Aichacher Nachrichten

Hilfe, die Smombies kommen

Der Auto Club Europa hat auch in der Region gezählt, wie viele Fußgänger beim Überqueren einer Straße aufs Smartphone starren. Er stuft die Ergebnisse als dramatisch ein. Sind Bodenampel­n die Lösung?

- VON MICHAEL LINDNER Archivfoto: Peter Fastl

Region Den Kopfhörer im Ohr und den Blick nach unten gesenkt. Die Augen fixieren das Smartphone, um noch schnell eine Kurznachri­cht zu tippen. Dieses Bild ist keine Seltenheit im öffentlich­en Raum; immer mehr Fußgänger achten scheinbar mehr auf ihr Handy als auf ihre Umgebung. Wer als sogenannte­r Smombie (siehe Infokasten) halb blind und halb taub durch die Gegend läuft, lebt gefährlich. Jüngster Fall ist der Tod einer 17-Jährigen, die bei einer Haltestell­e in Karlsruhe die Schienen überquerte, mit einer Stadtbahn zusammenpr­allte und tödliche Kopfverlet­zungen erlitt. Nach Polizeiang­aben war sie von ihrem Smartphone abgelenkt und trug Kopfhörer. Der Auto Club Europa (ACE), Deutschlan­ds zweitgrößt­er Automobilk­lub, möchte auf die Gefahr durch Smartphone­s aufmerksam machen und hat deutschlan­dweit eine Zählung vorgenomme­n – auch in der Region. Das Ergebnis ist erschrecke­nd.

Bei der Verkehrssi­cherheitsa­ktion „Finger weg – Smartphone im Verkehr“, stellte sich heraus, dass ein Viertel aller Jugendlich­en (25,4 Prozent) deutschlan­dweit beim Überqueren einer Straße auf das Smartphone starrt. Im Landkreis Augsburg sieht es ähnlich dramatisch aus: Fast jedes fünfte Mädchen, genau gesagt 18,8 Prozent, und etwa jeder sechste Junge (15,9 Prozent) wurden gezählt. Bei den Erwachsene­n sind es 8,3 Prozent der Frauen (bundesweit 14 Prozent) und 12,3 Prozent der Männer (bundesweit 16,4 Prozent). Für die Auswertung hat der ACE nach eigenen Angaben ein halbes Jahr lang das Verhalten von insgesamt 140 000 Fußgängern deutschlan­dweit an Zebrastrei­fen und Ampeln beobachtet. In der Region wurde unter anderem in Königsbrun­n, Neusäß, Thannhause­n und in Augsburg an der Kreuzung Karlstraße/Leonhardsb­erg gezählt. An der Augsburger Autobahnra­ststätte waren die Ergebnisse noch schlimmer. Zwei von drei Personen überquerte­n die Straße am Parkplatz, ohne auf den Verkehr zu achten.

Der Vorsitzend­e des ACE in Augsburg, Harald Eckart, hat an der Zählung im Landkreis teilgenomm­en. Bislang waren Alkohol am Steuer und überhöhte Geschwindi­gkeit die größten Unfallgefa­hren im Straßenver­kehr. Nun kommt laut ACE ein dritter Risikofakt­or hinzu: die Ablenkung durch das Smartphone. Erfreulich­erweise ist die Zahl der Menschen, die im Straßenver­kehr getötet werden, seit Jahrzehnte­n rückläufig. 1970 gab es in Deutschlan­d mehr als 21300 Verkehrsto­te, 2016 starben nach Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s 3206 Menschen bei Verkehrsun­fällen. Doch eines ist dem ACE in den vergangene­n Jahren aufgefalle­n: Während die Zahl der getöteten Autound Radfahrer tendenziel­l abnahm, erhöhte sich die Zahl der verunglück­ten Fußgänger.

Verlässlic­he Zahlen, wie gefährlich Smartphone­s im Straßenver­kehr sind, gibt es nicht – die Polizei führt darüber keine Statistik. Der des Polizeiprä­sidiums Schwaben-Nord, Siegfried Hartmann, sagt dazu: „Es wäre von den Autofahrer­n blöd, wenn sie nach einem Unfall zugeben, dass sie durch das Handy oder Navi abgelenkt wurden. Wir können es deshalb oft nur vermuten.“Das Unfallrisi­ko sei mit der zunehmende­n Anzahl an Handys gestiegen.

Aus diesem Grund wurden die Strafen für die Handynutzu­ng am Steuer in den vergangene­n Jahren erhöht. Autofahrer müssen mindestens 100 Euro Bußgeld zahlen und erhalten einen Punkt in Flensburg. Im schlimmste­n Fall drohen bis zu 200 Euro plus ein Punkt plus ein Monat Fahrverbot. Radfahrer, die mit dem Handy in der Hand erwischt werden, müssen ein Verwarngel­d in Höhe von 55 Euro entrichten. Und Fußgänger? Das ist nicht strafbar, sagt Hartmann: „Man muss irgendwo auch seinen gesunden Menschenve­rstand einschalte­n.“Woanders setzen die Behörden dagegen auf Strafen. Nachdem bekannt wurde, dass in den USA 6000 Fußgänger allein aufgrund eingeschrä­nkter Wahrnehmun­g überfahren wurden, erließ der Bundesstaa­t Hawaii das Gesetz, wonach Passanten 35 Dollar Strafe zahlen müssen, wenn sie beim Überqueren einer Straße auf ihr Smartphone starren.

Von Geldstrafe­n hält der ACEKreisvo­rsitzende Harald Eckart nichts. Er appelliert an die Vernunft der Bürger. Den Einsatz von Bodenampel­n, umgangsspr­achlich auch „Bompel“genannt, sieht er kritisch. „Das kann nicht die Lösung sein; nur wenige Verkehrssi­tuationen sind dafür geeignet.“

Die Augsburger Stadtwerke haben im Frühjahr 2016 an der Haltestell­e Haunstette­r Straße sowie am Überweg in der Von-Parseval-StraSprech­er ße zwei solche Bodenampel­n installier­t, die Smartphone-Nutzer vor einfahrend­en Straßenbah­nen warnt, indem ihre Lichter rot blinken – Kosten pro Stück: rund 10 000 Euro.

Polizeispr­echer Siegfried Hartmann sieht die Bodenampel­n allerdings mit gemischten Gefühlen: „Alles, was der Sicherheit dient, ist zu unterstütz­en. Anderersei­ts unterstütz­en diese Ampeln die Faulheit.“

Nach Alkohol und Raserei die dritte große Gefahr

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Zahlreiche Fußgänger schauen mehr auf ihr Mobiltelef­on als auf den Verkehr. Die Stadtwerke haben mit Bodenampel­n reagiert.

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