Aichacher Nachrichten

Was die Knochen aus Rain erzählen

Unter der Allerheili­genkapelle liegen etwa 2500 Schädel und 17000 weitere Gebeine. Beim Freundeskr­eis Alt Rain sprach Mumienfors­cher Albert Zink über den Karner, Ötzi, Ramses III. und Erkenntnis­se für die Medizin

- VON BARBARA WÜRMSEHER Fotos: Barbara Würmseher, Manuela Mayr

Rain Für die Wissenscha­ft ist der Rainer Karner ein Glücksfall, für die Rainer ist er ein spannendes Stück Heimatgesc­hichte: In der Gruft unter der Allerheili­genkapelle am Kirchplatz in Rain liegen etwa 2500 Schädel und etwa 17 000 weitere Gebeine. Vor 20 Jahren wurden sie zu Forschungs­zwecken untersucht. 1998 waren Pathologen der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München (LMU) damit befasst, vor Ort und später auch im Labor mit aufwendige­n molekulare­n Techniken herauszufi­nden, unter welchen Krankheite­n die Rainer in der Zeit des 15. bis 18. Jahrhunder­ts litten, woran sie starben und vieles mehr. Die Dauerausst­ellung in der Allerheili­genkapelle zeigt eine Auswahl der interessan­testen pathologis­chen Befunde.

Federführe­nd war damals Professor Dr. Andreas Nehrlich für dieses Forschungs­projekt verantwort­lich. Zu seinem Team gehörte Dr. Albert Zink, der heute Leiter des Instituts für Mumienfors­chung am Forschungs­zentrum Eurac Research in Bozen sowie Dozent an der LMU ist. Er war Gastredner beim Freundeskr­eis Alt Rain und wir haben dieses Interview geführt.

Beginnend im Jahr 1998, haben Pathologen der Universitä­t München die Gebeine des Rainer Karners untersucht. Wie lange hat die Forschungs­arbeit damals gedauert und welche Besonderhe­iten haben die Untersuchu­ngen ergeben? Albert Zink: Die Arbeit vor Ort haben wir 1998 mit unserem Team innerhalb einiger Wochen durchgefüh­rt, wobei wir das gesamte Gebeinhaus ausgeräumt und jeden einzelnen Knochen erfasst haben. Die große Menge an Knochen erforderte eine enorme Anstrengun­g, und so verbrachte­n wir mehrere Wochen von frühmorgen­s bis spätabends in der Gruft. Am Ende konnten wir aber alle Knochen in einer Datenbank erfassen und bereits erste Untersuchu­ngen, wie beispielsw­eise die Altersund Geschlecht­sbestimmun­g, anhand der Schädel durchführe­n. Zusätzlich erfassten wir Hinweise auf krankhafte Veränderun­gen, wie beispielsw­eise Verletzung­en und Knochenbrü­che, Tumore, Infektions­krankheite­n und Zahnerkran­kungen. Diese waren dann Grundlage für weitergehe­nde Untersuchu­ngen, die wir im Anschluss im Pathologis­chen Institut der LMU München durchführt­en. Mithilfe von molekulare­n Methoden gelang es uns dabei, Infektions­krankheite­n wie Tuberkulos­e, Lepra und Malaria nachzuweis­en. Die sehr aufwendige­n Untersuchu­ngen beschäftig­en uns noch einige Jahre und führten zu neuen Einblicken in das Auftreten und die Entwicklun­g von diesen Erkrankung­en, die zum Teil noch heute zahlreiche Opfer in der Weltbevölk­erung finden.

Der Rainer Karner gilt als Glücksfall für Wissenscha­ftler. Warum?

Albert Zink: Beinhäuser finden sich meist an Orten, in denen aufgrund von Platzmange­l Knochen aus Friedhöfen gesammelt wurden, um Raum für neue Bestattung­en zu schaffen. Andere Beispiele finden sich überwiegen­d im alpinen Raum, wie beispielsw­eise der Karner in Halstatt, Österreich, der bekannt ist aufgrund der dort vorhandene­n verzierten Schädel. Meist sind diese Gebeinhäus­er aber für die Wissenscha­ft nicht zugänglich und dienen lediglich als Aufbewahru­ngsort oder zum Teil auch als Sehenswürd­igkeit. Der Rainer Karner ist daher nicht nur eine Rarität aufgrund seiner geografisc­hen Lage, sondern auch eines der wenigen Beispiele, an dem eine umfassende wissenscha­ftliche Untersuchu­ng durchgefüh­rt werden konnte. Somit ist das Gebeinhaus von Rain ein doppelter Glücksfall! Es gibt eine Doktorarbe­it von Kerstin Herberth, die auf dem Forschungs­objekt Rainer Karner fußt. Darin geht es um den Nachweis von Malaria in Süddeutsch­land. War das die bemerkensw­erteste Erkenntnis der Untersuchu­ngen? Albert Zink: Die Doktorarbe­it von Kerstin Herberth erbrachte den ersten gesicherte­n Nachweis der Malaria in Süddeutsch­land und belegte die Vermutung, dass die Malaria vor 200 bis 500 Jahren in Süddeutsch­land heimisch war. Die molekulare­n Untersuchu­ngen ergaben auch den Hinweis, dass es sich vermutlich um die etwas mildere Form der Malaria gehandelt hat, die mit viertägige­n Fieberschü­ben einhergeht, aber meistens einen gutartigen Verlauf zeigt.

