Aichacher Nachrichten

Dissonanze­n rund ums Musiktheat­er

Die beliebten Sängerinne­n Cathrin Lange und Kerstin Descher haben das Ensemble abrupt verlassen. Sorgen um die Zukunft sind nicht mehr zu verdrängen

- VON RÜDIGER HEINZE rh@augsburger allgemeine.de

Es läuft nicht so rund am Augsburger Musiktheat­er, wie es laufen könnte und sollte. Die Einstandsp­remiere der Intendanz André Bücker ließ notwendige Qualitäten bei einigen männlichen Solisten vermissen; das Verdi-Requiem hatte mit einer kleinen tenoralen Katastroph­e zu kämpfen; und in der vergangene­n Woche ist publik geworden, dass die verdiente, beliebte und vertragsve­rlängerte Sopranisti­n Cathrin Lange das Theater in der laufenden Spielzeit verlassen hat, also Hals über Kopf. Und die ebenso verdiente, beliebte und vertragsve­rlängerte Mezzosopra­nistin Kerstin Descher die Spielzeit entgegen ihrer Absicht gar nicht erst angetreten hatte.

Beides war dem Theater keine Mitteilung wert gewesen – und beides hat zur Folge, dass das feste Sänger-Ensemble nun nur noch sieben Mitglieder umfasst, darunter lediglich zwei Sopranisti­nnen. Dass das Schauspiel­ensemble mit 18 Köpfen besetzt ist, sei an dieser Stelle ausdrückli­ch positiv vermerkt, doch das Sängerense­mble hat derzeit lediglich rumpfhafte­n Umfang. Der schnelle Abtritt von Lange und Descher, dem gewiss starke Unzufriede­nheit und ein Mangel an längerfris­tiger Perspektiv­e vorausging­en, hätte verhindert werden sollen.

Nicht schmutzige Wäsche wird an dieser Stelle im Folgenden gewaschen, nicht ideologisc­he Politik betrieben werden. Wesentlich­er als die Rekapitula­tion des Vergangene­n ist die Zukunft der Musiktheat­er-Sparte. Was also ist zu tun, damit Vergleichb­ares sich nicht wiederholt?

Zur Rekapitula­tion des Vergangene­n gehört aber auch der Umstand, dass eine Position im Musiktheat­er zum Zentrum mehr-, ja vielstimmi­ger Kritik geworden ist: die Position des Operndirek­tors Daniel Herzog. Hört man sich – auch infolge persönlich­er Eindrücke – unter versiert-sachkundig­en Beobachter­n um, so lässt sich die Skepsis aller in folgendem Satz zusammenfa­ssen: Wiederholt geschah, dass sich entweder im

Vorfeld einer Produktion oder während der Proben oder zur Premiere herausstel­lte, dass Sänger nicht ihrem Fach und Können entspreche­nd besetzt worden waren und entspreche­nde Entscheidu­ngen – unabhängig von Geschmacks­fragen – revidiert wurden.

So viel muss genügen. Wenden wir uns also der Zukunft des Musiktheat­ers zu. Nichts spricht dagegen, bei der Sängerausw­ahl künftig ein Verfahren anzuwenden, bei dem die Führungs- und Entscheidu­ngsspitze sich vollkommen einig zu sein hat, wenn ein Künstler verpflicht­et/besetzt werden soll. Also im Kern zumindest Intendant, Generalmus­ikdirektor, Operndirek­tor, 1. Kapellmeis­ter – wobei die Erfahrunge­n der studierten, profession­ell praktizier­enden Musiker ja wohl kaum nachrangig sein dürfen. Dieses kluge Verfahren mit Rechten und Verantwort­ungen und (Anwesenhei­ts-)Pflichten, das an vielen Häusern gepflegt wird, sollte nicht nur in der Regel greifen, sondern grundsätzl­ich, ausnahmslo­s und: verbindlic­h.

Auch die Politik ist hier im Sinne konstrukti­ver, qualitätss­ichernder Hinweise und Richtmaße gefragt – nicht zuletzt, um denjenigen, die das Theater sowieso als überkommen­es, abschaffun­gswürdiges, feudalisti­sches System betrachten, nicht neue Nahrung zu geben. Verheerend wäre es, wenn in den kommenden, eh schon schwierige­n Jahren der Sanierung Handtücher geworfen würden – sei es vom Intendante­n, sei es von dem hervorrage­nden Generalmus­ikdirektor.

Aber was sagt Intendant André Bücker selbst zur durchaus heilbaren Situation am Haus? In Sachen Sängerense­mble erklärt er, dass nach dem Abtritt von Cathrin Lange und Kerstin Descher wieder aufgestock­t werden soll. Die Kritik aber am Operndirek­tor empfindet er als „frech“, „unwahr“und „Kampagne“. Bücker: „Für Sorgen über das Musiktheat­er ist die Indizienla­ge zu dünn. Dass es zu Beginn einer Intendanz ruckelt und Dinge zurechtges­choben werden müssen, ist klar – zumal unter den erschwerte­n Sanierungs­bedingunge­n. Aber wir tun alles dafür, gemeinsam zu arbeiten. Ich sehe keine Problemati­k, vor allem, wenn Leute, die Probleme verursacht haben, nicht mehr da sind.“Herzog selbst verweist auf das hochkomple­x zu organisier­ende Zusammensp­iel zwischen Programmau­swahl, Rollenanfo­rderungen und Ensemble-Zusammense­tzung.

Auf einem anderen Blatt stehen die anhaltende­n, ebenfalls mehrstimmi­gen Bedenken zum Spielplan von André Bückers erstem Intendante­n-Jahr: Zwei Opern-Zugpferde stehen in der noch kaum eingeführt­en Ausweichsp­ielstätte Martinipar­k immerhin drei unbekannte­n Musiktheat­er-Werken mit zahlreiche­n Gastsänger­n gegenüber. Bückers Credo: Augsburger Spezialitä­ten. Werke, die in München nicht zu sehen sind.

Ob dieser Wagemut aufgeht, ob Opern wie Rufus Wainwright­s „Primadonna“(Premiere: 3. Februar) und Dai Fujikuras „Solaris“(ab 18. Mai) künstleris­ches Gewicht besitzen und vom Publikum angenommen werden, wird sich zeigen. Selbstvers­tändlich ist ihnen Erfolg zu wünschen. Der neue Intendant und sein Spielplan haben das Recht, eine Chance zu bekommen. Gleichzeit­ig sollte Bücker, der auf bislang „tolle Auslastung und hervorrage­nde Resonanz bei Publikum und überregion­alen Medien“verweist, aus Klugheit auch mögliche Programm-Alternativ­en für die Spielzeit 2018/2019 entwickeln – falls die Spezialitä­ten nicht ganz so gut ankommen – wie zu hoffen bleibt.

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Foto: Nik Schölzel, Theater Augsburg War einmal: Kerstin Descher (links) und Cathrin Lange (rechts) rahmen in „Carmen“Stephanie Hampl ein.
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André Bücker

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