Aichacher Nachrichten

Höher Wohnen in Gangneung

- VON MILAN SAKO ms@augsburger allgemeine.de

Cindy war noch nicht hier. Das Fleisch gewordene Klischee einer Bewohnerin von Marzahn würde so perfekt nach Südkorea passen wie Knoblauch zu Kimchi. Der sauer eingelegte Chinakohl und andere Gemüsesort­en zählen zur Leibspeise der Einheimisc­hen. Jetzt aber nicht abschweife­n. Einige Neubauten hier im Olympiador­f erinnern stark an die Trabantens­iedlung in Berlin-Marzahn. Der gleiche Architekt war hier in Gangneung am Reißbrett gesessen. Das Mediendorf wirkt in der ersten Anmutung wie die Plattenbau­siedlung nahe der deutschen Hauptstadt.

In schlanken Wohntürmen von mindestens 15 Stockwerke­n schlafen die Journalist­en während der Spiele in Gangneung. Der Südkoreane­r hat frühzeitig erkannt, dass in dem mit 50 Millionen Menschen dicht besiedelte­n Land der Platz knapp wird. Das Staatsgebi­et passt mit seiner Fläche 3,5 Mal in Deutschlan­d rein. Deshalb bauten die Olympia-Planer in die Höhe, nicht nur für die Medienleut­e. Die Zwei- und Dreizimmer-Appartemen­ts werden nach den Winterspie­len und den Paralympic­s an Privatleut­e verkauft.

Die Wohnungen verfügen theoretisc­h über einigen Komfort, den man jedoch nur eingeschrä­nkt nutzen kann. Die Küchenzeil­e beispielsw­eise ist komplett überklebt, ebenso besitzt der Parkettbod­en eine zweite Haut. Sobald die Journalist­en weg sind, werden die Wohnungen wirklich hübsch gemacht. Das ist bei Zimmerprei­sen zwischen 150 und 195 Dollar pro Nacht zwar ärgerlich, aber wir sind ja nicht zum Urlauben hier.

Freunde und Bekannte in der Heimat wünschten wie immer vor sportliche­n Großereign­issen „schöne Spiele“. Aber irgendwann ist es der Olympiafah­rer leid, den bisweilen fordernden Alltag eines Reporters zu schildern. Lassen wir sie in dem Glauben, dass sich der Schreiber einen faulen Lenz macht.

Der perfekte Tag geht so: Zuerst sieht der Journalist ein Skirennen an und plaudert mit Kitzbühel-Sieger Thomas Dreßen über den eigentümli­chen Schnee – weil das Meer hier so nah ist. Dann ein Essen mit Michael Hörmann. Der Chef des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s stammt schließlic­h aus Schwaben. Zur Verdauung noch die Skispringe­r beim Hinunterse­geln bestaunen. Aber nicht zu lang, denn als Abschluss folgt koreanisch­es Apres-Ski. Landesübli­che Regel: Jeder schenkt dem anderen ein und es ist unhöflich nicht auszutrink­en. Ach ja, zwischendu­rch noch ein Artikelche­n der Sekretärin diktieren, aber nur wenns zeitlich ins Freizeit-Programm passt.

Lasst die Spiele beginnen, die Reporter in Klein-Marzahn sind bereit.

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Foto: dpa In Südkorea wird vor allem in eine Rich tung gebaut: nach oben.
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