Wohin führt der Weg des Nahverkehrs?
Die Tarifreform des AVV verfolgte vor allem ein Ziel – die Bedürfnisse der Kunden standen dabei nicht im Vordergrund. Warum es für eine Diskussion über die Aufgaben des ÖPNV noch nicht zu spät ist
Wien greift tief in die Stadtkasse, um seinen Bürgern ein Geschenk zu machen: Das Jahresticket für den öffentlichen Nahverkehr kostet in Österreichs Landeshauptstadt 365 Euro. Von selbst rechnet es sich nicht, doch die Grünen hatten ihr Prestigeobjekt vor sechs Jahren politisch durchgesetzt. Seitdem überweist das Rathaus den Wiener Linien dafür jedes Jahr eine zweistellige Millionensumme.
Die Tarifreform des Augsburger Verkehrsverbundes AVV basiert auf anderen Überlegungen. Es ging nie um Geschenke an den Bürger, sondern darum, das jährliche Defizit von 40 Millionen Euro, das allein bei den Augsburger Stadtwerken aufläuft, zu halten. Ohne die Reform wären die Verkehrsbetriebe über kurz oder lang daran gescheitert: Die Abonnenten wurden weniger, die Einnahmen sanken. Es bestand Handlungsbedarf.
In seinen Werbekampagnen stellt der AVV finanzielle Argumente hintan. Was hervorgehoben wird, sind die bessere Übersichtlichkeit, optimierte Mitnahmemöglichkeiten und fairere Preise. Nur: Wer eine solche Reform ohne zusätzliches Finanzpolster umsetzt, muss die Vergünstigungen für einen Teil der Kunden wettmachen, indem er andere stärker belastet.
Diese Diskrepanz zwischen Marketing-Schönfärberei und Realität ist ein Punkt, der die Bürger verärgert. Ein anderer ist, dass sich die Attraktivität der Abos, die der Verkehrsverbund so hervorhebt, in Grenzen hält. Denn tatsächlich hat sich an den Konditionen für viele Angebote wenig geändert, sie sind – abgesehen vom 9-Uhr-Abo – auch finanziell nicht unbedingt lukrativer, manche Optionen wie das Seniorenabo wurden ganz gestrichen.
Seit die neuen Tarife eingeführt sind, hagelt es Kritik von Fahrgästen, die nun schlechter fahren. Die Stadtwerke sprechen von „Reaktionen im erwarteten Bereich“, dennoch scheinen sie nach der Erfahrung von fast drei Wochen schneller zum Nachbessern bereit. Stadtwerke-Chef Walter Casazza kann sich vorstellen, nach einem halben Jahr belastbare Zahlen vorzulegen. Das ist um mindestens ein halbes Jahr früher als von AVV und Kommunalpolitik angekündigt.
Doch selbst wenn es bereits im Sommer belastbare Zahlen gäbe – für die Fahrgäste wird sich die Situation wohl frühestens in einem Jahr ändern. Alles andere wäre kompliziert, weil aktuell abgeschlossenen Verträgen mit Nutzern sonst die Berechnungsgrundlage entzogen wäre; der AVV müsste Sonderregelungen finden – ein großer Aufwand. Nur eine Ursache für den Ärger vieler ÖPNV-Kunden ließe sich schneller beseitigen: die Weigerung, das Kurzstreckenticket auch in der Straßenbahn zu verkaufen. Die Stadtwerke täten gut daran, in diesem Punkt schnell zu reagieren.
Der AVV hat die Tarifreform zwei Jahre lang vorbereitet. Sie ging durch Kreistage und den Augsburger Stadtrat. Dort stimmten die SPD und die Ausschussgemeinschaft von Freien Wählern, Linken und ÖDP dagegen – alle anderen Fraktionen waren dafür. Interessant ist, dass ausgerechnet sie nun schon kurz nach dem Start Nachbesserungen fordern. Haben die Politiker von CSU und Grünen im Vorfeld nicht richtig hingesehen? Dass eine Verteuerung von Einzelfahrten um bis zu hundert Prozent für Ärger sorgen würde, hätte doch auffallen müssen. Dass hinter der Abschaffung der Zonen für Einzelfahrten, nicht aber für Abos, keine Logik steckt, auch.
Für eine Reform der Reform ist es nun zu spät – für eine Debatte darüber, was der öffentliche Nahverkehr leisten soll, nicht ganz. Sind Busse und Trambahnen lediglich eine infrastrukturelle Grundversorgung, also dafür gedacht, Menschen von A nach B zu befördern? Dann könnte die Rechnung des AVV am Ende aufgehen. Oder müsste der ÖPNV vielmehr als das Transportmittel der Zukunft gesehen werden, das dazu beiträgt, mehr Autos aus den Städten zu bringen?
Hätte man die Reform an diesem Ziel ausgerichtet, das Ergebnis wäre anders ausgefallen. Dann hätten attraktive Angebote für Bürger im Fokus gestanden. Dann hätten sich die Politiker mit dem Gedanken anfreunden müssen, den (in der Regel überall) defizitären Nahverkehr finanziell zu bezuschussen. Von diesem Wiener Modell ist man in der Region weit entfernt.
Vom Wiener Modell ist die Region weit entfernt