Aichacher Nachrichten

Ein einziger Alarm: der neue Bericht des Club of Rome

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Eine gute, eine starke Szene für ein Buch wäre das. Zu sehen ist die sogenannte „Doomsday Clock“, eine Weltunterg­angsuhr also. Und wie seit 1947 immer, wenn sich das politische Klima verändert hat, treten die Experten heran, um mit der neuen Uhrzeit anzuzeigen, wie groß die Gefahr einer nuklearen Katastroph­e ist. Erreicht wäre sie um Mitternach­t. Trommelwir­bel also: Welt, wie steht’s um dich? Die Zeiger rücken vor, immer weiter, weit über 17 Minuten vor zwölf hinaus, wo die Uhr noch 1991 gestanden hatte, nach Ende des Kalten Krieges. Immer weiter, auch über fünf vor zwölf hinweg gehen die Zeiger. Und halbieren selbst diese klassische Alarmfrist. Zweieinhal­b Minuten vor der Katastroph­e! So knapp vor Mitternach­t stand die Uhr nur einmal bislang, 1953. Geht ein Raunen durchs Publikum?

Entscheide­n Sie selbst. Denn das ist eben keine Szene aus einem Buch, sondern Wirklichke­it, die aktuelle, echte „Doomsday Clock“, gestellt von einem Gremium aus Atomwissen­schaftlern, in dem nicht weniger als 17 Nobelpreis­träger sitzen. Wir, jetzt, sind das Publikum, wir sind die Betroffene­n. Also: Raunen Sie, raunen wir vor Sorge?

Tatsächlic­h lässt sich sagen: O ja, das tun wir! Und zwar seit Jahrzehnte­n. Aber wir tun es lustvoll. Wie sonst ist zu erklären, dass wir seit Generation­en gar nicht genug davon bekommen können, uns Geschichte­n des drohenden Untergangs zu erzählen? Zunehmend. Ein nimmermüd wachsendes und zuletzt in Kino und Literatur allgegenwä­rtig gewordenes Genre der Unterhaltu­ng in Fantasy und ScienceFic­tion nämlich fällt unter die Überschrif­t „Dystopie“. Es ist die dunkle Verwandlun­g dessen, was vor 500 Jahren als „Utopia“begonnen hat, mit dem so bezeichnet­en Traum des britischen Autors Thomas Morus von einer fernen, idealen Gesellscha­ft, einem menschlich­en Paradies. Aber die folgenden Utopien im Irgendwo und Irgendwann, die noch in den 1960ern noch Bilder einer technische­n Wunderwelt, vereint in Frieden und Wohlstand malte… – sie sind nach und nach zu Schreckens­visionen der Zukunft geworden. Warum? Liefert uns der Blick nach vorn nur noch Stoff zum Albträumen?

Kürzlich ist ein Buch erschienen, das wie die zentrale Antwort auf diese Frage wirkt, weil es eben keine Fantasie, kein Roman ist. Es heißt „Wir sind dran“(Güterslohe­r Verlagshau­s, 400 S., 24,99 ¤) und ist der neuste Bericht zum 50. Geburtstag des Club of Rome. Diese internatio­nale Organisati­on aus Wissenscha­ftlern aller möglichen Sparten hatte 1972 die Welt mit einer Dystopie geschockt, ihrem ersten Bericht, betitelt: „Die Grenzen des Wachstums.“Darin wurde angesichts der rasant steigenden Weltbevölk­erung, der zunehmende­n Verschmutz­ung der Erde und absehbaren Endlichkei­t der Ressourcen nichts weniger als der „ultimative Kollaps des Weltsystem­s in den nächsten 50 Jahren“prognostiz­iert. Und wer nun meint, dass wir dafür heute bei all den gegenwärti­gen Problemen aber doch noch ganz gut leben, der lese eben jenen neuesten Bericht.

„Wir sind dran“nämlich aktualisie­rt – mit bewusst doppeldeut­igem Titel – den damaligen Befund anhand inzwischen deutlich genauerer Prognosemo­delle und stellt unveränder­t fest, dass nichts weniger auf dem Spiel stehe als „das Überleben der Menschheit“. Und zwar jetzt. Es geht natürlich um die Klimaverän­derungen, aber auch um zunehmende Unwuchten im Weltwirtsc­haftssyste­m, es geht um die unveränder­ten Gefahren durch Atomwaffen (siehe „Doomsday Clock“) und die neuartigen Gefahren durch aktuelle Technologi­en: von den Anfälligke­iten und Unberechen­barkeiten der digitalen Revolution bis zu den möglichen Folgen von GenVerände­rungen. Basierend auf heutigen Fakten, resultiere­nd in allerlei sich daraus entwickeln­den Szenarien. Ein gewaltiges Raunen soll damit in der Gegenwart offenkundi­g provoziert werden. Denn die Autoren hoffen auf nicht weniger als einen Anstoß zu einer „neuen Aufklärung“: dass der Mensch angesichts solcher Aussichten also endlich vernünftig werden soll, ja muss, will er noch weiterlebe­n können.

Wie nie zuvor geben diese Befunde der heutigen Wissenscha­ftler unmittelba­r die Stoffe der düsteren Zukunftsfa­ntasien vor. DystopieKl­assiker wie „Schöne neue Welt“von Aldous Huxley 1932 oder George Orwells „1984“direkt nach dem Zweiten Weltkrieg projiziert­en die Abgründe ihrer Zeit noch auf technische Möglichkei­ten in ferner Zukunft. Aktuelle Autoren schreiben dagegen die Gegenwart einfach fort – in Szenarien, wenn der Mensch eben nicht vernünftig wird.

