Was Adam und Eva über Augsburg erzählen
Die grünliche Glasschale mit dem Sündenfall ist das älteste Zeugnis für den christlichen Glauben in Bayern. Sie verrät aber noch mehr über das Leben in der spätrömischen Stadt um das Jahr 360
Die Römer liebten solche Geschichten. Mythen, Wunder, Jagdszenen – das gefiel ihnen. Als das Christentum nicht mehr verboten war, schmückten sie ihre Alltagsgegenstände auch gerne mit biblischen Motiven, erzählt Stadtarchäologe Sebastian Gairhos. Etwa mit dem Sündenfall, als Adam und Eva zum verbotenen Apfel griffen. Diese Szene ist in die grünliche Glasschale eingeritzt, die 1600 Jahre später einen besonderen Blick auf das spätrömische Augsburg gewährt. Was damals als Trinkschale alltäglich war, öffnet heute einen exklusiven Blick auf die Zeit um das Jahr 360 in Augsburg und Süddeutschland.
Archäologen haben die Schale im Jahr 2000 gefunden, als sie auf einem Grundstück gegenüber der Stadtwerke im Hohen Weg gruben. Sie wurde offenbar als Ganzes weggeworfen und war bis auf eine Scherbe komplett. Das Motiv, das griechische Christusmonogramm aus X und P sowie der Trinkspruch „Lebe in Gott. Trinke, Du wirst leben!“belegen laut Gairhos, den christlichen Hintergrund. Es gibt nach seinen Worten ähnliche Fundstücke in Bayern, doch das Augsburger hat eine Besonderheit: „Durch Münzfunde lässt es sich genau datieren.“Spätestens im Jahr 360 nach Christus wurde die Trinkschale weggeworfen. Andere lassen sich nicht so genau datieren. Damit ist es bislang das älteste christliche Fundstück in Bayern. Davon ausgehend blättert Gairhos die Geschichte jener Zeit auf.
Es sind die Jahre nach der Christenverfolgung. Um 303 oder 304 soll die heilige Afra den Märtyrertod gestorben sein. Nun, sagt Gairhos, war das „Christentum erlaubt, aber noch nicht Staatsreligion“. Die Schale liefert einen Beleg, dass das Christentum damals in Augsburg – Hauptstadt der Provinz Raetien – angekommen war. Was sie nicht beweist: „Wir wissen nicht, ob der Eigentümer Christ war.“Vielleicht war er einfach begeistert von dem Motiv, mit dem er seine Gäste überraschte.
Die Trinkschalen wurden benutzt, wenn sich Römer zu sogenannten Symposien trafen. Bei diesen festlichen Anlässen wurde (verdünnter) Wein aus den Schalen getrunken und man nutzte einen besonderen Effekt: „Wenn die Schale gefüllt war, war das Motiv nicht zu erkennen“, sagt Gairhos. Erst beim Trinken tauchten die Motive auf, ein schöner Überraschungseffekt. Wer die gefundene Schale zum Mund führte, entdeckte ein zentrales Motiv aus der christlichen Welt.
Zu sehen sind Adam und Eva, die Schlange und der Baum. Wahrscheinlich, sagt Stadtarchäologe Gairhos, wurde sie in Köln oder im Rheinland hergestellt. Die Eva ist dem Handwerker oder Künstler deutlich besser gelungen als Adam. „Sie erinnert an die klassischen Darstellungen von Aphrodite oder Venus“, sagt Gairhos. Der Adam wirkt deutlich „plumper“. Vielleicht habe der Schöpfer für ihn keine passende Vorlage gehabt. Während die christlichen Bezüge klar sind, blie- ben aber auch noch viele Fragen offen.
Es lässt sich nicht sagen, wie genau der Fundort im spätrömischen Augsburg genutzt wurde. Gefunden wurden laut Gairhos Reste einer Badeanlage. Spuren deuten auf Umbauten hin. Es könnte eine Wohnung gewesen sein. Für eine „kultische Nutzung“, sagt er, gibt es keine „eindeutigen Hinweise“. Ungeklärt ist auch: Gab es um das Jahr 360 schon eine kirchliche Verwaltung in der Stadt? Einen Bischof? (Schriftliche) Belege fehlen, Bischofsgräber gibt es erst aus dem 9. Jahrhundert. Daher bleiben nur der Blick auf die Stadt in jener Zeit und der Vergleich zu anderen Orten. Zum einen legt die Schale laut Gairhos nahe, dass der christliche Glaube schon weit verbreitet war. Zum anderen war Augsburg damals immer noch eine Metropole. Während andere Städte schrumpften, wuchs die Bevölkerung; es dürften rund 10 bis 15000 Menschen gewesen sein. Augsburg war Provinzhauptstadt mit regem Kontakt zu Italien. Und da in anderen Städten ähnlicher Bedeutung in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts kirchliche Verwaltungen mit Bischöfen entstanden, könnte das in Augsburg auch so gewesen sein. Gairhos sagt: „Man müsste die Frage umkehren: Warum sollte es in Augsburg nicht so gewesen sein?“
Die grünliche Trinkschale liefert darauf keine Antwort. Mangels Museum ist sie in Augsburg derzeit nicht zu sehen. Andere Orte fordern sie laut Gairhos häufig an, damit sie ihre Geschichte erzählen kann.
Viele Städte schrumpften, Augsburg wuchs