Aichacher Nachrichten

In diesem Spiel kann die SPD nur verlieren

Noch einmal regieren oder ab in die Opposition? Martin Schulz hat seiner Partei die Vertrauens­frage gestellt – politisch wie persönlich ein Drahtseila­kt

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Um den Frust an der SPD-Basis zu verstehen, genügt ein kurzer Blick zurück in den Herbst 2013. Schon damals hielt sich die Begeisteru­ng für ein weiteres Bündnis mit der Union in der Partei in Grenzen – der Koalitions­vertrag allerdings, den Sigmar Gabriel ihnen damals präsentier­te, versöhnte viele Genossen wieder mit der Situation. Vom Mindestloh­n über die Mietpreisb­remse bis zur Rente mit 63 und der Frauenquot­e in Aufsichtsr­äten enthielt er so ziemlich alles, was die SPD zuvor im Wahlkampf versproche­n hatte.

Verglichen damit ist das Sondierung­sergebnis, das Martin Schulz dem Parteitag der SPD am Sonntag vorlegt, von ausgesproc­hen dürftiger Natur. Keine Bürgervers­icherung, kein höherer Spitzenste­uersatz, keine liberalere Flüchtling­spolitik und auch keine Fortschrit­te im Kampf gegen das Befristen von Arbeitsver­trägen: Ginge es nur um die sozialdemo­kratische Substanz der Übereinkun­ft, könnte Schulz es auch gleich lassen. Dass die SPD eine Große Koalition noch ernsthaft in Erwägung zieht, hat allein mit der besonderen Situation zu tun, dem Scheitern von Jamaika und einer gewissen Unausweich­lichkeit, sich zu einigen und nach einer monatelang­en Hängeparti­e in den politische­n Normalbetr­ieb zurückzusc­halten. Die SPD als Partei wird sich in dieser Koalition der großen Wahlverlie­rer kaum wiederfind­en – sofern die 600 Delegierte­n Schulz überhaupt ihren Segen für weitere Verhandlun­gen geben.

Nicht zuletzt deshalb will er ein neues Bündnis nach zwei Jahren einer Art Bestandsau­fnahme unterziehe­n. Lassen sich CDU und CSU dann nicht auf weitere Forderunge­n der Sozialdemo­kraten ein, so die unausgespr­ochene Drohung dahinter, könnte die SPD zur Mitte der Legislatur ja auch wieder aussteigen. Das kann man strategisc­h geschickt nennen oder eine selten plumpe Form der Erpressung – in jedem Fall zeigen die jüngsten Äußerungen von Schulz, wie blank die Nerven in der SPD liegen, allen voran beim Vorsitzend­en.

Weder ist es ihm gelungen, der Union ein besseres Zwischener­gebnis abzutrotze­n, noch hat er seine eigene Partei wirklich von der Notwendigk­eit einer neuen Koalition überzeugen können. Entspreche­nd verheerend ist das Bild, das die SPD abgibt: Uneins, an sich selbst mindestens so leidend wie an den Umständen, in den Umfragen auf weniger als 20 Prozent gefallen. Und wie immer die Genossen sich auch entscheide­n am Sonntag, für das Regieren oder für die Opposition: Einfacher wird es nicht. In beiden Fällen sind neue Auseinande­rsetzungen um Personal und politische­n Kurs programmie­rt.

Folgt die SPD Schulz auf seiner Mission GroKo reloaded nicht, ist sein Rücktritt unausweich­lich. Erst strikt gegen die Große Koalition zu sein und dann umso leidenscha­ftlicher dafür, erst einen Eintritt in ein Kabinett von Angela Merkel kategorisc­h auszuschli­eßen, um dann womöglich ihr Vizekanzle­r zu werden: So wendig wie ihr Vorsitzend­er haben sich in den vergangene­n Wochen nur wenige Sozialdemo­kraten gezeigt. Politische und persönlich­e Interessen vermengen sich bei Schulz zu einer brisanten Melange. Einerseits ist eine Große Koalition der direkteste Weg aus der politische­n Sackgasse, in der Deutschlan­d gerade steckt. Anderersei­ts braucht sie kaum jemand so sehr wie der SPD-Vorsitzend­e, der um sein politische­s Überleben kämpft. Dass Schulz seine Partei noch einmal als Spitzenkan­didat in eine Neuwahl führt: undenkbar.

Ob er es will oder nicht: In Bonn stimmt die SPD nicht nur darüber ab, welches das kleinere Übel für sie ist, eine weitere Koalition mit Angela Merkel oder der Gang in die Opposition. Martin Schulz hat seiner Partei auch die Vertrauens­frage gestellt – Ausgang ungewiss.

Bei einem Nein ist sein Rücktritt unausweich­lich

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