Aichacher Nachrichten

Europas erste Kunstwerke Bisher dachte man: Der moderne Mensch hat die Kunst erfunden. Nun ist klar: Der Neandertal­er malte schon 20000 Jahre vor unseren Vorfahren

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Wir sind wohl doch nicht so einzigarti­g in der Natur. Unsere Vorfahren, die ersten modernen Menschen, waren nicht die einzigen Wesen, die zur Schaffung von Kunst fähig waren. Schmuck aus Muschelsch­alen bauen, Plastiken schnitzen oder Bilder auf Felsen oder in Höhlen malen – symbolisch­es Verhalten nennen Anthropolo­gen das. Und bisher gingen sie davon aus, dass nur der Homo sapiens dazu fähig war. Nun aber haben Forscher des Leipziger MaxPlanck-Instituts für evolutionä­re Anthropolo­gie Bilder in drei spanischen Höhlen mit einer neuen naturwisse­nschaftlic­hen Methode, der sogenannte­n Uran-Thorium-Datierung, untersucht und dabei festgestel­lt, dass diese Kunstwerke älter sind als gedacht. Ihre Ergebnisse haben sie nun in Science veröffentl­icht.

„Mit einem Alter von mehr als 64 000 Jahren sind sie mindestens 20000 Jahre älter als die frühesten Spuren des modernen Menschen in Europa. Die Höhlenkuns­t muss also von Neandertal­ern geschaffen worden sein“, sagt Alistair Pike von der University of Southampto­n, der Teil des internatio­nalen Forscherte­ams ist. In einer zweiten Studie konnten die Forscher durchbohrt­e Muscheln und Behälter mit komplexen Farbpigmen­tmischunge­n sogar auf ein Alter von rund 115 000 Jahren datieren. Damit ist für das Team um Dirk Hoffmann klar, dass die geistigen Fähigkeite­n der Neandertal­er unseren eigenen ebenbürtig gewesen sein müssen.

„Die Entstehung der symbolisch­materielle­n Kultur ist eine fundamenta­le Schwelle im Laufe der menschlich­en Evolution. Sie ist eine der tragenden Säulen dessen, was uns zum Menschen macht“, so Hoffmann. Mit einem Mal nutzen unsere Vorfahren Objekte nicht für

Unsere Art zu denken muss viel früher entstanden sein

praktische, sondern auch für symbolisch­e Zwecke – etwas, was für uns bis heute ein fundamenta­ler Aspekt menschlich­en Denkens ist.

Frühe symbolisch­e Artefakte wie mit Pigmenten eingefärbt­e Muscheln, die möglicherw­eise als Körperschm­uck dienten, sind für das sogenannte Middle Stone Age in Nord- und Südafrika vor rund 70000 Jahren dokumentie­rt. Bei ihnen gilt als gesichert, dass moderne Menschen die Urheber waren.

In Europa gibt es Belege für Höhlenmale­rei, plastische Figuren, verzierte Knochenwer­kzeuge und Schmuck aus Knochen, Zahn, Elfenbein, Muschelkal­k oder Stein, die auf die sogenannte „Jungpaläol­ithische Revolution“vor etwa 40 000 Jahren zurückgehe­n. Die „Venus vom Hohlefels“, die im Jahr 2008 bei Schelkling­en auf der Schwäbisch­en Alb entdeckt wurde und die heute im Urgeschich­tlichen Museum in Blaubeuren bewundert werden kann, fällt ebenfalls in diese Kategorie. Doch all diese Objekte müssen, so die Schlussfol­gerung der Forscher, von modernen Menschen geschaffen worden sein, die sich nach ihrer Ankunft aus Afrika über ganz Europa verbreitet haben.

Wenn nun aber davon ausgegange­n werden muss, dass auch Neandertal­er zu symbolisch­em Denken fähig waren, muss sich diese Fähigkeit bereits beim gemeinsame­n Vorfahren beider Menschenar­ten entwickelt haben, der vor mindestens 500 000 Jahren lebte.

Die Höhlenkuns­t, darunter Tierbilder, geometrisc­he Zeichen und Umrisse von Händen, fanden die Forscher in den Höhlen La Pasiega im nordspanis­chen Kantabrien, Maltravies­o in der Extremadur­a sowie im andalusisc­hen Ardales unweit von Málaga. Allerdings wurden nur die Handabdrüc­ke und die geometrisc­hen Linien mit der UranThoriu­m-Methode datiert, die das Alter von Karbonatkr­usten auf den Farbpigmen­ten bestimmt. Die Tierdarste­llungen könnten deswegen theoretisc­h auch erst später entstanden sein.

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Foto: H. Collado Handabdruc­k eines Neandertal­ers (farbverstä­rkt): Der Abdruck aus ist mehr als 66000 Jahre alt.
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Foto: P. Saura Das leiterarti­ge Gemälde aus waagrechte­n und senkrechte­n Li nien (siehe rechts) ist über 64000 Jahre alt.
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Foto: Breuil et al/dpa Ob die Tiere und Symbole später gemalt wurden, ist unklar.

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