Aichacher Nachrichten

„Was verboten ist, wird nur noch interessan­ter“

Medienpäda­gogin Anna Vahl kritisiert das bestehende Smartphone-Verbot an Schulen. Was die Expertin fordert

- Interview: Sven Koukal

Frau Vahl, aus manchen bayerische­n Klassenzim­mern sind Tablets oder digitale Tafeln kaum mehr wegzudenke­n. Das Handy aber ist verboten. Wie passt das zusammen?

Anna Vahl: Grundsätzl­ich gilt das Handyverbo­t, allerdings entscheide­t jede Schule selbst, wofür es Ausnahmen gibt. Bei manchen Projekten im Unterricht ist das Handy durchaus erlaubt. Auflagen wie etwa der Datenschut­z machen es den Lehrern aber schwer, solche Projekte umzusetzen.

Das Handyverbo­t steht derzeit in der Kritik. Wie verfolgen Sie als Medienpäda­gogin die Debatte?

Vahl: Das Handy gehört zum Alltag und damit auch in die Schule. Meiner Erfahrung nach haben ab der fünften Klasse 99 Prozent der Schüler ein Smartphone. Selbst in der Grundschul­e ab der dritten Klasse sind es schon über 60 Prozent. Insgesamt bereichern digitale Medien den Unterricht. Wichtig ist es, die Kinder und Jugendlich­en bei der Benutzung zu begleiten.

Ergibt das Verbot angesichts dieser Zahlen überhaupt noch Sinn?

Vahl: Was verboten ist, wird für die Schüler noch interessan­ter. Ein Verbot erzwingt ein Gefühl der Versuchung. Daher bin ich als Medienpäda­gogin grundsätzl­ich gegen pauschalis­ierende Verbote. Gerade die jungen Schüler müssen aber erklärt bekommen, dass ein Handy an der Schule kein Spiel-, sondern ein Arbeitsger­ät ist. Dann ist es eine Bereicheru­ng des Unterricht­s. Der Reiz für private Nutzung geht so verloren. Dafür müssen Schulen aber klare Regeln aufstellen.

Bis Ende 2019 muss jede Schule ein Medienkonz­ept entwickeln. Welche Rolle soll das Handy spielen?

Vahl: Schulen müssen daran arbeiten, Projekte mit Handys noch reizvoller zu gestalten. Als Recherchew­erkzeug, Wörterbuch oder für interne Kommunikat­ion sind Handys sinnvoll. Mal ein Youtube-Video zu schauen, kann ja durchaus von Nutzen sein. Allerdings muss auch an die Kinder gedacht werden, die kein Smartphone besitzen.

Als Bayern 2006 das Verbot erlassen hat, sollten Gewaltvide­os und Cybermobbi­ng eingedämmt werden. Welche anderen Gefahren gibt es mittlerwei­le? Vahl: Nicht selten erstatten Lehrer privat Anzeige, weil sie während des Unterricht­s gefilmt worden sind. Das ist ein Eingriff in das Persönlich­keitsrecht des Lehrers. Aktuell ist auch noch immer das Thema Cybermobbi­ng, mit zum Teil neuen Ausprägung­en.

Ich denke da an das sogenannte Sexting, wenn sich Schüler untereinan­der Nacktbilde­r oder pornografi­sche Videos senden. Trotz Verbot passieren ganz schräge Dinge. Nicht nur in der Oberstufe, sondern schon in den fünften und sechsten Klassen. Das Verbot schützt die Schüler leider nicht, unerlaubte Inhalte zu konsumiere­n, zu produziere­n und zu verschicke­n.

Ab welchem Alter sollten Kinder überhaupt ein Handy besitzen?

Vahl: Ein festes Alter zu empfehlen, ist schwierig. Viel wichtiger ist es, dass die Eltern bereit sind, den Kindern über die Schulter zu schauen. Der Einwand der Erziehende­n, die Kinder seien im Umgang mit dem Smartphone fitter, mag stimmen. Allerdings nur, was die Technik anbelangt. Schon ein dreijährig­es Kind kann einen Touchscree­n bedienen. Entscheide­n, welche Inhalte passend und sinnvoll sind, das können aber nur die Eltern. Unverzicht­bar ist daher eine pädagogisc­he Unterstütz­ung und Begleitung, zu Hause und in der Schule.

Was raten Sie demnach den Eltern? Vahl: Ein Kind sollte den richtigen Umgang in Etappen lernen. Am Anfang gibt man ihm zum Beispiel zwar ein Handy mit, allerdings ohne einen Internetzu­gang. Später bekommt es die Möglichkei­t, zu Hause im eigenen WLAN zu surfen. Unpassende Seiten können gesperrt werden. Schrittwei­se bekommt das Kind so immer mehr Freiheiten. Allerdings leben wir in einer Phase, in der viele Erwachsene noch Angst bei diesem Thema haben. Daher müssen auch Schulen klare Regeln aufstellen. Bis sich am Verbot etwas ändert, werden wohl noch ein paar Jahre vergehen. ⓘ

Anna Vahl Die Expertin arbeitet als Medienpäda­gogin im Amt für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Augsburg. Dort ist sie für die präventive Kinder und Jugendhilf­e zuständig.

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Anna Vahl

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