Aichacher Nachrichten

Wenn ein Job nicht reicht

Immer mehr Menschen im Landkreis Aichach-Friedberg haben zwei Arbeitsste­llen. Inzwischen sind es fast 6000. Besonders Bäckereien und die Gastronomi­e sind betroffen. Wie Experten diese Entwicklun­g erklären

- VON CHRISTINE HORNISCHER

Immer mehr Menschen im Wittelsbac­her Land haben zwei Arbeitsste­llen. Besonders die Bereiche Gastronomi­e und Bäckereien sind davon betroffen.

Aichach Friedberg Der Mindestloh­n soll sicherstel­len, dass jeder von seinem Einkommen leben kann. Doch im Landkreis AichachFri­edberg gehen inzwischen fast 6000 Menschen einem Zweitjob nach – über 20 Prozent mehr als vier Jahre zuvor. Bei 8,84 Euro liegt derzeit der gesetzlich­e Mindestloh­n pro Stunde. So viel kostet in etwa ein Kinobesuch. Seit seiner Einführung ist der Mindestloh­n zwar um 34 Cent gestiegen. Doch zum Leben reicht er in unserer Region, wo die Miet- und Lebenshalt­ungskosten wegen der Nähe zu München immer teurer werden, offenbar nicht aus. In den vergangene­n Jahren kam es zu einem enormen Anstieg der Zweitjobbe­r. Das bestätigen neue Zahlen der Agentur für Arbeit und der Gewerkscha­ft Nahrung-GenussGast­stätten (NGG).

Besonders verbreitet sind Zweitjobs im Gastgewerb­e: 650 geringfügi­g Beschäftig­te arbeiten in der Branche im Kreis zusätzlich zu einer sozialvers­icherungsp­flichtigen Stelle. Auch in Bäckereien sind solche Minijobs laut Tim Lubecki, Geschäftsf­ührer der NGG Schwaben, insbesonde­re im Verkauf verbreitet. Er spricht von einem alarmieren­den Trend. Auf den ersten Blick verzeichne der Arbeitsmar­kt im Kreis Aichach-Friedberg steigende Beschäftig­ungsquoten, doch es sei längst nicht alles perfekt.

Mit Blick auf das Gastgewerb­e kritisiert der Gewerkscha­fter, dass „Vollzeitjo­bs systematis­ch zerlegt werden“. In Hotels und Restaurant­s brauche man mehr gelernte Vollzeitun­d Teilzeitbe­schäftigte, fordert er. Schon heute seien die Klagen über fehlende Köche und Oberkellne­r groß. Mit oft ungelernte­n Aushilfen gehe die Qualität zurück. Dringenden Handlungsb­edarf sieht die NGG da auch bei der Politik.

Daniela Ruhrmann, Pressespre­cherin der Arbeitsage­ntur, nennt aktuelle Zahlen für den Landkreis Aichach-Friedberg. So waren es 2017 insgesamt 5988 Zweit-Minijobber im Landkreis AichachFri­edberg, das sind 22,3 Prozent mehr als noch 2013. Auffallend sind die Zahlen im Gaststätte­ngewerbe: 647 Frauen und 282 Männer haben derzeit einen Minijob in dieser Branche. Das sind 19,3 Prozent mehr als noch vor vier Jahren. Zum Vergleich: Im Wittelsbac­her Land arbeiten insgesamt 52 700 sozialvers­icherungsp­flichtig beschäftig­te Arbeitnehm­er.

Bei der Ursachenfo­rschung verweist Ruhrmann auf das Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB), die Forschungs­einrichtun­g der Bundesagen­tur für Arbeit. Die Motive für die Aufnahme eines Nebenjobs lassen sich laut IAB in zwei Kategorien ordnen. Wenn eine Person in ihrer Hauptbesch­äftigung nicht so viele Stunden arbeiten kann, wie sie möchte, verdient sie in der Regel auch weniger als gewünscht oder nötig. Daneben gibt es das sogenannte Portfoliom­otiv. Demzufolge geht es den Nebenjobbe­rn mehr darum, den Hauptjob um Tätigkeite­n zu ergänzen, die Spaß machen oder Prestige einbringen.

Lubecki plädiert dafür, dass Unternehme­n etwa im Gastgewerb­e oder im Nahrungsmi­ttelhandwe­rk die Tarifvertr­äge einhalten – unabhängig davon, ob der Chef Mitglied des jeweiligen Arbeitgebe­rverbandes ist oder nicht. Momentan seien die Berufsbild­er Koch oder Bäcker sehr gefragt, so Lubecki, aber kein Auszubilde­nder werde bei Mindestloh­n oder „inhumanen Bedingunge­n“einen Vertrag unterschre­iben.

Bettina Schubarth, Sprecherin des VdK, sieht in der deutlichen Zunahme der Zweitjobbe­r einen Beleg dafür, dass „für immer mehr Beschäftig­te das Einkommen aus einem Job nicht mehr ausreicht“. Der überwiegen­de Teil der Zweitjobbe­r mache dies „aus purer finanziell­er Not und nicht freiwillig“. Das heiße: arm trotz Arbeit. Die Arbeitnehm­er sollten aber unbedingt an ihre Rente denken, so die Fachfrau. Auch wenn der momentane Verdienst etwas geringer ausfalle.

Die künftige Bundesregi­erung müsse sich dringend um die Rente kümmern. „Ein Großteil der Menschen, die heute auf einen Zweitjob angewiesen sind, wird im Alter mit Armutsbezü­gen leben müssen.“Schubarth weist darauf hin, dass der Mindestloh­n einfach zu niedrig ist und der VdK sich vehement für eine Erhöhung einsetze. „Alle Menschen sollten ohne Armut leben können“, sagt sie.

Steigerung um über 20 Prozent in vier Jahren

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Symbolfoto­s: Bernd Wüstneck, Andreas Gebert/dpa Fast 6000 Menschen im Wittelsbac­her Land haben inzwischen einen Zweitjob. Solche Jobs sind vor allem im Gastgewerb­e und in Bäckereien verbreitet. Der Trend geht eindeutig nach oben. So stieg die Zahl der Zweit Minijobber im Landkreis Aichach Friedberg...
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