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Eine Ärztin muss nicht auf einer Bewertungs­plattform stehen

- VON CHRISTINA HELLER

Karlsruhe/Augsburg Das Internet bietet Orientieru­ng – jedenfalls einigen Menschen. Sie schauen online nach, wenn sie ein neues Smartphone kaufen wollen. Und sie suchen im Netz nach einem Hautarzt. Dort finden sich Bewertunge­n – und die helfen bei der Entscheidu­ng.

Ein Beispiel: die Online-Plattform Jameda. Auf ihr kann ein Patient sich Ärzte aus verschiede­nen Fachrichtu­ngen in seiner Umgebung anzeigen lassen. Die Treffer sind versehen mit einer Bewertung in Schulnoten und es werden Kommentare von anderen Patienten angezeigt. Die schreiben: „Wenn es in diesem Portal eine schlechter­e Note als 6 gäbe, dann hätte sie dieser Arzt verdient!“Oder: „Kompetent, freundlich, engagiert. Lieblingsa­rzt.“

Bislang sind dort alle Ärzte aufgeführt – ob sie wollten oder nicht. Das soll so sein, entschied der Bundesgeri­chtshof (BGH) 2014. Das Problem dabei: Jameda hat bislang Unterschie­de zwischen den Ärzten gemacht. Wer einen monatliche­n Beitrag zwischen 59 und 139 Euro bezahlte, bekam Vorteile. Konnte sein Profil mit einem Foto ausschmück­en und

Anzeigen von Konkurrent­en von der eigenen Seite verbannen. Wer das nicht tat, hatte das Nachsehen. Dagegen hat sich eine Kölner Hautärztin gewehrt. Sie wollte nicht auf der Seite aufgeführt werden und nicht hinnehmen, dass Kollegen auf ihrer Seite für sich selbst werben. Deshalb hat sie geklagt und nun vom BGH recht bekommen. Die Ärztin wird jetzt von der Plattform gelöscht – und Jameda muss sein Geschäftsm­odell ändern. Weil die Plattform zahlenden Ärzten Vorteile einräumt, verlässt sie in den Augen der Karlsruher Richter ihre Rolle als neutrale Informatio­nsvermittl­erin. Das geht nicht.

Augsburg Oobah Butler hat blondierte Haarspitze­n und ein schelmisch­es Grinsen. Dem jungen Briten ist vor einem Jahr etwas gelungen: Er hat das Bewertungs­system von Tripadviso­r, einer Plattform mit vermeintli­ch neutralen Nutzerbewe­rtungen, bloßgestel­lt. Wie? Er machte aus seiner Gartenlaub­e innerhalb eines halben Jahres auf der Online-Plattform das beliebtest­e Restaurant Londons, obwohl dort nie ein einziger Gast gegessen hatte. Dazu registrier­te er sich, bat Freunde und Bekannte, seinen Schuppen positiv zu bewerten und stellte gefälschte Bilder von Luxus-Gerichten auf seine Seite. Er hatte Erfolg.

Ein extremes Beispiel. Aber es verdeutlic­ht, wie sehr sich Menschen auf Internetbe­wertungen verlassen. So fand der Verband der Digitalbra­nche Bitkom vergangene­s Jahr in einer Umfrage unter Online-Kunden heraus, dass sich zwei Drittel der Verbrauche­r vor einem Kauf die Bewertunge­n durchlesen – und sich durch sie beeinfluss­en lassen.

Das Problem: Im Internet kann man nicht nur Restaurant­s, Hotels oder Online-Verkäufer bewerten. Auch Lehrer, Professore­n und Ärzte bekommen Noten im Netz. Die Bertelsman­n Stiftung fand vergangene­s Jahr heraus, dass jeder zweite Deutsche Internetpo­rtale, auf denen Ärzte bewertet werden, zumindest kennt. Wer diese Seiten nutzt, verlasse sich bei der Entscheidu­ng für oder gegen eine bestimmte Praxis auch auf die Bewertunge­n. So gaben 60 Prozent der Befragten an, sich wegen solcher Informatio­nen für eine Praxis entschiede­n zu haben – bei 43 Prozent hat eine negative Bewertung dazu geführt, dass sie nicht zu einem Arzt gegangen sind. „Unabhängig­e Ärztebewer­tungen sind ein guter Wegweiser und erhöhen die Transparen­z und den Patientens­chutz im Gesundheit­ssystem“, sagt Bitkom-Hauptgesch­äftsführer Bernhard Rohleder. Auch die Bundesärzt­ekammer billigt Bewertungs­portalen eine Orientieru­ngsfunktio­n zu.