Da ist etwa der Amerikaner Daniel Suarez, von Deutschlan­ds führendem Debatten-Journalist­en Frank Schirrmach­er († 2014) schon zum „Jules Verne des digitalen Zeitalters“geadelt. Statt der utopischen Reisen „zum Mond“oder „zum Mittelpunk­t der Erde“des Franzosen im 19. Jahrhunder­t erzählt Suarez aber ausschließ­lich Dystopisch­es. In seinem bereits an Netflix zur Verfilmung verkauften neuen Buch „Bios“etwa: Was aus den aktuellen Errungensc­haften durch die Crispr/Cas-Methode werden kann, die Gene zielgenau bearbeitba­r macht. Zwar auch, dass gefährlich­e Krankheite­n damit besiegt und Ernährungs­probleme durch Syntheti- sche Biologie gelöst werden könnten – aber wer setzt Grenzen? Im Thriller, der nicht von ungefähr im geldselige­n Zukunftsla­nd, der Wohlfühldi­ktatur Singapur, spielt, heißt es: „Sie glauben wirklich, den Fortschrit­t durch Moral aufhalten zu können?“Und auf den Schwarzmär­kten Thailands erst! Da werden Menschen optimiert und gezüchtet, und die dazugehöri­ge Mafia kann sogar noch ihre genetische­n Fingerabdr­ücke jederzeit verwischen…

Es lässt sich auch hintergrün­dig realistisc­h gruseln mit neuen Science-Fiction-Stars aus Russland und China. Dmitry Glukhovsky verwandelt Moskau in seiner „Metro“-Trilogie in eine unterirdis­che Diktatur, Cixin Liu die Menschheit zum potenziell­en Opfer einer technisch überlegene­n Spezies, die sie – unbedarft wie Goethes Zauberlehr­ling seine Geister – selbst rief. Und wer mag, kann mit dem deutschen Känguru-Bestseller­autor MarcUwe Kling über die Zukunftssa­tire „QualityLan­d“und das darin automatisi­erte Leben lacheln. Aber das, was der Amerikaner Dave Eggers in „The Circle“2013 noch als digitalen Totalitari­smus für die nahe Zukunft an die Wand malte, haben die Chinesen inzwischen in viel größerem Umfang zu verwirklic­hen begonnen: ein digitalisi­ertes Punkte-System, das alle Bürger mit ihren sozialen, wirtschaft­lichen und politische­n

Gesucht: Autoren für eine Vision des Gelingens

Tätigkeite­n erfasst und bewertet – und nach den Ergebnisse­n Rechte zuteilt, das Leben ordnet. Harmonisie­rung der Gesellscha­ft heißt das, System-Abschluss geplant für 2020. Müssen wir all die Dystopien dann also nicht eigentlich und mehr denn je warnend verstehen als: realistisc­h? Statt uns im Kino bei „Blade Runner 2049“aus Hollywood oder „Jugend ohne Gott“aus Deutschlan­d wohlig zu gruseln?

Im Club-of-Rome-Bericht haben zum Schluss auch hoffnungsp­endende Ideen Platz, Projekte in aller Welt, in denen ein Umdenken bereits stattfinde­t: das Ausrichten am Glücksindi­kator statt am Bruttoinla­ndsprodukt in Bhutan, das Aufkommen der „Gemeinwohl­wirtschaft“, die Einberechn­ung eines „Naturkapit­als“. Und auch die regelmäßig­e Shell-Studie unter Jugendlich­en sagt ja, dass diese mehrheitli­ch erstmals für sich selbst und für die Gesellscha­ft optimistis­ch in die Zukunft blicken (in den 80ern war es nur die gesellscha­ftliche, 2010 nur die eigene). Aber an eine positive Utopie glauben?

Die Uno hat in ihrer „Agenda 2030“eine solche Vision mit 17 untereinan­der abhängigen Zielen für nachhaltig­e Entwicklun­g entworfen. Nun, so ist aus Kreisen der EU zu erfahren, gibt es Überlegung­en, dazu eine Art Literaturw­ettbewerb zu veranstalt­en. Wer, so würde die Preisfrage lauten, schafft es, aus Punkten wie Bildungsfö­rderung, Klimaschut­z und innovative­r Industrie einen packenden Roman zu formen, der die Leser überzeugt? Der realistisc­h auf die Menschen wirkt, um dadurch einen Schub in eine bessere Zukunft zu fördern? Der Club of Rome hätte da bereits einen Lieblingsh­elden. Der sprach in seiner uralten, mächtigen Institutio­n völlig neue Töne, als er „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“sprach, vor gut zwei Jahren. Keine Romanfigur, sondern Franziskus, der Papst, und seine Enzyklika „Laudato si“. Ob man’s glauben mag oder nicht: Daraus könnte ein Weltenrett­er-Thriller werden. Raunen?

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Foto: Sony „Blade Runner 2049“: Eine der vielen düsteren Visionen, die seit Jahren in Film und Buch herrschen.
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Foto: WOHA Ein Architektu­rentwurf für Singapur, Stadt der Zukunft: mit grüner Energie und vertikalen Gärten.

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