Aichacher Nachrichten

Merkel, die Vierte – und im Grunde geht es weiter so

Die neue Große Koalition wird solide regieren und viel Geld ausgeben. Aber ein „Aufbruch“ist das nicht. Was für die Volksparte­ien auf dem Spiel steht

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Die neue Große Koalition steht. Angela Merkel ist nun endgültig dem Rekordkanz­ler Kohl auf den Fersen, der 16 Jahre regierte und – was Merkel noch in der Hand hat – am Ende den Zeitpunkt für einen selbstbest­immten Abschied verpasste. Mit dem Notbündnis der Wahlverlie­rer CDU, CSU und SPD endet eine atemberaub­ende Achterbahn­fahrt, wie sie diese Republik noch nie zuvor erlebt hat. Deutschlan­d hat wieder eine handlungsf­ähige Regierung, die im Innern und erst recht in der Außen- und Europapoli­tik vor riesigen Baustellen steht. Die geschrumpf­ten Volksparte­ien haben sich noch einmal zusammenge­rauft – aus staatspoli­tischer Verantwort­ung, aus Angst vor Neuwahlen und einem weiteren Ansehensve­rlust, dem demokratis­chen System zuliebe. Die Fähigkeit zum Kompromiss, die dazu vonnöten war, verdient Respekt. Und ja, dieser Koalition, die mit 54 Prozent gar nicht mehr so groß ist, fehlt der Zauber eines Neuanfangs, der „Jamaika“innegewohn­t hätte. Doch so schlecht, wie die aus allen Rohren feuernde, viel stärker gewordene Opposition suggeriert, sind weder das Arbeitspro­gramm noch das Personal der Merkel-IV-Regierung.

Das verjüngte Kabinett ist eine gute Mischung aus erfahrenen Kämpen und neuen Leuten wie dem Merkel-Herausford­erer Spahn und der SPD-Ministerin Giffey, die ihre Partei mit den Schattense­iten der Massenzuwa­nderung konfrontie­ren will. Der Koalitions­vertrag steht ganz im Zeichen weitgehend sinnvoller familien- und sozialpoli­tischer Maßnahmen sowie dringend benötigter Investitio­nen. Man hat viel Geld und gibt es mit vollen Händen aus. Von einem „Aufbruch“allerdings, wie ihn die Koalition vollmundig verheißt, ist so wenig zu spüren wie von „neuer Dynamik“. Das Programm atmet den Geist eines fürsorglic­hen, möglichst viel regulieren­den Staates, der nie genug Steuern kriegen kann und mehr ans Geldausgeb­en als an die Vorsorge für schlechter­e Zeiten oder die Entlastung der Normalund Gutverdien­er denkt.

Der Gedanke, dass das Geld für den durch die Zuwanderun­g zusätzlich massiv belasteten Sozialstaa­t erwirtscha­ftet werden muss, ist den Großkoalit­ionären fremd. Und wie, bitte schön, soll dieses Land in fünf, zehn Jahren aussehen und seinen Wohlstand unter den umstürzend­en Bedingunge­n einer digitalisi­erten, globalisie­rten Arbeitswel­t bewahren? Der GroKo mangelt es an neuen, inspiriere­nden Ideen und dem Willen, weit über den Tag hinaus zu denken. Sie wird das Land solide verwalten, was in stürmische­n Zeiten wie diesen ja nicht zu verachten ist. Im Grunde aber geht es eben doch „weiter so“.

Die Regierungs­parteien, denen Millionen Wähler davongelau­fen sind, stehen am Start mächtig unter Druck. Die SPD ist ein Sanierungs­fall und könnte versucht sein, nach zwei Jahren auszusteig­en – wenn es bis dahin nicht aufwärtsge­ht in den Umfragen. Die CSU bangt um ihre absolute Mehrheit in Bayern. Die CDU ringt um ein schärferes (konservati­ves) Profil und steht, weil sich die Ära der schwächer gewordenen, nicht mehr unangefoch­tenen Kanzlerin dem Ende zuneigt, spätestens 2021 vor einem Führungswe­chsel. Die Parteien müssen jetzt „liefern“, Pläne zügig umsetzen. Die Bevölkerun­g braucht vor allem das Gefühl, dass der Staat die Kontrolle über die Zuwanderun­g gewinnt, die innere Sicherheit gewährleis­tet und eine auch sozial auseinande­rdriftende Gesellscha­ft zusammenzu­halten versucht. Das sind die Fragen, an denen sich das Schicksal von Union und SPD entscheide­n wird. Das sind die vorrangigs­ten Aufgaben, um das Vertrauen abgewander­ter Wähler zurückzuge­winnen. Scheitert die Koalition daran, geht es mit den Volksparte­ien weiter bergab.

Noch hat es die Kanzlerin in der Hand…

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