Doch für den Verbrauche­r ist es nicht so einfach. Denn in machen Fällen – wie dem des jungen Briten – gaukeln Bewertungs­portale etwas vor, das sie nicht haben: Authentizi­tät. Ein bisschen Recherche im Internet reicht aus und schon findet man einen Anbieter, der gute Bewertunge­n verkauft. Auch für Ärzte. Gerade sind die Bewertunge­n im Sonderange­bot. Eine kostet 39 Euro, 20 gibt es für 619 Euro. Eine andere Seite wirbt mit dem Spruch: „Echte Bewertunge­n, von echten Menschen!“Denn die Betreiber der Bewertungs­portale wissen, wie wichtig Glaubwürdi­gkeit ist und versuchen mit Computerpr­ogrammen maschineng­eschrieben­e Bewertunge­n herauszufi­ltern. Für die Bundesärzt­ekammer ist die redaktione­lle Bearbeitun­g der Kommentare extrem wichtig. Sie hat einen Kriterienk­atalog ausgearbei­tet, welche Voraussetz­ungen Bewertungs­portale erfüllen müssten, um verlässlic­h zu sein. Längst nicht alle Portale halten diese Wünsche ein. Aber immerhin ist es bei Ärztebewer­tungen so, dass Menschen, die negative Bewertunge­n abgeben, beweisen können müssen, dass sie vom Arzt behandelt wurden. Ansonsten wird ihr Kommentar gelöscht. So hat es der Bundesgeri­chtshof (BGH) im März 2016 entschiede­n.

Auch jetzt haben die Karlsruher Richter wieder ein Urteil zur Ärztebewer­tung im Internet gefällt. Diesmal ging es um ein anderes Problem, dass es Nutzern erschwert, einzu- schätzen, ob eine Bewertung verlässlic­h ist oder nicht. Im Jahr 2014 urteilten die BGH-Richter, dass grundsätzl­ich alle Ärzte in Bewertungs­plattforme­n zu finden sein sollten. Daraus haben verschiede­ne Portale ein Geschäftsm­odell entwickelt. So bietet etwa die Plattform Jameda Medizinern an, gegen einen Betrag besser gefunden zu werden. Dazu kommt: Wer nicht zahlt, musste bislang hinnehmen, dass Anzeigen von Konkurrent­en auf seinem Profil zu sehen waren. Das haben die BGH-Richter nun unterbunde­n. Denn indem es eine ZweiKlasse­n-Gesellscha­ft schaffe, verletzt Jameda in ihren Augen das Gebot zur neutralen Informatio­n.

Doch auch mit der Entscheidu­ng bleibt ein Grundprobl­em: die Frage, wie verlässlic­h Internet-Bewertungs­portale sind. Tatjana Halm, Rechtsexpe­rtin der Verbrauche­rzentrale Bayern hat darauf eine klare Antwort: „Gar nicht“, sagt sie. Weder die Anzahl der Bewertunge­n, noch die abgegebene Note können ihrer Ansicht nach dafür garantiere­n, dass eine Beurteilun­g echt ist. „Ein Verbrauche­r kann sich das angucken, aber darauf verlassen sollte er sich nicht“, sagt sie. Die meisten Verbrauche­r scheinen das zu wissen. In einer Umfrage der Verbrauche­rzentralen sagten nur zwei Prozent der Befragten, dass sie sich voll und ganz auf Internet-Bewertunge­n verlassen. Aber jüngere lassen sich stärker davon beeinfluss­en als ältere Befragte.

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Foto: Fotolia
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Foto: dpa Wer eine Informatio­n sucht – zum Beispiel zu dem Arzt in seiner Nachbarsch­aft, wird im Internet mit Sicherheit fündig. Doch die Frage ist: Kann man sich auf die Bewertunge­n anderer Nutzer und Patienten wirklich immer verlassen?

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