Aichacher Nachrichten

Warum Elvira Martin nicht mehr Tram fahren darf

Benutzer von sogenannte­n E-Scootern können nur noch unter bestimmten Voraussetz­ungen mit dem öffentlich­en Nahverkehr fahren. Schuld ist ein bundesweit­er Erlass. Manche Betroffene haben jetzt ein Problem

- VON INA KRESSE (siehe Infokasten). (siehe Info).

Elvira Martin hatte einen Arzttermin. Sie wollte wie immer die Straßenbah­n nehmen. Seit ihrem Schlaganfa­ll vor 14 Jahren kann sich die 58-Jährige nur in einem E-Scooter fortbewege­n und ist auf den öffentlich­en Nahverkehr angewiesen. Doch an der Haltestell­e Schertlins­traße fuhr der Tramfahrer nicht die Rampe aus, über die Rollstuhl- und E-Scooter-Nutzer sonst hineingela­ngen. Er ließ Martin stehen – nicht aus böser Absicht. E-Scooter dürfen in Augsburgs Straßenbah­nen seit dem 1. Februar nicht mehr mitgenomme­n werden.

Hintergrun­d ist ein bundesweit­er Erlass, an den auch die Stadtwerke gebunden sind. Die Verkehrsmi­nister der Länder beschlosse­n bereits im März 2017, dass diese Elektromob­ile im öffentlich­en Nahverkehr nur noch unter Auflagen mitfahren dürfen. Es geht ausschließ­lich um E-Scooter, die anders als ein elektrisch­er Rollstuhl eine direkte Lenksäule haben und größer, höher und schwerer konzipiert sind. Sie dürfen nur noch mitfahren, wenn sie ein Prüfsiegel haben. Der Benutzer erhält es bei Erfüllung der Auflagen, die ihn selbst, aber auch die Beschaffen­heit seines E-Scooters betreffen Hinter den

Nur in den silbernen Bussen ist eine Mitnahme möglich

deutschlan­dweiten Vorgaben steckt die Sorge um die Sicherheit der E-Scooter-Fahrer und der anderen Fahrgäste. Jürgen Fergg von den Stadtwerke­n (swa) gibt zu, dass man in Augsburg immer wieder ein Auge zudrückte. Bis zu einem Vorfall.

Der Pressespre­cher zeigt mehrere Aufnahmen aus einer Straßenbah­n. Sie dokumentie­ren, wie ein Fahrer eines sogenannte­n Cityshoppe­rs in der Tram quer zur Fahrtricht­ung steht. Bei einer Bremsung gerät er damit ins Kippen. Der Mann fällt auf den Boden, andere Fahrgäste helfen ihm auf. „Ihm geschah nichts. Aber es zeigt, dass durchaus etwas passieren kann. Wenn bis zu 300 Kilo in Bewegung geraten, kann das gefährlich werden“, sagt Fergg. Seit dem Vorfall werden bei den Stadtwerke­n die Vorschrift­en rigoros eingehalte­n. Zum Leidwesen von Elvira Martin und anderen Betroffene­n.

In Augsburgs Straßenbah­nen sind E-Scooter damit tabu. Die Trams erfüllen die Platzanfor­derungen gemäß dem Erlass nicht. Sie sind zu schmal, erklärt die Leiterin des swaFahrbet­riebs, Stefanie Rohde. Nur in den silbernen Mercedes-Bussen sei eine Mitnahme möglich. Die MAN-Busse würden im Lauf der nächsten sechs Wochen umgerüstet.

Die neuen Richtlinie­n sorgen offenbar bei manchem Bus- und Tramfahrer für Verwirrung, wie Elvira Martin erzählt. Da sie ihre Wohnung im Nachsorgen­zentrum für Hirngeschä­digte am Siebentisc­hpark hat, steigt sie oft an der Schertlins­traße zu. „Das eine Mal nimmt mich ein Fahrer mit, das andere Mal nicht. Einer fragte per Funk erst mal nach, ob er mich einsteigen lassen darf.“Ein anderer Fahrer habe sie nur unter der Bedingung hineingela­ssen, dass sie aus ihrem E-Scooter steigt und sich auf einen Sitzplatz setzt. Für die gesundheit­lich beeinträch­tigte Frau ein schwierige­r Akt. Elvira Martin ist nicht nur verunsiche­rt, sie fühlt sich schikanier­t und diskrimini­ert.

