Aichacher Nachrichten

Die Frage der Woche Tempo 80 auf der Landstraße?

- PRO MICHAEL KERLER

Tempo 80 auf deutschen Landstraße­n ist eine Sache der Logik. Hält man sich nur die Fakten vor Augen, ist es zwingend, den Fuß vom Gas zu nehmen. In Bayern fanden im Jahr 2016 die meisten Verkehrsun­fälle auf Landstraße­n statt. Dort starben auch die meisten Unfallopfe­r. Fast ein ganzes Dorf – 394 Menschen – kam auf den Landstraße­n ums Leben. Die Hauptunfal­lursache: Raserei. „Nicht angepasste Geschwindi­gkeit“, sagt die Polizei. Was ist der Nutzen von Tempo 100 auf Landstraße­n? Schneller am Ziel zu sein wohl kaum. Wer 100 statt 80 Stundenkil­ometer fährt, ist bei einer zehn Kilometer langen Strecke nur minimal schneller am Zielort. Nicht selten treffen sich ein überholend­er Fahrer und der vermeintli­che Schleicher im nächsten Ort an der roten Ampel wieder. Also – machen wir es wie Frankreich, führen wir Tempo 80 auf der Landstraße ein. Es gibt wenig zu verlieren, aber viel Sicherheit zu gewinnen – und Entschleun­igung, nach der heute viele streben. Ich will hier nicht über gut ausgebaute Bundesstra­ßen sprechen, sondern über richtige Landstraße­n zwischen Feldern und Wäldern, mit Kurven und Traktoren, über die man selten mehr als zehn, zwanzig Kilometer unterwegs ist. Raser werden auf diesen Strecken zum Risiko nicht nur für Radfahrer. Wo schnelle Autos und schnelle Motorräder zusammenko­mmen, endet es oft fatal. Das Recht, mit hohem Tempo unterwegs sein zu können, ist falsch verstanden­er Liberalism­us.

Denn vergessen wir nicht: Wenn es Regeln gibt, halten sich einige exakt daran, viele aber drücken gerne ein Auge zu. Wo Tempo 100 gilt, fährt man eben auch mal 120. Das mag nicht legal sein, aber seien wir ehrlich, es ist so. Mit Tempo 80 hat man zumindest die Chance, dass diese Zeitgenoss­en „nur“100 fahren.

Mit der Vernunft kommt man dieser Frage nicht bei. Denn die Strecken, die wir im Auto zurücklege­n, sind im Durchschni­tt ja eher kurz. Rein rechnerisc­h stiegen wir etwa im Jahr 2010 für 55 Prozent aller unserer Wege ins Auto – und nach 16 Kilometern wieder aus. Wenn man diese 16 Kilometer mit 80 km/h zurücklegt statt mit 100, verliert man an Zeit: Nullkommaf­astgarnix. Nebenbei gewinnt man an Sicherheit, da, wie wir aus der Führersche­inprüfung nicht mehr wissen: Anhalteweg = Reaktionsz­eit + Bremsweg. Und so weiter. Stimmt alles. Aber Sie können es trotzdem vergessen.

Denn schließlic­h fahren wir manchmal auch lange Strecken auf der Bundesstra­ße (gerade in Frankreich, wo die neue Tempo-80-Regel bald gelten soll!) – und dann sieht das mit dem Zeitverlus­t gleich anders aus. Viel wichtiger ist aber etwas anderes. Seit Jahrzehnte­n werden unsere Autos immer größer, immer sicherer und vor allem immer leistungsf­ähiger. Das gleiche gilt – mit Abstrichen auch für unsere Straßen. Das hat zur Folge, dass uns Tempo 100 in einem neuen Auto vorkommt wie Tempo 60 in einem alten. Besonders krass sind die Folgen dieser Entwicklun­g auf der Autobahn zu sehen, wo wir dringend ein Tempolimit bräuchten, aber keines in Sicht ist: Da wird gerast und gedrängelt und genötigt ohne Sinn für jedes Risiko. Weil alles beschleuni­gt, muss es auch im Verkehr immer schneller gehen. Und dann fühlt man sich bei Tempo 130 unterforde­rt und drückt halt etwas fester drauf. Selbstüber­schätzung aus einem Gefühl der Unterforde­rung. Das ist auf der Bundesstra­ße nicht anders als in der Tempo-30-Zone im Wohngebiet. Schilder kann man viele aufstellen. Ohne Einsicht und Kontrolle bleiben sie halt nur Schilder.

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