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Eine Ärztin muss nicht auf einer Bewertungsplattform stehen
Karlsruhe/Augsburg Das Internet bietet Orientierung – jedenfalls einigen Menschen. Sie schauen online nach, wenn sie ein neues Smartphone kaufen wollen. Und sie suchen im Netz nach einem Hautarzt. Dort finden sich Bewertungen – und die helfen bei der Entscheidung.
Ein Beispiel: die Online-Plattform Jameda. Auf ihr kann ein Patient sich Ärzte aus verschiedenen Fachrichtungen in seiner Umgebung anzeigen lassen. Die Treffer sind versehen mit einer Bewertung in Schulnoten und es werden Kommentare von anderen Patienten angezeigt. Die schreiben: „Wenn es in diesem Portal eine schlechtere Note als 6 gäbe, dann hätte sie dieser Arzt verdient!“Oder: „Kompetent, freundlich, engagiert. Lieblingsarzt.“
Bislang sind dort alle Ärzte aufgeführt – ob sie wollten oder nicht. Das soll so sein, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) 2014. Das Problem dabei: Jameda hat bislang Unterschiede zwischen den Ärzten gemacht. Wer einen monatlichen Beitrag zwischen 59 und 139 Euro bezahlte, bekam Vorteile. Konnte sein Profil mit einem Foto ausschmücken und
Anzeigen von Konkurrenten von der eigenen Seite verbannen. Wer das nicht tat, hatte das Nachsehen. Dagegen hat sich eine Kölner Hautärztin gewehrt. Sie wollte nicht auf der Seite aufgeführt werden und nicht hinnehmen, dass Kollegen auf ihrer Seite für sich selbst werben. Deshalb hat sie geklagt und nun vom BGH recht bekommen. Die Ärztin wird jetzt von der Plattform gelöscht – und Jameda muss sein Geschäftsmodell ändern. Weil die Plattform zahlenden Ärzten Vorteile einräumt, verlässt sie in den Augen der Karlsruher Richter ihre Rolle als neutrale Informationsvermittlerin. Das geht nicht.
Augsburg Oobah Butler hat blondierte Haarspitzen und ein schelmisches Grinsen. Dem jungen Briten ist vor einem Jahr etwas gelungen: Er hat das Bewertungssystem von Tripadvisor, einer Plattform mit vermeintlich neutralen Nutzerbewertungen, bloßgestellt. Wie? Er machte aus seiner Gartenlaube innerhalb eines halben Jahres auf der Online-Plattform das beliebteste Restaurant Londons, obwohl dort nie ein einziger Gast gegessen hatte. Dazu registrierte er sich, bat Freunde und Bekannte, seinen Schuppen positiv zu bewerten und stellte gefälschte Bilder von Luxus-Gerichten auf seine Seite. Er hatte Erfolg.
Ein extremes Beispiel. Aber es verdeutlicht, wie sehr sich Menschen auf Internetbewertungen verlassen. So fand der Verband der Digitalbranche Bitkom vergangenes Jahr in einer Umfrage unter Online-Kunden heraus, dass sich zwei Drittel der Verbraucher vor einem Kauf die Bewertungen durchlesen – und sich durch sie beeinflussen lassen.
Das Problem: Im Internet kann man nicht nur Restaurants, Hotels oder Online-Verkäufer bewerten. Auch Lehrer, Professoren und Ärzte bekommen Noten im Netz. Die Bertelsmann Stiftung fand vergangenes Jahr heraus, dass jeder zweite Deutsche Internetportale, auf denen Ärzte bewertet werden, zumindest kennt. Wer diese Seiten nutzt, verlasse sich bei der Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Praxis auch auf die Bewertungen. So gaben 60 Prozent der Befragten an, sich wegen solcher Informationen für eine Praxis entschieden zu haben – bei 43 Prozent hat eine negative Bewertung dazu geführt, dass sie nicht zu einem Arzt gegangen sind. „Unabhängige Ärztebewertungen sind ein guter Wegweiser und erhöhen die Transparenz und den Patientenschutz im Gesundheitssystem“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Auch die Bundesärztekammer billigt Bewertungsportalen eine Orientierungsfunktion zu.
Doch für den Verbraucher ist es nicht so einfach. Denn in machen Fällen – wie dem des jungen Briten – gaukeln Bewertungsportale etwas vor, das sie nicht haben: Authentizität. Ein bisschen Recherche im Internet reicht aus und schon findet man einen Anbieter, der gute Bewertungen verkauft. Auch für Ärzte. Gerade sind die Bewertungen im Sonderangebot. Eine kostet 39 Euro, 20 gibt es für 619 Euro. Eine andere Seite wirbt mit dem Spruch: „Echte Bewertungen, von echten Menschen!“Denn die Betreiber der Bewertungsportale wissen, wie wichtig Glaubwürdigkeit ist und versuchen mit Computerprogrammen maschinengeschriebene Bewertungen herauszufiltern. Für die Bundesärztekammer ist die redaktionelle Bearbeitung der Kommentare extrem wichtig. Sie hat einen Kriterienkatalog ausgearbeitet, welche Voraussetzungen Bewertungsportale erfüllen müssten, um verlässlich zu sein. Längst nicht alle Portale halten diese Wünsche ein. Aber immerhin ist es bei Ärztebewertungen so, dass Menschen, die negative Bewertungen abgeben, beweisen können müssen, dass sie vom Arzt behandelt wurden. Ansonsten wird ihr Kommentar gelöscht. So hat es der Bundesgerichtshof (BGH) im März 2016 entschieden.
Auch jetzt haben die Karlsruher Richter wieder ein Urteil zur Ärztebewertung im Internet gefällt. Diesmal ging es um ein anderes Problem, dass es Nutzern erschwert, einzu- schätzen, ob eine Bewertung verlässlich ist oder nicht. Im Jahr 2014 urteilten die BGH-Richter, dass grundsätzlich alle Ärzte in Bewertungsplattformen zu finden sein sollten. Daraus haben verschiedene Portale ein Geschäftsmodell entwickelt. So bietet etwa die Plattform Jameda Medizinern an, gegen einen Betrag besser gefunden zu werden. Dazu kommt: Wer nicht zahlt, musste bislang hinnehmen, dass Anzeigen von Konkurrenten auf seinem Profil zu sehen waren. Das haben die BGH-Richter nun unterbunden. Denn indem es eine ZweiKlassen-Gesellschaft schaffe, verletzt Jameda in ihren Augen das Gebot zur neutralen Information.
Doch auch mit der Entscheidung bleibt ein Grundproblem: die Frage, wie verlässlich Internet-Bewertungsportale sind. Tatjana Halm, Rechtsexpertin der Verbraucherzentrale Bayern hat darauf eine klare Antwort: „Gar nicht“, sagt sie. Weder die Anzahl der Bewertungen, noch die abgegebene Note können ihrer Ansicht nach dafür garantieren, dass eine Beurteilung echt ist. „Ein Verbraucher kann sich das angucken, aber darauf verlassen sollte er sich nicht“, sagt sie. Die meisten Verbraucher scheinen das zu wissen. In einer Umfrage der Verbraucherzentralen sagten nur zwei Prozent der Befragten, dass sie sich voll und ganz auf Internet-Bewertungen verlassen. Aber jüngere lassen sich stärker davon beeinflussen als ältere Befragte.