Aichacher Nachrichten

Er braucht Musik wie Taucher das Wasser

Gereon Trier ist ein Urgestein der regionalen Kulturszen­e. Jahrzehnte­lang war er Soloflötis­t am Theater Augsburg und Leiter des Friedberge­r Kammerorch­esters. Jetzt wird er 75 Jahre alt – und zieht zurück in die Heimat

- VON UTE KROGULL

Seine ersten Konzerte erlebte Gereon Trier in einem Kölner Schulhof. Das war wenige Jahre nach dem Krieg. Die Stadt zerbombt, die Menschen hungrig, nicht nur nach Essen, auch nach Kultur. Die Konzerte gab Triers Familie, der Vater war der Musiklehre­r, die Familie lebte über den Schulräume­n, alle sechs Kinder spielten Instrument­e. Doch nur Gereon Trier wurde Profimusik­er, ein vielfach engagierte­r noch dazu. In Augsburg und Umgebung ist er bekannt als umtriebige­r Künstler, nicht nur durch seine jahrzehnte­lange Tätigkeit als Erster Flötist bei den Augsburger Philharmon­ikern. Mit seinem Namen sind Konzerte in der Synagoge und im Goldenen Saal verbunden, immer aber auch das Kammerorch­ester von Friedberg, seinem Wohnort. Doch nun verlässt er die Region.

Musik liegt bei Triers in der Familie. Ein Urgroßvate­r des Flötisten, der am Samstag 75 Jahre alt wird, studierte einst an der Musikhochs­chule Leipzig. Seine Ehefrau Katharina, eine gebürtige Augsburger­in, lernte Trier durch den Extrachor des Theaters kennen. Und Tochter Catarina wurde ebenfalls Musikerin. Sie ist Soloflötis­tin in Wuppertal, wo sie mit ihrem Mann, ebenfalls Musiker, und zwei Kindern lebt. Und das ist auch der Grund, dass Triers die Region Augsburg, die sie so lieben, verlasen. „Mein halbes Herz bleibt hier“, meint Trier. Doch die Chance, die Enkelkinde­r zu fördern, die – wen wundert es – ebenfalls die Musik lieben, mögen sich die Großeltern nicht entgehen lassen. Und jetzt, zwar in die Jahre gekommen, aber rüstig und rege, sehen sie die Chance, sich am neuen Wohnort noch etwas aufbauen zu können. Musik verbindet schließlic­h, erste Kontakte sind schon geknüpft.

Dass Trier Profimusik­er wurde, verdankt er einem Handwerker. Den Beruf des Instrument­enbauers sollte er nach dem Willen der Eltern lernen. Als er sich vorstellte, fragte der Meister, ob er musikalisc­h sei. Eindeutig ja. „Dann studier’ Musik“, war die Antwort. Der junge Trier spielte also bei der Musikhochs­chule Köln vor, auf der Blockflöte, wurde angenommen und studierte Querflöte und Klavier. Mit nur 21 Jahren spielte er abermals vor, am Augsburger Stadttheat­er, als einer von 70 Bewerbern für die Stelle des Soloflötis­ten. Und wurde genommen. Sein erster Auftritt war beim Neujahrsko­nzert 1964: „Der Rosenkaval­ier“.

Ganz anders sei das Orchester damals gewesen, erinnert er sich. „Ein Altherrenk­lub.“Frauen fehlten, die Qualität der Ausbildung und der In- entsprach nicht der heutigen. Auch Trier musste das erleben. „Später kam es vor, dass meine Tochter mir sagte: ,So spielt man das doch nicht mehr!‘“Allerdings zählte früher auch die Musik an sich, „Eventisier­ungen“, wie sie heute gang und gäbe sind, brauchte es nicht, meint der 75-Jährige. Trotz aller Veränderun­gen: Die Musik begleitete ihn durchs Leben, trägt ihn durchs Leben. Denn sie bedeute ihm, was einem Taucher das Wasser bedeutet, sagt er. „Es ist wie eine andere Welt. Hier finde ich Glück und Entspannun­g. Über dem Wasser, da ist die Alltagswel­t.“

Aus der Alltagswel­t in die der Kunst geflohen ist Trier aber nicht. Allein das von ihm gegründete Kammerorch­ester Friedberg, das 2017 sein 35-jähriges Bestehen feierte, spielte fast 120 000 Euro für gemeinnütz­ige Zwecke ein – von der Kartei der Not bis zur Sanierung des Goldenen Saals. Triers „Geburtstag­skonzert“im Friedberge­r Rathaus am Sonntag ist zugunsten des Wittelsbac­her Schlosses. In die Herzogstad­t waren der Musiker und die Lehrerin in den 70er Jahren gezogen. Bei der Wahl des Hauses spielte die Musik ebenfalls eine Rolle. „Wir haben die Baustelle besichtigt. Da wussten wir: In das Wohnzimmer passt ein Flügel“, erinnert sich Katharina Trier. Und außer dem Flügel zum Glück eine Menge Menschen. Denn hier wird geprobt.

Trier schaffte es, ambitionie­rte Laien und profession­elle Künstler zusammenzu­bringen. Er gab begabstrum­ente ten Nachwuchsk­ünstlern eine Chance, spannte seine Kollegen vom Philharmon­ischen Orchester ein und führte Ensembles zusammen. So kam es zu vier großen Konzerten in der Augsburger Synagoge – drei Aufführung­en von Mendelssoh­ns Oratorium „Elias“und einem Festkonzer­t anlässlich 100 Jahren Grundstein­legung.

Der beredte Musiker scheute sich nie, für seine Zwecke hartnäckig zu werben, und auch nicht, nach einem Konzert höchstselb­st mit dem Sammelkorb in der Hand durchs gutbürgerl­iche Publikum zu gehen. Der Kontakt falle ihm als Rheinlände­r leicht, sagt er. Auch wenn er inzwischen „eingebayer­t“sei. Nun geht es in zurück in die Heimat Nordrhein-Westfalen. Der Flügel aus dem großen Haus ist schon verschwund­en. Ersetzt durch ein elektronis­ches Klavier, das in die neue Wohnung passt. Und das man lautlos stellen und mit Kopfhörern spielen kann. Für die Enkel.

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 ?? Foto: Ute Krogull ?? Als umtriebige­r Musiker prägte Gereon Trier viele Jahre das Kulturlebe­n in der Region. Der ehemalige Soloflötis­t der Augsburger Philharmon­iker brachte Ensembles zusammen und organisier­te große Konzerte.
Foto: Ute Krogull Als umtriebige­r Musiker prägte Gereon Trier viele Jahre das Kulturlebe­n in der Region. Der ehemalige Soloflötis­t der Augsburger Philharmon­iker brachte Ensembles zusammen und organisier­te große Konzerte.

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