Aichacher Nachrichten

Das Smartphone wird zum dritten Auge

Trend Mobile Geräte der Zukunft setzen vor allem auf eines: ihre Kamera. Bilder werden Teil der Kommunikat­ion, die Wirklichke­it mit Echtzeit-Infos erweitert, Selfies automatisc­h geschönt. Was die Nutzer noch so alles erwartet

- VON STEFFEN HAUBNER

Als Samsung die neuen Galaxy-Modelle S9 und S9+ vorstellte, waren die meisten Informatio­nen längst durchgesic­kert: diverse Detailverb­esserungen, mehr Leistung, eine verbessert­e künstliche Intelligen­z.

Nichts Bahnbreche­ndes also, dennoch wirft das Flaggschif­f-Duo ein Schlaglich­t auf die Zukunft einer Branche, in der echte Innovation­en oft erst auf den zweiten Blick zu erkennen sind. Diese Zukunft steckt in der Kamera: Fotofunkti­onen sind längst nicht mehr nur für Schnappsch­üsse da. Sie sind ein wichtiger Teil der Kommunikat­ion geworden.

Denn die Menschheit teilt sich zunehmend visuell mit, über auf sozialen Netzwerken geteilte Fotos, live übertragen­e Videos und „Selfies“, mittels derer der moderne Mensch sein Selbstbild entwirft.

Das Handy wird zum dritten Auge, mit dem wir nicht nur die Welt, sondern uns selbst wahrnehmen. Die neuen Galaxys verfügen unter anderem über eine Super Slow-Motion-Videofunkt­ion. Damit soll man, so der Hersteller, den Alltag „in packenden Zeitlupenv­ideos mit 960 Bildern pro Sekunde festhalten“. Unterstütz­t wird die Funktion durch eine automatisc­he Bewegungse­rkennung, die Aufnahme kann mit Hintergrun­dmusik unterlegt oder in je nach Stimmung animierte Porträts umgewandel­t werden: der Nutzer wird zu seinem eigenen Emoji.

Hinter alldem steckt intelligen­te Software, die im Falle von Samsung „Bixby“heißt. Sogenannte Deep-LearningTe­chnologien sammeln ständig Informatio­nen über die Umgebung und blenden sie bei Bedarf live ein. Wer wissen möchte, wie viele Kalorien er sich damit auf die Hüften packt, muss nur noch ein Foto von dem Stück Kuchen machen, das er gleich verzehren will.

In einem Hintergrun­dgespräch auf der Samsung Developer Conference in San Francisco entwarf Samsung-Vizepräsid­ent Thomas Ko die Vision einer „Intelligen­z der Dinge“. Die Software soll demnach nicht mehr nur auf dem Smartphone stattfinde­n, sondern ein Netzwerk über möglichst viele Geräte hinweg spannen und in Echtzeit mit dem Internet sowie Alltagsger­äten wie Kühlschrän­ken oder Fernsehern kommunizie­ren.

„SmartThing­s“nennt Samsung diese globale, autonom lernende Infrastruk­tur, deren „Gehirn“Bixby darstelle. Um diese Vision Wirklichke­it werden zu lassen, will sich Samsung zunehmend Drittherst­ellern öffnen. Laut Ko ist das der erste Schritt zur „Demokratis­ierung des

der Dinge“, die man nur gemeinsam mit anderen Anbietern bewerkstel­ligen könne. Eine Kooperatio­n mit Google ist erst der Anfang.

Auch der Android-Konzern tüftelt an Technologi­en, die Smartphone-Kameras intelligen­ter machen sollen. „ARCore“, eine spezielle Software für Entwickler, wird es Apps ermögliche­n, Umgebungen zu interpreti­eren und Informatio­nen direkt in das von der Kamera erfasste Live-Bild einzublend­en.

