Daran könnte die GroKo jetzt noch scheitern
Die SPD will über einen Koalitionsvertrag „verhandeln, bis es quietscht“. Speziell in einem Punkt könnte es sogar qualmen. An anderen Stellen signalisiert die Union dagegen eine gewisse Offenheit für Kompromisse
Berlin Nach dem sonntäglichen Parteitagskrimi von Bonn ist der Weg für Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Union frei. Doch vor der Bildung einer stabilen Regierung liegen noch einige mächtige Hürden. SPD-Chef Martin Schulz kündigte gestern nach einer Fraktionssitzung an, in den mit nur knapper Mehrheit beschlossenen Gesprächen „so viel wie möglich an sozialdemokratischer Politik durchzusetzen“. Und erhöhte damit den Druck auf CDU und CSU: „Wenn jetzt eine Regierung gebildet werden soll, geht das nicht ohne die Sozialdemokratische Partei.“Der Parteitag hat Schulz und der Parteispitze den klaren Auftrag erteilt, der Union im Vergleich zu den aus Sicht vieler Genossen dürftigen Ergebnissen der vorangegangenen Sondierungen noch einmal deutliche Zugeständnisse abzuringen. „Verhandeln bis es quietscht“, wie SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles in Bonn angekündigt hatte, will die SPD vor allem in drei Bereichen – mit äußerst unterschiedlichen Erfolgsaussichten.
Besonders schwierig dürfte ein Kompromiss über den Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus zu erzielen Im Sondierungspapier war zur Zuwanderung vereinbart worden, dass der Zuzug von Flüchtlingen auf 180000 bis 220000 pro Jahr begrenzt werden soll. Der Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge soll zunächst weiter ausgesetzt, später auf 1000 Menschen im Monat limitiert werden.
Vielen in der SPD genügt dies nicht. Laut Parteitagsbeschluss soll in den Koalitionsverhandlungen eine „weitergehende Härtefallregelung“durchgesetzt werden. SPDBundesvize Ralf Stegner zufolge soll diese etwa für „Kinder aus Kriegsgebieten“gelten. Doch heftiger Streit ist vorprogrammiert. Denn auf eine harte Haltung in der Flüchtlingspolitik drängt vor allem, aber nicht nur, die CSU. Im Hinblick auf die bayerischen Landtagswahlen im Herbst wird sie sich gegen die SPD-Forderung entschieden wehren. Auch CDU-Vize Thomas Strobl aus Baden-Württemberg sieht keinen Spielraum mehr für Nachverhandlungen, da über die Flüchtlingspolitik in den Sondierungsgesprächen bereits ein „detaillierter, ausverhandelter Koalitionsvertragstext“vereinbart worden sei. „Hier können wir nichts mehr ändern, sonst fangen wir wieder von vorne an“, sagt Strobl. Aus dem CDU-Arbeitnehmerflügel kommt dagegen der Ruf, der SPD in Sachen Flüchtlingspolitik entgegenzukommen. Christian Bäumler, Vizechef der CDU-Sozialausschüsse, mahnte, die Union solle sich auf ihr christliches Menschenbild besinnen und Familien über weitgehende Härtefallregelungen ein Zusammenleben zu ermöglichen.
Der Bonner Parteitagsbeschluss verlangt von der SPD-Spitze zudem, in Koalitionsverhandlungen mit der Union „das Ende der Zweiklassenmedizin“einzuleiten. Zu welchen Zugeständnissen sich CDU und CSU in der Gesundheitspolitik einlassen werden, ist aber noch unklar. Mit der Vereinbarung, nach der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung künftig wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und -nehmern bezahlt werden sollen, steht bereits ein wichtiges SPD-Anliegen im Sondierungspapier. Klar ist auch, dass sich die alte SPD-Forderung nach einer einheitlichen Bürgerversicherung als Ersatz für das System aus gesetzlicher und privater Krankenversichesein. rung nicht durchsetzen lassen wird. Dafür ist der Widerstand aus der Union zu stark. Doch kleinere Schritte im Kampf gegen die von Martin Schulz im Wahlkampf so vehement kritisierte Ungleichbehandlung von Kassen- und Privatpatienten könnten es durchaus in einen Koalitionsvertrag schaffen.
Ein Signal der Gesprächsbereitschaft kommt von CDU-Vizechefin Julia Klöckner: „Wir werden darüber reden, was wir zum Beispiel für gesetzlich Versicherte verbessern können, wenn sie zu lange warten müssen auf einen Arzt oder gar keinen Termin bekommen. Aber wir werden nicht einer Zwangsvereinigung mit einer Einheitskasse das Wort reden.“Die SPD fordert, dass sich die Versorgung nach dem Bedarf der Patienten richten müsse und nicht von ihrem Versicherungsstatus abhängen dürfe. In ihrem Wahlprogramm hatte die SPD dazu auch die Angleichung von Arzthonoraren für privat und gesetzlich Versicherte gefordert. Inwiefern darüber in Koalitionsverhandlungen diskutiert werden wird, ist noch nicht klar. Johann-Magnus von Stackelberg, Vizechef des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen, warnt vorsorglich: „Wenn einheitliche Honorierung bedeutet, dass die gesetzlichen Krankenkassen mehr bezahlen und die privaten Krankenversicherungen weniger, dann lehnen wir das ab.“
Auch die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen würde die SPD nur allzu gerne noch in einen Koalitionsvertrag hineinverhandeln. Die Chancen, dass zumindest Einschränkungen bei der Befristung vereinbart werden, stehen nicht schlecht. Obwohl der Wirtschaftsrat der CDU vor Erwartungen an weitere Zugeständnisse warnt. „Die Union darf sich jetzt nicht auf unseriöse Taktierereien der SPD einlassen“, sagt Generalsekretär Wolfgang Steiger. Das Sondierungspapier sei ein Gesamtpaket: „Dafür, dass zum Beispiel die sachgrundlose Befristung unangetastet bleibt, hat die Union an anderer Stelle einen hohen Preis gezahlt.“CSU-Vizechefin Dorothee Bär glaubt, vielen jungen Menschen werde der Einstieg in die Arbeitswelt sogar schwerer fallen, wenn es nur noch unbefristete Verträge gäbe. Doch in ihrem Wahlprogramm hatten CDU und CSU angekündigt, „offenkundige Missbräuche“bei der Befristung abzustellen. Auch der CDU-Arbeitnehmerflügel fordert eine Einschränkung befristeter Arbeitsverträge.
Welche Zugeständnisse sind möglich?