Einen schweren Kampf habe sie seit dem Schlaganfa­ll hinter sich. habe ich endlich zu meiner Lebenslust zurückgefu­nden und jetzt werden mir solche Steine in den Weg gelegt. Als Behinderte ist man nichts wert“, sagt sie bitter.

Die Problemati­k ist auch bei Sozialbürg­ermeister Stefan Kiefer und beim Behinderte­nbeirat präsent. Dass bei vielen Unklarheit herrsche, sei ein Nebelsitua­tion, die man dringend auflösen müsse, so Kiefer. Claudia Nickl, Vorsitzend­e des Behinderte­nbeirates, sagt: „Wir haben sehr aufgebrach­te Bürger, was ich verstehe. Aber man darf nicht überreagie­ren.“Sie rät Betroffene­n, sich bei Beschwerde­fällen an den Behinderte­nbeirat zu wenden

Bei den Stadtwerke­n selbst läuft längst eine Informatio­nsoffensiv­e. Laut Sprecher Fergg wurden erneut alle 500 Bus- und Tramfahrer eingewiese­n. Diese wiederum verteilen Zettel an betroffene Fahrgäste. Darauf wird über den Erlass und das weitere Vorgehen informiert. Betroffene erhalten Tipps und die Telefonnum­mer von Dorothee Schäfer. Sie ist bei der swa die direkte Ansprechpa­rtnerin für Kunden mit E-Scootern. Schäfer kümmert sich darum, dass Nutzer bei Erfüllung der Auflagen das Prüfsiegel erhalten. Zudem berät sie bei Fragen. Sie schildert, wie unlängst zwei Damen mit ihren E-Scootern zu ihr kamen.

Die eine habe Multiple Sklerose, die andere sei halbseitig gelähmt. Schäfer ließ sich von den Frauen zeigen, dass sie vorschrift­smäßig in einen Bus manövriere­n können. Auch die E-Scooter selbst erfüllten die Richtlinie­n. Die Prüfung war bestanden. „Die Damen erhalten jetzt Aufkleber für ihre Cityshoppe­r. Die sind groß genug, dass sie jeder Busfahrer sieht.“Neulich war ein Herr bei ihr, ergänzt Schäfer. Sein E-Scooter fiel durch. Er war zu lang. „Der Mann überlegt sich, einen E-Rollstuhl zu kaufen.“Bislang seien die Nachfragen überschaub­ar. „Wir machen uns aber gerne die Mühe, jedem Einzelnen zu helfen.“

Elvira Martins Cityshoppe­r ist auch 15 Zentimeter länger als erlaubt. Zu ihrer Schwester nach Lechhausen oder zu den FCA-Spielen kommt die gebürtige Augsburger­in mit den öffentlich­en Ver„Inzwischen kehrsmitte­ln so jedenfalls wohl erst einmal nicht mehr.

Info Betroffene erreichen Dorothee Schäfer von den Stadtwerke­n unter 0821/6500 5737 oder unter doro thee.schaefer@swa augsburg.de. Claudia Nickl vom Behinderte­nbeirat ist unter 0821/324 4330 oder unter be hindertenb­eirat@augsburg.de erreichbar.

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Foto: Silvio Wyszengrad E Scooter, wie Elvira Martin einen fährt, dürfen im öffentlich­en Nahverkehr nur noch unter bestimmten Auflagen mitfahren. Auch die Augsburger Stadtwerke müssen sich an diesen bundesweit­en Erlass halten. Elvira Martin wird deshalb meist nicht mitgenomme­n.

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