„Schauspieler zahlen bar“ Moritz Bleibtreu spielt gerne kleine und große Gangster. Warum er Verdrängen gut findet und beim Drehen nicht an tote Katzen denken will
Warum haben Sie als Schauplatz von „Nur Gott kann mich richten“Frankfurt am Main gewählt?
Bleibtreu: Weil Frankfurt im Kino zu selten vorkommt. Mit all den Hochhäusern und Banken, aber auch dem Bahnhofsviertel und dem RotlichtMilieu. Viel Stahl, Viel Glas. In Frankfurt kann man sehr gut Großstadt erzählen. Viele der Rapper auf dem Soundtrack für den Film sind auch aus Frankfurt. Leider wird in Deutschland Hip-Hop immer noch nicht richtig verstanden. Aber ich habe das Gefühl, dass sich diese Musik nun langsam auch hierzulande durchsetzt. Hip-Hop ist schließlich der Rock’n’Roll unserer Zeit.
Im Film sagt eine Frau zu dem Gangster Ricky, den Sie darstellen: „Gott richtet uns, um uns zurückzuholen.“Glauben Sie an Gott?
Bleibtreu: Ich bin ein sehr gläubiger Mensch. Allerdings verachte ich die Kirche. Und das, was ich glaube, überschneidet sich nur in ganz kleinen Teilbereichen mit dem, was man so Religion nennt.
Sie würden also nicht – wie Ricky im Film – beten?
Bleibtreu: Nein. Und wenn ich es tue, muss ich mich nicht hinknien und meine Hände falten. Vielleicht bete ich ja auf gewisse Weise, ohne es zu wissen. Aber sicher nicht im üblichen Sinn. Ich habe unlängst mit meinem neunjährigen Sohn über Gott geredet. Und da sagte ich ihm, dass ich es toll fände, wenn jeder für sich seinen eigenen Gott definieren würde. Da wäre die Welt viel schöner und bunter. Da könnten wir uns alle untereinander austauschen und zwar unter der Regel: „Seid nett zueinander!“Wir brauchen keine Dogmatiker oder gar Fanatiker, die uns sagen, was richtig und falsch ist. Was unsere heutige Zeit braucht, sind Philosophen. Menschen, die gesellschaftliche Entwürfe entwickeln, Fantasien erspinnen und uns erklären, welche weitreichende Bedeutung diese digitale Welt hat. Die Menschen leben in einer Welt, in der sie das Gefühl haben, nichts mehr zu verstehen. Das ist ein großes Problem, das es zu lösen gilt.
Aus dieser Ohnmacht entsteht dann meist auch eine große Angst … Bleibtreu: ... und die führt immer zu reaktionären Verhaltensweisen – auf politischer, sozialer oder privater Ebene.
Oder es entsteht ein Gefühl der Heimatlosigkeit. Haben Sie eine Heimat? Bleibtreu: Ja, klar. Meine Heimat ist meine Familie. Immer da, wo ich bin und wo die Menschen sind, die ich liebe – da ist meine Heimat. Heimat war für mich nie ein Ort. Okay, Hamburg ist sicher eine ganz spezielle Stadt für mich. Da gibt es Ecken, St. Georg etwa, wo ich aufgewachsen bin: Wenn ich da hingehe, muss ich nur einmal tief durchatmen und weiß genau, hier riecht die Luft so, wie ich es kenne. Aber ich hatte noch nie einen emotionalen Bezug zu einem Stück Land. Nationalismus ist mir völlig fremd.
Im Film gibt es für die meisten Protagonisten Brüche, die ihr Leben drastisch verändern. Gibt es die auch in Ihrem Leben?
Bleibtreu: Ja, viele. Ich bin leider Gottes schon sehr früh in meinem Leben mit dem Tod in Berührung gekommen. Damit, wie es ist, Menschen zu verlieren, die man liebt.
Standen Sie damals, Anfang der 90er Jahre in New York, auch vor so einem Scheideweg? Sie sagten, dass Ihnen dort „der Stecker gezogen wurde“. Bleibtreu: Das meinte ich in Bezug auf die Schauspielerei. Ich konnte mit Method-Acting nicht viel anfangen. Okay, ich war damals mit 19 noch sehr jung, aber ich dachte, wenn sich all die tollen Schauspieler wie Robert de Niro, Al Pacino, Dustin Hoffman und so weiter das drauf schaffen konnten und ich nicht – dann bin ich wohl kein richtiger Schauspieler. Ich habe da schwer gelitten. Dieses Prinzip der Gegensätzlichkeit habe ich einfach nicht umsetzen können. Für mich ist das auch heute noch ein Widerspruch, zu sagen, ich nehme längst verdrängte Situationen, die mir tatsächlich passiert sind, und koche die dann für eine Filmszene wieder hoch. Ich denke also an meine tote Katze und rede darüber, dass du mich nicht mehr liebst. Das hat für mich instinktiv und emotional keinen Sinn gemacht.
Warum nicht?
Bleibtreu: Weil ich gar nicht an meine tote Katze denken will. Wenn man mir sagte, dass ich mich an schlimme Dinge in meinem Leben