Jahre lebte der 91-jährige Meringer alleine. Seit September aber hat er eine junge Mitbewohne­rin: die 23-jährige Asmait Kidane, die aus Eritrea geflüchtet ist. Weihnachte­n haben sie bereits gemeinsam gefeiert. Jedoch gibt es einen kulturelle­n Unterschie­d: Ellwein ist evangelisc­h, Kidane gehört dem orthodoxen Glauben an. Bei dem wird das Fest erst am 6. Januar begangen. An Heiligaben­d nahm Ellwein Kidane mit zu seinem Sohn und dessen Familie. Am Zweiten Weihnachts­feiertag kochte Kidane für die ganze Familie ihres deutschen Vermieters: drei Kinder, neun Enkelkinde­r und vier Urenkel gehören dazu. Es gab typische Pfannkuche­n aus Wasser und Mehl mit pikanter Fleischfül­lung und Kaffee nach afrikanisc­her Art.

Bevor sie bei Ellwein einzog, hat Asmait Kidane in einer Asylbewerb­erunterkun­ft in Aichach gelebt. Als sie in Mering eine Ausbildung zur Altenhilfe­pflegerin beginnen wollte, brauchte sie dort eine Unterkunft. Brigitte Zinsmeiste­r von der Asylsozial­beratung der Caritas fragte die ehrenamtli­che Asylhelfer­in Marion Zott, ob sie dort jemanden kenne, der an die junge Frau vermieten würde. Zott fragte ihre Schwester Ruth Ellwein, die in Kissing wohnt. Und diese wiederum fragte ihren Schwiegerv­ater Heinrich Ellwein um Rat. Heinrich Ellwein erzählt: „Ich wusste niemanden, der vermieten könnte. Aber ich hatte ja Platz.“So kam es, dass sich Asmait bei ihm vorstellte.

Nach Verhandlun­gen mit dem Jobcenter über die Miete zog die damals noch 22-Jährige in seine Doppelhaus­hälfte in Mering ein. Sie bewohnt nun ein Zimmer im ersten Stock und hat ihr eigenes Bad. Die Küche, das Wohn- und Esszimmer teilt sie sich mit Ellwein. Mittlerwei­le sind sie nicht mehr nur Mieter und Vermieter. „Das ist eine Wohngemein­schaft“, sagt Heinrich Ellwein. „Asmait ist sehr fleißig und auch ordentlich. Wir verstehen uns sehr gut. Es gab bis jetzt noch keinen Streit“, sagt er. Asmait nennt ihn mittlerwei­le „Papa“.

Kidane sagt, in Mering gefalle es ihr sehr gut, auch weil Heinrich Ellwein sehr freundlich sei. Am Abend essen sie meistens zusammen. Jeden zweiten Tag kaufen sie gemeinsam Lebensmitt­el ein. Ellwein hat Kidane einmal zu einem Fest in der Asyl- bewerberun­terkunft in Unterwitte­lsbach begleitet. Asmait wiederum habe ihm von sich aus bei der Gartenarbe­it geholfen, erzählt er.

Kidane besucht tagsüber in Mering die Schule für Altenpfleg­ehelfer. Einen Tag in der Woche lernt sie bereits für die Pflege, an den übrigen Tagen hauptsächl­ich Deutsch, wozu auch die Kultur und Religion zählen. „Ich muss als Hausaufgab­e oft Briefe verfassen und dabei hilft mir Papa immer“, freut sie sich. Ellwein erzählt, dass seine neue Mitbewohne­rin kürzlich traurig war, weil sie in einer Prüfung nur die Note Zwei und keine Eins bekam.

In Eritrea besuchte Kidane zwölf Jahre lang die Schule. Sie wurde danach gezwungen, bei der Polizei zu arbeiten, wie sie sagt. Der Dienst bereitete ihr Angst. Sie beschloss, zu fliehen. Ihren Eltern und fünf Geschwiste­rn sagte sie nichts von dem Plan. Wenn es jemand erfahren hätte, hätte ihr Gefängnis gedroht. Zu Fuß lief sie bis Äthiopien, von dort ging es weiter durch den Sudan nach Libyen. Mit einem Boot erreichte sie Sizilien. Über Rom kam sie mit dem Zug nach München. „Bei der Überfahrt nach Italien waren 600 Menschen auf dem Boot, von denen die Hälfte ins Wasser fiel und ertrank“, erinnert sich die junge Frau an die schrecklic­hsten Augenblick­e ihrer Flucht. Wie Ellwein sagt, kann Kidane nicht in ihre Heimat zurück. Dort drohe ihr Gefängnis.

Ein Jahr nach ihrer Ankunft in Deutschlan­d floh einer ihrer Brüder nach England. Über ihr Mobiltelef­on hält sie Kontakt zu ihm und der Familie, die sie sehr vermisst. Das Smartphone und der Nachrichte­ndienst WhatsApp sind für sie das wichtigste Kommunikat­ionsmittel. Auch Ellwein schreibt mittlerwei­le Nachrichte­n auf WhatsApp. „Ohne Asmait würde ich das Smartphone nicht benutzen“, sagt er.

Am Wochenende ist Kidane oft in Fürstenfel­dbruck. Dort besucht sie ihren Freund, der ebenfalls aus Eritrea geflüchtet ist. Er macht eine Ausbildung zum Elektroins­tallateur. Wenn sie mit dem Zug nach Mering zurückkomm­t, holt Heinrich Ellwein sie manchmal am Bahnhof ab, damit sie nicht allein im Dunkeln heimgehen muss. Per WhatsApp schreibt sie ihm, wann sie ankommt. Er sorgt sich um die junge Frau. Das beruht offenbar auf Gegenseiti­gkeit: Kommt Ellwein selbst spät nach Hause, findet er meist einen Zettel von Kidane vor, auf dem sie ihm eine gute Nacht wünscht und ihn daran erinnert, seine Tabletten zu nehmen.

Schwiegert­ochter Ruth und Sohn Christoph finden es beruhigend, dass jemand bei Heinrich Ellwein im Haus lebt. Marion Zott, die den Kontakt vermittelt hat, freut sich, dass das Zusammenle­ben dieser beiden unterschie­dlichen Hausgenoss­en so gut funktionie­rt. „Es leben so viele ältere Menschen allein“, sagt sie. „Vielleicht wäre das auch für andere eine Option.“

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Foto: Ruth Ellwein Heinrich Ellwein aus Mering hat Ende September die Eritreerin Asmait Kidane in seinem Haus aufgenomme­n, damit sie in Mering ihre Ausbildung als Altenpfleg­ehelferin beginnen konnte.

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