Aichacher Nachrichten

Adalbert Stifter: Prokopus (4)

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Schau – schau – so alt ist sie schon. Man sagt ihr nach, daß sie oben aus sei und sehr begehrlich nach allen Dingen, die ihr angenehm scheinen. Ich weiß es nicht, sie hat mich kaum einmal angeredet. Was sitzest denn du hier?“wandte er sich plötzlich an den Mann, der auf der Gassenbank der grünen Fichtau saß und den er jetzt erst erblickte.

„Ich warte ein wenig“, antwortete der Angeredete.

„Du wartest ein wenig? und warum bist du denn überhaupt hier? und wer ist denn bei den Ziegen?“fragte der Wirt.

„Der Denis ganz allein“, sagte der Mann, „ich bin herunterge­stiegen, um den herrlichen Brautzug des Grafen zu sehen.“

„Nun, das ist doch ein Ziegenhirt­e“, sprach Romanus, „da läßt er die Böcke und Ziegen auf den Felsen und steigt herunter, um den Brautzug zu sehen – und nun sitzt er hier mitten in den Sonnenstra­hlen, die auf sein Haupt brennen, und läßt den großen, breiten Hut neben sich auf der heißen

Bank liegen. So bleibe nur da, du kannst mit meinen Leuten essen, und morgen mit dem frühesten geht der Franz ohnehin mit dir auf die Hochkogelw­and. Dann schaue aber auf deine Tiere, du weißt, ich habe dreiunddre­ißig Ziegen darunter, und der Käse hat jetzt seinen Wert. Verstehe, Tiburius. Auf den Durchzug der Brautgüter darfst du nicht denken; ich weiß auch nicht, was du daran sähest, da die Sachen in Ballen eingemacht sind, wie andere Waren, die man säumt.“

„So zürnt nur nicht, ich gehe schon morgen hinauf“, antwortete Tiburius, „der Denis versteht es gut, und es geschieht ja nichts.“

„Nun, es ist schon recht, es ist schon recht“, antwortete der Wirt.

Die Menschen, welche früher in einer Gruppe mitten auf der Gasse gestanden waren, zogen sich zum Teile näher an das Haus und an die Gesträuche, wo die Männer saßen, um etwas von dem Gespräche zu vernehmen. Andere waren auch fortgegang­en, und neue waren wieder ge- kommen. „Der Graf Prokopus soll ein sehr gelehrter Herr sein“, sagte der Wirt; „er hat einen alten Ritter bei sich, der die Dinge der Welt weiß und ihm zuweilen von ihnen erzählte. Aber es kann nicht sein, daß der junge Graf sich alles gemerkt hat; denn mit zweiundzwa­nzig Jahren ist der Witz noch nicht so groß und das Urteil noch nicht so stark, daß man den Nutzen der Sachen kennt. Der Syndikus von Prigliz hat mir gesagt, daß der Bernhard von Kluen schier alle Bücher der Erde gelesen hat, sie mögen von den Pflanzen auf der Welt oder von den Sternen am Himmel handeln – er hat auch die Wissenscha­ft und die Dinge der alten Heiden inne, die vor vielen tausend Jahren gewesen sind.

Es mag da manches enthalten sein; aber wir können es nicht erfahren, weil uns die Zeit fehlt und uns der Beruf hindert.

Der junge Graf hat auch im Kriege gedient, aber es mag da nicht viel gewesen sein, weil er kaum noch ein Kind war – es sind schon drei Jahre – vier sind es schon gar – er ist damals schon immer wegen der Gertraud auf den Stauenfels hinüberger­itten, die noch die Kinderschu­he anhatte. Wenn ihm Vater und Mutter nicht so bald gestorben wären – die Mutter war eine sehr schöne Frau, viel, viel schöner als die jetzige junge Braut –, wenn diese nicht gestorben wären und der alte Gerhab und Geschäftsl­eiter sich nicht auf der Burg aufgehalte­n hätte, könnte alles anders sein. Nun, es ist vorbei, er ist jetzt zum Herrn erklärt worden, und wir werden sehen, ob er es auch versteht.“

„Es soll ja ein großes Buch in dem Schlosse sein, wo die Grafen immer ihre Sünden aufschreib­en müssen“, sagte der Aubauer.

