Die Frage der Woche Tempo 80 auf der Landstraße?
Tempo 80 auf deutschen Landstraßen ist eine Sache der Logik. Hält man sich nur die Fakten vor Augen, ist es zwingend, den Fuß vom Gas zu nehmen. In Bayern fanden im Jahr 2016 die meisten Verkehrsunfälle auf Landstraßen statt. Dort starben auch die meisten Unfallopfer. Fast ein ganzes Dorf – 394 Menschen – kam auf den Landstraßen ums Leben. Die Hauptunfallursache: Raserei. „Nicht angepasste Geschwindigkeit“, sagt die Polizei. Was ist der Nutzen von Tempo 100 auf Landstraßen? Schneller am Ziel zu sein wohl kaum. Wer 100 statt 80 Stundenkilometer fährt, ist bei einer zehn Kilometer langen Strecke nur minimal schneller am Zielort. Nicht selten treffen sich ein überholender Fahrer und der vermeintliche Schleicher im nächsten Ort an der roten Ampel wieder. Also – machen wir es wie Frankreich, führen wir Tempo 80 auf der Landstraße ein. Es gibt wenig zu verlieren, aber viel Sicherheit zu gewinnen – und Entschleunigung, nach der heute viele streben. Ich will hier nicht über gut ausgebaute Bundesstraßen sprechen, sondern über richtige Landstraßen zwischen Feldern und Wäldern, mit Kurven und Traktoren, über die man selten mehr als zehn, zwanzig Kilometer unterwegs ist. Raser werden auf diesen Strecken zum Risiko nicht nur für Radfahrer. Wo schnelle Autos und schnelle Motorräder zusammenkommen, endet es oft fatal. Das Recht, mit hohem Tempo unterwegs sein zu können, ist falsch verstandener Liberalismus.
Denn vergessen wir nicht: Wenn es Regeln gibt, halten sich einige exakt daran, viele aber drücken gerne ein Auge zu. Wo Tempo 100 gilt, fährt man eben auch mal 120. Das mag nicht legal sein, aber seien wir ehrlich, es ist so. Mit Tempo 80 hat man zumindest die Chance, dass diese Zeitgenossen „nur“100 fahren.
Mit der Vernunft kommt man dieser Frage nicht bei. Denn die Strecken, die wir im Auto zurücklegen, sind im Durchschnitt ja eher kurz. Rein rechnerisch stiegen wir etwa im Jahr 2010 für 55 Prozent aller unserer Wege ins Auto – und nach 16 Kilometern wieder aus. Wenn man diese 16 Kilometer mit 80 km/h zurücklegt statt mit 100, verliert man an Zeit: Nullkommafastgarnix. Nebenbei gewinnt man an Sicherheit, da, wie wir aus der Führerscheinprüfung nicht mehr wissen: Anhalteweg = Reaktionszeit + Bremsweg. Und so weiter. Stimmt alles. Aber Sie können es trotzdem vergessen.
Denn schließlich fahren wir manchmal auch lange Strecken auf der Bundesstraße (gerade in Frankreich, wo die neue Tempo-80-Regel bald gelten soll!) – und dann sieht das mit dem Zeitverlust gleich anders aus. Viel wichtiger ist aber etwas anderes. Seit Jahrzehnten werden unsere Autos immer größer, immer sicherer und vor allem immer leistungsfähiger. Das gleiche gilt – mit Abstrichen auch für unsere Straßen. Das hat zur Folge, dass uns Tempo 100 in einem neuen Auto vorkommt wie Tempo 60 in einem alten. Besonders krass sind die Folgen dieser Entwicklung auf der Autobahn zu sehen, wo wir dringend ein Tempolimit bräuchten, aber keines in Sicht ist: Da wird gerast und gedrängelt und genötigt ohne Sinn für jedes Risiko. Weil alles beschleunigt, muss es auch im Verkehr immer schneller gehen. Und dann fühlt man sich bei Tempo 130 unterfordert und drückt halt etwas fester drauf. Selbstüberschätzung aus einem Gefühl der Unterforderung. Das ist auf der Bundesstraße nicht anders als in der Tempo-30-Zone im Wohngebiet. Schilder kann man viele aufstellen. Ohne Einsicht und Kontrolle bleiben sie halt nur Schilder.