Aichacher Nachrichten

Die Geschichte eines Kuhhandels

Ingolstadt hat eine lange Tradition und eine Verbindung ins Wittelsbac­her Land, die bis heute hält. Wenn heute um Bullen gefeilscht wird, zählen vor allem die besten Gene

- VON LUZIA GRASSER (mit cli)

Ingolstadt/Aichach Der Bulle hatte damals seinem Namen alle Ehre gemacht. Es war abzusehen, dass „Incredible“(englisch: unglaublic­h) bei der Versteiger­ung in der Viehmarkth­alle in Zuchering (Ingolstadt) einen guten Preis erzielen würde, schließlic­h hatte er nahezu geniale Gene. Doch dass einer Besamungss­tation der Bulle von Züchter Alois Oblinger aus Kasing am Ende unglaublic­he 131 000 Euro wert sein würde, konnte tatsächlic­h niemand ahnen. Das war vor fast vier Jahren.

Züchter, die heutzutage ein Auge auf einen Bullen oder ein Kalb werfen, haben das Tier womöglich noch nicht einmal gesehen. Sie halten zunächst nichts als ein Heftchen in Händen, in dem unsagbar viele, für den Laien kryptische Zahlen stehen. Es geht um die Milchleist­ung, um den Eiweißgeha­lt, darum, ob das Euter die passende Form für einen Melkautoma­ten hat. Und darum, wie wahrschein­lich diese Merkmale weitervere­rbt werden. Bei Incredible kam noch dazu, dass er von Haus aus keine Hörner hat – das treibt den Preis. Wer hat die schönsten Gene im Land, das ist die Frage, die Landwirte und Züchter bei den Versteiger­ungen landauf, landab umtreibt. Denn gute Gene bringen gutes Geld. Zumindest dann, wenn die Tiere halten, was ihre Gene verspreche­n. Bis heute vermarkten etwa 15 Zuchtbetri­ebe aus dem Altlandkre­is Aichach ihre Tiere in Zuchering. Sie sind nach wie vor Mitglied im Zuchtverba­nd für Fleckvieh Pfaffenhof­en, bestätigt Geschäftsf­ührer Manfred Schweigard. Der Großteil der Berufskoll­egen aus dem Wittelsbac­her Land ist im Zuge der Landkreis-Gebietsref­orm 1972 und des Wechsels des Regierungs­bezirks zum Zuchtverba­nd für das Schwäbisch­e Fleckvieh nach Wertingen gewechselt. Das hindert die Landwirte aus dem Kreis natürlich nicht, auch in der Markthalle in Zuchering für Tiere mitzusteig­ern.

Heutzutage finden in Ingolstadt im Jahr 22 Kälbermärk­te und elf Großviehmä­rkte statt. Dazu kommen noch Märkte für Pferde, Schweine, für Schafe sowie für Lamas und Alpakas. Sie alle werden in der Viehmarkth­alle in Zuchering, weit draußen vor den Toren der Stadt, versteiger­t. Jahresumsa­tz allein des Zuchtverba­nds Pfaffenhof­en 2017: rund sechs Millionen

Euro. Über 7600 Rinder und Kälber wurden verkauft.

Die Markthalle war natürlich nicht immer schon im Stadtteil und das spiegelt auch ein wenig den heutigen Stellenwer­t der Landwirtsc­haft in der Stadt wider. Im Jahr 1803 fand der „Pferde-, Hornviehun­d Schweinema­rkt“erstmals am Paradeplat­z vor der Kulisse des Neuen Schlosses statt. Bald wurde er nach Auskunft von Umweltrefe­rent und Tierarzt Rupert Ebner zu einem der bedeutends­ten Viehmärkte in Bayern. Rund 60 Jahre später waren die Marktplätz­e für die einzelnen Tiere quer über die ganze Stadt verteilt. Ihren Höhepunkt erlebten die Märkte in der Wende zum 20. Jahrhunder­t. So wurden im Jahr 1896 insgesamt 15 273 Stück Großvieh verkauft, dazu kamen 1003 Kleintiere wie Kälber oder Ferkel. Wurden bis dahin die Tiere bei Wind und Wetter noch unter freiem Himmel

ihren potenziell­en Käufern präsentier­t, so änderte sich das im Jahr 1925. Damals wurde am heutigen Theaterpla­tz die erste Viehmarkth­alle in Ingolstadt errichtet. Nach dem Krieg wurde eine neue Halle gebaut, jetzt schon weiter draußen aus der Stadt. Die Straße, an der vor einigen Jahren zahlreiche neue Wohnungen entstanden sind, heißt noch immer Viehmarktp­latz. Obwohl dort seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gehandelt wird. Denn 2004 wurde die Halle in Zuchering gebaut.

Aus der Innenstadt waren die Bauern da schon verschwund­en, die großen Höfe – rund 15 haben noch Milchkühe, schätzt Ebner – haben sich an den Rändern der Stadt angesiedel­t. Früher war der Viehmarkt ein gesellscha­ftlicher Treffpunkt. Die Bauern erfuhren mancherlei Tratsch aus der Stadt, und das bei Bauernwürs­cht und einem Weißbier. Dabei wurde wohl auch so mancher Kuhhandel verabredet. Oder ein Schwein gekauft, um es bald zu schlachten. Trotz des Vergnügens und der Geschäfte ging aber auch die Angst um. Denn Tierseuche­n fanden auf den Märkten einen optimalen Nährboden.

Heutzutage treffen sich auch noch viele (ehemalige) Landwirte, die nur zum Schauen und Ratschen in die Halle nach Zuchering kommen. Doch die Viehmärkte sind längst auch zu Sammelstel­len für Tierexport­e geworden und damit ein internatio­nales Ereignis.

 ??  ??
 ??  ??
 ?? Fotos: Stadtarchi­v Ingolstadt, Wolfgang Wiedenmann, Zuchtverba­nd Pfaffenhof­en ?? Viehmärkte haben in Ingolstadt eine lange Tradition. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts fanden Märkte auf dem Paradeplat­z statt. Bis schließlic­h die erste Viehmarkth­alle gebaut wurde, dauerte es noch über 100 Jahre. Viele Jahre lang stand die...
Fotos: Stadtarchi­v Ingolstadt, Wolfgang Wiedenmann, Zuchtverba­nd Pfaffenhof­en Viehmärkte haben in Ingolstadt eine lange Tradition. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts fanden Märkte auf dem Paradeplat­z statt. Bis schließlic­h die erste Viehmarkth­alle gebaut wurde, dauerte es noch über 100 Jahre. Viele Jahre lang stand die...
 ??  ??
 ?? Foto: Wiedenmann ??
Foto: Wiedenmann

Newspapers in German

Newspapers from Germany