Aichacher Nachrichten

Ein starkes Finale mit dem Maxim Gorki Theater

Shakespear­e war queer, und Merkel ist eine Muslimin. Am Schluss geht es um Identität und die Flüchtling­skrise

- VON ALOIS KNOLLER UND RICHARD MAYR

Das hat es auch noch nicht gegeben: eine klassische Brecht-Kantate von Hanns Eisler kombiniert mit einem aktuellen Dokumentar­film von Maximilian Feldmann über das Schicksal der Roma in Mazedonien. Sie sollten am Sonntag im Textilmuse­um bei aller Unterschie­dlichkeit der Kunstforme­n exakt zusammenpa­ssen. Wie im Revolution­slehrstück „Die Mutter“geht es auch in „Valentina“um eine engagierte Haltung gegen das Elend oder mit Brecht gesprochen: „Wo immer geschwiege­n wird, dort wird er sprechen.“

„Die Mutter“erzählt von aktiver Ausbreitun­g des Klassenbew­usstseins, auf dass im Kampf gegen die Herrschend­en eine Änderung der Verhältnis­se erwirkt werde. Zentral in Brechts Werk steht das „Lob des Kommunismu­s“, das Ex-Ensemblemi­tglied Lea Sophie Salfeld alias Pelagea Wlassowa fast schmeichel­nd vorträgt: „Er ist vernünftig. Jeder versteht ihn.“Manuel Wiencke als ihr Sohn Pawel singt derweil mit sonorem Bariton das Spottlied auf die alten Zwingherrn („dass ihnen alles nichts mehr nützt“).

Eisler vertont die Kantate im Stil eines säkularen Oratoriums – in moderner Tonsprache mit schroffen Harmonien, jedoch mit zahlreiche­n Zitaten aus der Tradition religiöser Musik. Die Kombinatio­n verleiht der Kantate mitreißend­e Emotionali­tät. Die Mutter ist halb Pietà und halb Jeanne d’Arc. Der Chor zieht oft im Marschtrit­t einher, er treibt und drängt im Dialog mit der Mutter („Gut, das ist das Stück Brot. Aber wo ist der Brotlaib?“). Geoffrey Abbott dirigiert vom Klavier aus im Duopart mit Johannes Bosch. Begeistert­er Applaus für eine starke Gesamtleis­tung.

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Bevor über die letzten Programmpu­nkte gesprochen wird, sei erwähnt, dass das Maxim Gorki Theater gerade eine interessan­te BrechtVerb­indung mit Augsburg eingegange­n ist. Die Intendanti­n Shermin Langhoff war Teil der Jury, die die Brechtprei­strägerin Nino Haratischw­ili ausgewählt hat. Am Samstag hat die Bühne die Inszenieru­ng von Brechts „Im Dickicht der Städte“als Gastspiel gezeigt, am letzten Festivalta­g sind noch einmal zwei Programmpu­nkte mit dem Theater verknüpft: eine Lesung und ein letztes Gastspiel vor ausverkauf­tem Haus im Martinipar­k.

In der Brechtbühn­e gibt die Dramatiker­in und Schriftste­llerin Sasha Marianna Salzmann einen Einblick in ihr Schaffen und Denken, assistiert von ihrem Schriftste­llerkolleg­en Deniz Utlu. Salzmann präsentier­t ihren Roman „Außer sich“, der es vergangene­s Jahr auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis geschafft hat. Interessan­t ist der Wechsel von Lektüre und Dialog über das Buch, den Salzmann und Utlu als flankieren­de, auch erhellende Zwischensp­iele führen. Die Verwandlun­g von Ali in Anton, einer Ich-Erzählerin in einen Ich-Erzähler gehört wesentlich zu Salzmann, mehrfach fällt das Stichwort „Queer“(„Shakespear­e war ein queerer Autor“). Außerdem erzählt Salzmann, wie sie die Proteste im Gezi-Park in Istanbul erlebte, von den alten demonstrie­renden Frauen bis zur Gewissheit, dass nach dem Flüchtling­s-Deal von Deutschlan­d mit der Türkei etwas Schlimmes in dem Land passieren werde.

Stark das Finale. Das Maxim Gorki Theater aus Berlin zeigt seine Winterreis­e, gespielt von dem 2016 gegründete­n Exil-Ensemble des Theaters. Die Schauspiel­er, alle aus ihrer Heimat geflohen, haben im Januar 2017 eine zweiwöchig­e Kennenlern-Bustour durch Deutschlan­d unternomme­n – mit der Regisseuri­n Yael Ronen. Auf der Bühne im Martinipar­k gibt das starke Darsteller-Ensemble einen Einblick davon: erzählt in Deutsch, Englisch, Syrisch, Arabisch. Erste Station Dresden, aber nicht der Barock, sondern montags Pegida. Und was steht da auf den Plakaten? Fatima Merkel? „Ich wusste gar nicht, dass sie auch Muslimin ist.“Dass der deutsche Reiseleite­r in der zweiten Station Buchenwald statt Weimar zeigt, bereitet allen Albträume – gegen die auch nicht die Dating-App für Flüchtling­e hilft. „Deutsche haben in den verschiede­nsten Positionen Sex miteinande­r, im Liegen, Stehen und in der Hocke“– „Ah ja, danke für so viel Erklärung“. Dieser Blick des Theaters und des Ensembles auf ein Thema, das gerade wie kein zweites die Menschen polarisier­t, ist irre komisch. Dazu glänzen die Schauspiel­er durch ihr Können (und nicht nur durch ihre Geschichte), der Applaus am Schluss ist gewaltig, die hinteren Reihe stehen, ein Gewinn, dieser Abend.

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Fotos: Fred Schöllhorn, Michael Hochgemuth, Wolfgang Diekamp Starker Applaus für das Winterreis­e Gastspiel des Maxim Gorki Theaters aus Berlin.
 ??  ?? Festivalle­iter Patrick Wengenroth.
Festivalle­iter Patrick Wengenroth.
 ??  ?? Deniz Ultu und Sasha M. Salzmann.
Deniz Ultu und Sasha M. Salzmann.
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