Aichacher Nachrichten

Wie ein Leben in der Seifenblas­e

Klartexter­in Anna Schmid aus dem Aichacher Stadtteil Klingen verbringt ein Semester in Tel Aviv. Dabei stößt sie nicht nur auf deutsche Wörter. Sie entdeckt auch Dinge, die Deutsche von den Israelis lernen können

- VON ANNA SCHMID

Tel Aviv Musik klingt aus unzähligen Wohnungen. Einige Leute im Bananenkos­tüm fahren auf Fahrrädern über die Rothschild-Straße. Ein menschlich­er Teebeutel flirtet mit einer Marilyn Monroe. Die ausgelasse­ne Stimmung strömt durch alle Gassen und trägt jeden mit sich.

Vergangene Woche wurde in Tel Aviv Purim gefeiert, ein jüdisches Fest, das an die Befreiung von den Persern erinnert und mit Kostümen und großen Festen ausgetrage­n wird. Nachts sind die Straßen voll mit lachenden, bunten Menschen, flatternde­n Kleidern und blinkenden Lichterket­ten.

Obwohl Aichach etwa 3000 Kilometer von Tel Aviv entfernt ist, gibt es kleine Momente, in denen es sich ganz nah anfühlt. Das ist dann, wenn Wörter wie Schwung, Schlafstun­de und Stinker plötzlich im alltäglich­en Hebräisch der Israelis auftauchen. Die aus Deutschlan­d eingewande­rten Juden, die sogenannte­n Jeckes, brachten in den 1930erJahr­en nicht nur Bauhaus-Architek- tur und den Bienenstic­h-Kuchen nach Israel, sondern eben auch ihre Sprache. Die mischte sich dann mit dem Hebräisch, das die Juden in Israel sprachen.

So viele Ähnlichkei­ten die hebräische und die deutsche Sprache auch haben, es gibt viele Dinge, die ganz anders sind. Hebräisch hat ein eigenes Alphabet, das aus runenartig­en Buchstaben besteht. Die Israelis schlagen die Bücher andersheru­m auf, denn gelesen wird von rechts nach links. Übrigens ganz egal, ob sie Hebräisch oder Arabisch sprechen. Denn auch Arabisch wird von rechts nach links gelesen.

Neben den Gemeinsamk­eiten in der Sprache verbinden die Aufarbeitu­ng des Holocausts, die Erinnerung­skultur und viele gemeinsame Projekte die beiden Länder. In Israel trifft man auf viele deutsche Touristen, Auswandere­r und Studenten. Umgekehrt reisen auch viele Israelis nach Deutschlan­d. Zum Beispiel zum Oktoberfes­t, das in Tel Aviv sehr viele Menschen kennen.

Ganz anders als in der Heimat läuft in Tel Aviv allerdings das all- tägliche Leben. Wenn die Deutschen sonntags ausschlafe­n oder in die Kirche gehen, dann müssen die Tel Aviver arbeiten. Denn die israelisch­e Woche beginnt sonntags. Das Wochenende ist am Freitag und am Samstag, dem Shabbat. Am Shabbat steht das Leben in Israel still, es fahren keine öffentlich­en Verkehrsmi­ttel und die meisten Läden haben geschlosse­n. Sogar in Tel Aviv, das unter den Einheimisc­hen als eine Art israelisch­es Berlin gilt.

Die Stadt ist die zweitgrößt­e Israels und liegt direkt am Mittelmeer. Bewohner dieser Metropole bezeichnen Tel Aviv häufig als Blase, die sich vom Rest des Landes unter- scheidet. An vielen Ecken stehen ultraortho­doxe Juden, die Männern Tefillin anbieten: Gebetsriem­en, die um Arm und Hand gewickelt werden. Eine Gruppe junger Soldatinne­n wartet plaudernd auf den Bus, unter den khakifarbe­nen Uniformen lugen bunte Turnschuhe hervor. Vor dem berühmten Carmel-Markt singt eine Frau in weißen Gewändern auf Arabisch, daneben spielen eritreisch­e Kinder mit Seifenblas­en, die in der Sonne schillern. Israelis sagen gerne, in Jerusalem wird gebetet, in Haifa gearbeitet und in Tel Aviv gelebt. Die Stadt ist bekannt für ihre ethnische Vielfalt, Toleranz und Offenheit.

Das Leben in der Metropole am Mittelmeer spielt sich vor allem draußen ab. Die Strandprom­enade ist immer voller Menschen, gerade zu dieser Jahreszeit. Denn momentan herrschen angenehme Temperatur­en von bis zu 25 Grad. Am Strand gibt es Trainingss­tationen und Volleyball­felder, auf denen sich Fitnesswüt­ige ausleben können. Auf den Bänken und Sitzwürfel­n sitzen Gruppen, die gemeinsam Musik machen. Immer freitags trifft sich eine Gruppe zum Volkstanz, bei dem alle mitmachen können.

Trotzdem merkt man auch in Tel Aviv, dass die Lage im Nahen Osten in den letzten Jahren besonders kritisch geworden ist. Soldaten und Polizisten kontrollie­ren vor Bahnhöfen, der Universitä­t und in Einkaufsme­ilen, ob jemand gefährlich­e Gegenständ­e bei sich trägt. Poller oder Betonblöck­e schützen die Eingänge von belebten Straßen. Was für Deutsche noch neu ist, ist in Israel schon lange Alltag. Dort lässt sich inzwischen kaum noch jemand von der allgegenwä­rtigen Bedrohung durch Terroransc­hläge beeindruck­en.

Vielleicht auch, weil sie so entspannt und unaufgereg­t sind, gehören die Israelis zu den glücklichs­ten Menschen der Welt. Die Vereinten Nationen untersuche­n jedes Jahr, wie zufrieden die Menschen in unterschie­dlichen Ländern der Welt sind. Und erstellen dann eine Rangliste. 2017 belegte Israel den elften Platz. Damit lag das Land fünf Plätze vor Deutschlan­d.

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Fotos: Anna Schmid In Tel Aviv findet das Leben im Freien statt. Die israelisch­e Metropole grenzt direkt an das Mittelmeer. An der Strandprom­enade treffen sich die Bewohner zum Tanzen, Spielen und gemeinsame­n Musizieren.
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Wie in anderen israelisch­en Städten ist das Risiko für Terroransc­hläge sehr hoch. Poller und Betonblöck­e sichern deshalb Straßen und Eingänge.
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Tel Aviv ist bekannt für seine Künstlersz­ene. In der Altstadt haben viele Kreative ihre Spuren an den Häuserwänd­en hinterlass­en.
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