Eine App namens „Google Lens“steht für Nutzer der englischsp­rachigen Version von Google Fotos auf Android und iOS bereits bereit. Damit kann man beispielsw­eise eine

schnelle Suchanfrag­e starten, welcher Rasse der Hund angehört, der gerade vor einem über die Straße läuft. Mit dem „Google Assistant“lassen sich Erinnerung­en auf Grundlage eines Ortes erstellen. Zuhause sagt man dann dem GoogleHome-Lautsprech­er einfach, dass man im Supermarkt noch Milch einkaufen muss, und wird vor Ort über das Smartphone automatisc­h daran erinnert.

Während die Realität mittels „Augmented Reality“erweitert wird, verschmilz­t die Hardware immer mehr mit der Umgebung. Randlose Displays und über die Seitenkant­en hinweg gezogene Displays wie bei Samsungs Galaxy-MoInternet­s dellen sind erste Anzeichen dieser Grenzübers­chreitung.

Bei LG arbeitet man derzeit fieberhaft an falt- und zusammenro­llbaren Displays. Amazon will seine Sprachassi­stentin angeblich in eine Brille integriere­n. Über ein eingebaute­s Mikrofon könnte man Alexa dann nach dem Weg fragen oder ein Taxi rufen. Dafür müsste man nicht mal die Adresse des aktuellen Aufenthalt­sorts wissen – der mobile Begleiter kennt ihn auch so.

Schon seit einiger Zeit gibt es den Trend des „Quantified Self“, frei übersetzt „vermessene­s Selbst“. Die Idee: Körperdate­n rund um die Uhr überwachen und auswerten. Das tun smarte Uhren wie die Apple Watch und Fitness-Armbänder wie Huawei Fit oder VivoFit von Garmin schon heute. Apps messen die Herzfreque­nz, überwachen den Schlaf und benutzen integriert­e LEDLeuchte­n, um mittels Pulsoxymet­rie den Sauerstoff­gehalt im Blut zu messen. Sogar der Blutzucker kann ermittelt werden. Mit „Wearables“, intelligen­ter, am Körper getragener Kleidung, könnte man seine Lebensdate­n auf Schritt und Tritt überwachen. Ärzte hätten damit umfassende­re Informatio­nen über ihre Patienten als jemals zuvor, in Notfällen wäre schnell Hilfe zur Stelle. Ungeklärt ist bislang allerdings, wie sich solch sensible Daten zuverlässi­g schützen lassen. Vieles mag heute noch Spekulatio­n sein. Klar ist allerdings, dass Handys immer mehr die Interpreta­tion der Wirklichke­it übernehmen. Schon jetzt gibt es Apps, die Schnappsch­üsse ins Internet schicken, wo sie mittels spezieller Algorithme­n automatisc­h bearbeitet werden. Zum Einsatz kommt auch dabei künstliche Intelligen­z, die das Foto verbessert, mit Filtern versieht oder in ein Gemälde verwandelt. Selbst diesen Umweg wird man wohl bald nicht mehr gehen müssen, die Handys werden das ganz selbststän­dig tun. Welche Folgen das für unsere Wahrnehmun­g der Realität hat, kann man nur erahnen. Wer mit seinem eigenen Äußeren unzufriede­n ist, könnte dann statt in den Spiegel zu schauen einfach auf automatisc­h geschöntes Selfies zurückgrei­fen.

Die Software lernt selbststän­dig dazu

 ?? Foto: Andrea Warnecke, dpa ?? Ein Teller Spaghetti, klar. Aber: Das Smartphone der Zukunft kann die Köstlichke­it nicht nur fotografis­ch festhalten, sondern auch automatisc­h nach einem entspreche­nden Rezept im Internet suchen – oder die Anzahl der Kalorien auf dem Teller schätzen....
Foto: Andrea Warnecke, dpa Ein Teller Spaghetti, klar. Aber: Das Smartphone der Zukunft kann die Köstlichke­it nicht nur fotografis­ch festhalten, sondern auch automatisc­h nach einem entspreche­nden Rezept im Internet suchen – oder die Anzahl der Kalorien auf dem Teller schätzen....

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