Oma ist der heimliche Star
Ella Blix: Der Schein
PJakob ist oft einsam. Er wohnt alleine bei seinem Vater. Doch der ist vielbeschäftigter Architekt, spielt quasi in der „Champions League“der Branche. Deswegen verbringt Jakob viel Zeit bei seiner Oma: Sie kocht sein Lieblingsessen, das so gut schmeckt, dass es für Jakob wie ein „Vulkanausbruch“ist. Außerdem kümmert sich die Oma um Flüchtlinge, die sie lieber herzlich als „Neuankömmlinge“bezeichnet. Jakobs Oma ist ohnehin der heimliche Star des liebevoll geschriebenen Kinderbuchs „Der reichste Junge der Welt“.
Aber auch Omas Fürsorglichkeit lässt Jakob nicht den Schmerz darüber vergessen, dass sein Vater ihm so wenig Zuwendung entgegenbringt. Dass er viel telefoniert, anstatt sich mit Jakob zu unterhalten. Doch ein schlimmes Erlebnis bringt Vater und Sohn am Ende wieder enger zusammen.
„Der reichste Junge der Welt“ist ein aufmunterndes Kinderbuch. Aufmunternd deshalb, weil es zeigt, wie gut Integration unter Kindern funktionieren kann. Und weil es deutlich macht, dass es im Leben vor allem auf das Zwischenmenschliche ankommt. Dazu trägt auch die Sprache ihren Teil bei: Sie ist fantasievoll und erklärt manche komischen Dinge aus der Erwachsenenwelt auf humorvolle Art. Viele Wörter kommen aus dem FußballVokabular. Autor Markus Orths trifft damit den Nerv der jungen Leser, und auch so mancher Erwachsener dürfte bei der Lektüre schmunzeln. Larissa Benz aarweise Bücher zu schreiben ist in. Das ist kein neues Phänomen, schließlich taten es schon die Brüder Grimm. Im letzten Jahrzehnt ist es aber in der Jugendliteratur regelrecht in Mode gekommen. So haben sich die Autoren Zoran Drvenkar und Andreas Steinhöfel als Caspak und Lanois für ihre legendäre „Kurzhosengang“zusammengetan, schreibt Ursula Poznanski zusammen mit Arno Strobel – allerdings unter Klarnamen. Weniger offenkundig ist, dass sich hinter „Anna Pfeffer“Ulrike Mayrhofer und Carmen Schmit verbergen und hinter dem Pseudonym „Ella Blix“das Autorinnenduo Antje Wagner („Vakuum“) und Tania Witte. Ihr erstes gemeinsames Werk heißt „Der Schein“und ist eine Mischung aus Mystery-Thriller und Internatsgeschichte, in deren Zentrum die 16-jährige Alina steht.
Als ihr Vater seiner Forschungen wegen für ein Semester in die USA geht, bringt er seine – mutterlose – Kelly Barnhill: Das Mädchen, das den Mond trank
Aus dem Engli schen von Sandra Knuffinke und Jessi ka Komina, Sauerländer, 464 Seiten, 16,99 Euro
– ab 10 Markus Orths: Der reichste Junge der Welt Moritz, 80 Seiten, 9,95 Euro
– ab 8 Tochter im Internat Hoge Zand auf der kleinen Ostseeinsel Griffiun unter – gegen Alinas Willen, die sich nur ungern von ihrem geliebten Lukas und ihrer chaotischen Freundin Pinar trennt, wie sie ihrem Tagebuch anvertraut. Und die ersten Tage im Internat bestätigen all ihre Vorurteile: Mit den verwöhnten Gören und ihren merkwürdigen Allüren will sie am liebsten nichts zu tun haben. Doch schon bald merkt Alina, dass vieles nicht so ist, wie es scheint. Ausgerechnet die ausgeflippten „Lonelies“, die Schüler, die auch in den Ferien nicht nach Hause fahren, werden ihre Freunde.
Und Alina braucht dringend Freunde, denn sie will ein Rätsel aufklären. Aus dem Turmzimmer hat sie ein schwarzes Schiff am Horizont entdeckt, das seltsame Blitze in das hermetisch abgeriegelte Naturschutzgebiet abschießt. Alina ist wild entschlossen, dem gespenstischen Schiff näherzukommen, das sie zu rufen scheint.
In den Dünen trifft sie auf Tinka, ein seltsames Mädchen, dem sie sich von Anfang an auf unheimliche Weise verbunden fühlt. So, als würde es eine verschüttete Erinnerung wachrufen. Doch was macht Tinka im verbotenen Naturschutzgebiet, woher hat sie die hypermoderne Ausrüstung? Mithilfe der Lonelies macht sich Alina daran, das Rätsel um das schwarze Schiff zu lösen. Was sie dabei entdeckt, droht ihr ganzes Leben auf den Kopf zu stellen.
Das Autorinnenduo hat sich viel vorgenommen in diesem Roman. Es geht um Leben und Tod, um den Verlust der Mutter, um Trauer und Sprachlosigkeit, um Liebe und Lebenslust. Aber auch um so banale Dinge wie Schule, das Zusammenleben im Internat und Vorurteile, die sich am Äußeren orientieren. Von Anfang an wird eine starke Spannung aufgebaut, die bis zum Schluss hält. Die eher mysteriöse Auflösung wird dem allerdings nicht ganz gerecht. Und manchmal erliegen die Autorinnen der Versuchung, ihrer Hauptperson zu viel zuzutrauen, etwa wenn die siebenjährige (!) Alina mit ihrer Mutter über die Liebe redet. Oder wenn sie über die wachsende Sprachlosigkeit in der Beziehung ihrer Eltern berichtet, die dem Verlust der Mutter vorausgeht. „Unser Haus fror ein unter diesen Streits, die stets flüsternd stattfanden und mit einem Lächeln im Gesicht.“
Dann gibt es wieder Passagen, die mit großer Lust den Internatsalltag karikieren und Alinas bequemes Schubladendenken entlarven. Wer von den beiden Autorinnen wohl für den Spaß und wer für den Ernst verantwortlich ist?
Egal, trotz kleiner Schwächen ist „Der Schein“ein spannender Jugendroman, der auf unterhaltsame Weise wichtige Themen anspricht, wobei „Ella Blix“auch stilistisch immer ganz nah an ihrer Zielgruppe ist. Lilo Solcher