Wenn ein Job nicht reicht
Immer mehr Menschen im Landkreis Aichach-Friedberg haben zwei Arbeitsstellen. Inzwischen sind es fast 6000. Besonders Bäckereien und die Gastronomie sind betroffen. Wie Experten diese Entwicklung erklären
Immer mehr Menschen im Wittelsbacher Land haben zwei Arbeitsstellen. Besonders die Bereiche Gastronomie und Bäckereien sind davon betroffen.
Aichach Friedberg Der Mindestlohn soll sicherstellen, dass jeder von seinem Einkommen leben kann. Doch im Landkreis AichachFriedberg gehen inzwischen fast 6000 Menschen einem Zweitjob nach – über 20 Prozent mehr als vier Jahre zuvor. Bei 8,84 Euro liegt derzeit der gesetzliche Mindestlohn pro Stunde. So viel kostet in etwa ein Kinobesuch. Seit seiner Einführung ist der Mindestlohn zwar um 34 Cent gestiegen. Doch zum Leben reicht er in unserer Region, wo die Miet- und Lebenshaltungskosten wegen der Nähe zu München immer teurer werden, offenbar nicht aus. In den vergangenen Jahren kam es zu einem enormen Anstieg der Zweitjobber. Das bestätigen neue Zahlen der Agentur für Arbeit und der Gewerkschaft Nahrung-GenussGaststätten (NGG).
Besonders verbreitet sind Zweitjobs im Gastgewerbe: 650 geringfügig Beschäftigte arbeiten in der Branche im Kreis zusätzlich zu einer sozialversicherungspflichtigen Stelle. Auch in Bäckereien sind solche Minijobs laut Tim Lubecki, Geschäftsführer der NGG Schwaben, insbesondere im Verkauf verbreitet. Er spricht von einem alarmierenden Trend. Auf den ersten Blick verzeichne der Arbeitsmarkt im Kreis Aichach-Friedberg steigende Beschäftigungsquoten, doch es sei längst nicht alles perfekt.
Mit Blick auf das Gastgewerbe kritisiert der Gewerkschafter, dass „Vollzeitjobs systematisch zerlegt werden“. In Hotels und Restaurants brauche man mehr gelernte Vollzeitund Teilzeitbeschäftigte, fordert er. Schon heute seien die Klagen über fehlende Köche und Oberkellner groß. Mit oft ungelernten Aushilfen gehe die Qualität zurück. Dringenden Handlungsbedarf sieht die NGG da auch bei der Politik.
Daniela Ruhrmann, Pressesprecherin der Arbeitsagentur, nennt aktuelle Zahlen für den Landkreis Aichach-Friedberg. So waren es 2017 insgesamt 5988 Zweit-Minijobber im Landkreis AichachFriedberg, das sind 22,3 Prozent mehr als noch 2013. Auffallend sind die Zahlen im Gaststättengewerbe: 647 Frauen und 282 Männer haben derzeit einen Minijob in dieser Branche. Das sind 19,3 Prozent mehr als noch vor vier Jahren. Zum Vergleich: Im Wittelsbacher Land arbeiten insgesamt 52 700 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer.
Bei der Ursachenforschung verweist Ruhrmann auf das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Die Motive für die Aufnahme eines Nebenjobs lassen sich laut IAB in zwei Kategorien ordnen. Wenn eine Person in ihrer Hauptbeschäftigung nicht so viele Stunden arbeiten kann, wie sie möchte, verdient sie in der Regel auch weniger als gewünscht oder nötig. Daneben gibt es das sogenannte Portfoliomotiv. Demzufolge geht es den Nebenjobbern mehr darum, den Hauptjob um Tätigkeiten zu ergänzen, die Spaß machen oder Prestige einbringen.
Lubecki plädiert dafür, dass Unternehmen etwa im Gastgewerbe oder im Nahrungsmittelhandwerk die Tarifverträge einhalten – unabhängig davon, ob der Chef Mitglied des jeweiligen Arbeitgeberverbandes ist oder nicht. Momentan seien die Berufsbilder Koch oder Bäcker sehr gefragt, so Lubecki, aber kein Auszubildender werde bei Mindestlohn oder „inhumanen Bedingungen“einen Vertrag unterschreiben.
Bettina Schubarth, Sprecherin des VdK, sieht in der deutlichen Zunahme der Zweitjobber einen Beleg dafür, dass „für immer mehr Beschäftigte das Einkommen aus einem Job nicht mehr ausreicht“. Der überwiegende Teil der Zweitjobber mache dies „aus purer finanzieller Not und nicht freiwillig“. Das heiße: arm trotz Arbeit. Die Arbeitnehmer sollten aber unbedingt an ihre Rente denken, so die Fachfrau. Auch wenn der momentane Verdienst etwas geringer ausfalle.
Die künftige Bundesregierung müsse sich dringend um die Rente kümmern. „Ein Großteil der Menschen, die heute auf einen Zweitjob angewiesen sind, wird im Alter mit Armutsbezügen leben müssen.“Schubarth weist darauf hin, dass der Mindestlohn einfach zu niedrig ist und der VdK sich vehement für eine Erhöhung einsetze. „Alle Menschen sollten ohne Armut leben können“, sagt sie.
Steigerung um über 20 Prozent in vier Jahren