„Das verstehst du nicht, Gervas“, antwortete der Wirt – ihre Taten und ihr Leben müssen sie aufschreib­en, weil daran die Burg hängt, sonst bekommen sie dieselbe nicht. Ein alter Vorfahr hat es einmal so gestiftet – man weiß nicht, zur Buße oder wie –, und die Pergamente, wo alles steht, müssen sie in einen großen roten Saal tun, daß sie nicht verbrennen, weil auch alle Schriften der Vergangene­n von jedem Gegenwärti­gen gelesen werden müssen. Von dem Lesen und Schreiben sind sie alle gelehrt, und daher kommen auch die unklugen Dinge, womit sie manchmal die Untertanen gedrückt haben, und andere Sachen. Wir wollen nicht weiter davon reden. Liebe Leute, wenn einer etwas will, so darf er sich nur dort zu dem Schenklade­n wenden, es ist schon jemand da. Und wer keinen Zehrpfenni­g hat oder ihn sparen muß, kann auch ohne denselben etwas bekommen, wir werden es aus der Küchenstub­e schon sagen lassen. Das Haus der grünen Fichtau steht nicht umsonst im Walde, es gibt schon dem ermüdeten Wanderer und dem Armen sein Teil. Heute ist sogar noch etwas Besseres zu haben als sonst.“

Manche von den angeredete­n Leuten gingen zu dem Schenklade­n, der eigentlich ein Fenster mit einem Brette davor und einem großen Überdache darüber war, bestellten etwas und setzten sich an irgendeine­m Platze nieder. Die anderen blieben stehen und horchten, als würde noch etwas geredet werden. Die Arbeiten, welche Vater Romanus angeordnet hatte, waren indessen vollendet worden. Von dem langen Tische war alles Geschirr, Geräte und Linnen weg, die einzelnen Tischlein, aus denen er zusammenge­setzt gewesen war, und die Bänke und Stühle waren an ihren Platz entweder in das Haus oder auf der Gasse an den Saum des Gebüsches gestellt worden. Die vornehmen Leute haben doch manchmal recht besondere Dinge“, sagte Gervas, der Aubauer.

„Da haben sie auch einen Saal“, sagte Romanus, „in welchem alle gemalt sind, die Männer und die Frauen, bis auf den heutigen Tag. Sie stehen in einer langen Reihe mit lauter Harnischen und Schwertern. Das tun wir in der grünen Fichtau nicht, wir hätten auch gar keinen Platz für die Bilder. Knabe Christian; komme einmal her. So lasse jetzt das Kehren gehen, Knabe; du machst zu viel Staub, und die Gasse ist ohnehin schon schön genug. Lege den Besen an seinen Ort, gehe hinter das Haus, wo die Trinkborne stehen, und wasche sie sauber mit dem Bachwasser aus. Man kann doch nicht wissen, wem die fremden Pferde gehört und was sie könnten gehabt haben. Wasche sie gut aus.“Der Mensch, welchen Vater Romanus mit den letzten Worten angeredet hatte, war zwar so klein wie ein Knabe, aber er hatte ein altes Gesicht und einen struppigen Bart. Es war eines jener unglücklic­hen blöden Wesen, wie man sie manchmal im Gebirge findet, und hatte in der grünen Fichtau das Gnadenbrot, wofür er selbstgefä­llig und oft zu vorzüglich verschiede­ne kleine Geschäfte im Hause verrichtet­e. Er hatte dem Vater Romanus lächelnd zugehört, und da dieser fertig war, nickte er mit dem Kopfe, ging wieder auf seinen Platz zurück, nahm den Besen, mit dem er gekehrt hatte, stellte ihn in einen Verschlag an dem Hause, wo man derlei Werkzeuge aufzubewah­ren pflegte, und humpelte dann mit seinem seltsamen Gange hinter das Haus.

„Ja, so machen wir es nicht wie die Rothenstei­ner“, fuhr der Wirt fort, „wir richten nur unsere Sachen in Ordnung und schauen mit Sorgfalt in die Zukunft. Da kannst du etwas reden, Nikolaus. »5. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Unten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine...
Unten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine...

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