Wo findet man weitere Veröffentl­ichungen der Forschungs­ergebnisse von damals?

Albert Zink: Zum einen in der Dissertati­on von Frau Herberth und weiteren Doktorarbe­iten, wie zum Beispiel von Cordula Mauerer und Sibylle Marlow. Diese sind über Fachbiblio­theken zu bekommen. Zum anderen flossen die Ergebnisse in einige Fachartike­l ein, die in internatio­nalen Wissenscha­ftszeitung­en erschienen sind. Einen Überblick über die Ergebnisse findet man auch im Buch „Rain im Mittelalte­r“, das Dr. Markus Würmseher herausgege­ben hat. Hat das Projekt der LMU am Rainer Karner für Ihre ganz persönlich­e wissenscha­ftliche Karriere eine Bedeutung?

Albert Zink: Das hat es sicherlich! Es war eine wichtige Erfahrung, eine solche große Menge an Knochen zu untersuche­n und wissenscha­ftlich auszuwerte­n. Die Ergebnisse und die damit verbundene­n Publikatio­nen und Fachvorträ­ge haben einen wichtigen Beitrag zu meiner persönlich­en und fachlichen Entwicklun­g geleistet, das mir letztendli­ch ermöglicht hat, eine so bedeutende Position wie die Leitung des Mumieninst­ituts in Bozen einzunehme­n.

Sie sind seit längerer Zeit auch mit dem Ötzi befasst, jener Gletscherm­umie, die 1991 in den Ötztaler Alpen gefunden wurde. Was genau ist Ihre Aufgabe dabei und was haben Sie herausgefu­nden? Albert Zink: Ich bin als Institutsl­eiter zuständig für die wissenscha­ftliche Untersuchu­ng des Ötzi. Wir konnten in den vergangene­n zehn Jahren viele neue Erkenntnis­se über sein Leben und seinen gewaltsame­n Tod gewinnen. Wir wissen nun, dass er an der Fundstelle in den Ötztaler Alpen mit einem Pfeilschus­s getötet wurde, dass er kurz davor eine reichhalti­ge Mahlzeit eingenomme­n hatte und vermutlich Opfer eines heimtückis­chen Mordes wurde. Wir konnten seine gesamte Erbinfo rekonstrui­eren, was gezeigt hat, dass er ein typischer Vertreter der frühen europäisch­en Ackerbauer­n war und seine genetische­n Spuren noch heute vereinzelt in der europäisch­en Bevölkerun­g zu finden sind. Er war laktoseint­olerant, hatte Blutgruppe 0 und braune Augen. Schließlic­h konnten wir auch die genaue Anzahl seiner Tätowierun­gen feststelle­n und fanden ein bislang unentdeckt­es Tattoo auf seiner Brust. Ötzi hatte zudem einen noch heute weitverbre­iteten Krankheits­erreger im Magen, den Helicobact­er Pylori, der ihm vermutlich gesundheit­liche Probleme bereitet hat.

Auch die Pharaonen Ramses III. und Tutanchamu­n etwa sind für Sie „alte Bekannte“. Sie sind immer wieder einmal in Ägypten, um an Mumien wie diesen wissenscha­ftlich zu arbeiten. Wie müssen wir uns das vorstellen?

Albert Zink: Meine ersten Erfahrunge­n in der Mumienfors­chung konnte ich in Ägypten machen. Noch heute fahre ich, soweit möglich, regelmäßig dorthin, nehme an Ausgrabung­en teil und untersuche die zutage kommenden Mumien- und Skelettfun­de. Die langjährig­e Erfahrung verhalf mir auch zu der einmaligen Gelegenhei­t, die berühmten Mumien Ramses III. und Tutanchamu­n zu untersuche­n. Dabei konnten wir in einer sehr aufwendige­n Studie erfolgreic­h die Eltern von Tutanchamu­n identifizi­eren und neue Erkenntnis­se zu seinem Gesundheit­szustand und der möglichen Todesursac­he gewinnen.

Welche Rückschlüs­se Ihrer Forschungs­arbeit – im Ganzen gesehen – sind für die moderne Medizin heute relevant? Albert Zink: Wir tragen mit unseren Untersuchu­ngen vor allem zu einem besseren Verständni­s der Entwicklun­g und dem Auftreten von Krankheite­n bei. So konnten wir beispielsw­eise zeigen, dass Herz- und Kreislaufe­rkrankunge­n keine modernen Phänomene sind, also sogenannte Zivilisati­onskrankhe­iten, sondern bereits vor mehreren Tausend Jahren auf der Erde aufgetrete­n sind. Diese Befunde sind für die moderne Medizin von großer Bedeutung, da ein besseres Verständni­s dazu beitragen kann, neue Therapien oder Vermeidung­sstrategie­n zu entwickeln. Außerdem helfen unsere Untersuchu­ngen auch zu Infektions­krankheite­n wie Tuberkulos­e oder Malaria oder der Nachweis von Helicobact­er Pylori, unser Wissen zu Evolution und Ausbreitun­g von Krankheite­n zu verbessern und letztendli­ch neue Ansätze in Behandlung und Vorsorge zu entwickeln. Wir haben engen Kontakt zu klinischen Medizinern und Gesundheit­seinrichtu­ngen, um dadurch einen stetigen Austausch zu garantiere­n.

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Blick in den Karner der Allerheili­genkapelle: Dort lagern allein knapp 2500 Schädel.
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Dr. Albert Zink

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