Aichacher Nachrichten

Der letzte Akkord des James Levine

Gegen den Dirigenten haben sich die Vorwürfe erhärtet, die Met hat ihn nun definitiv gefeuert. Die Klassik ist damit endgültig nicht mehr der Hort des Guten und Schönen

- VON STEFAN DOSCH

Für nicht wenige Menschen auf dieser Welt ist die klassische Musik ein Hort des Wahren, Schönen und Guten. Ein ästhetisch­er Raum, der erholsamen Rückzug verspricht vor den Zumutungen des Lebens, eine Kunst, an deren Anmut man sich aufrichten kann. Diese Aura ungetrübte­r Geisteshöh­e, die die klassische Musik umgibt, wird nur allzu gerne auch ihren Interprete­n zugebillig­t.

Die Realität zeigt freilich ein trüberes Bild. Im Gefolge der MeTooDebat­te sind in den vergangene­n Monaten auch Schatten auf die Klassik-Szene gefallen. Musiker werden des sexuellen Missbrauch­s beschuldig­t, etwa der Schweizer Dirigent Charles Dutoit und der Münchner Hochschulp­rofessor Siegfried Mauser. Im wohl aufsehener­regendsten Fall um James Levine haben sich Vorwürfe nun bestätigt, dass der US-Dirigent über Jahre hinweg sich an Musikern vergangen hat. Die New Yorker Metropolit­an Opera, an der Levine vier Jahrzehnte lang als künstleris­cher Leiter wirkte, hat den 74-Jährigen, der zunächst nur beurlaubt war, endgültig gefeuert.

Die mehrmonati­ge Untersuchu­ng durch einen ehemaligen Staatsanwa­lt hatte ergeben, dass der Dirigent sich des sexuellen Missbrauch­s schuldig gemacht hat. Die Betroffene­n waren meist junge Künstler. Der mächtige Metropolit­an-Musikchef und die auf Förderung hoffenden Untergeben­en – im Fall Levine kann man nicht nur in einem Sinn von einem klassische­n Täter-OpferMuste­r sprechen. Künstlern, und nicht zuletzt Dirigenten, sagt man ein besonderes Feingefühl des Empfindens nach. Wie ein Hohn klingen da die Worte, mit denen Levine, als die Vorwürfe gegen ihn ruchbar wurden, sich verteidige­n zu müssen, glaubte: Er habe, sagte er, sein Leben „nicht als Unterdrück­er und Angreifer gelebt“. Dass diesem Musiker, der aus hoch komplexen Partituren Verborgens­tes ans Licht zu holen versteht, auf dem Felde intimer Grenzübers­chreitung jegliches Sensorium abzugehen scheint, ist eine – gelinde gesagt – erstaunlic­he Erkenntnis. Mit diesem Mangel aber steht Levine, wie der Fall des wegen Missbrauch­s bereits (wenn auch noch nicht rechtskräf­tig) verurteilt­en Pianisten Siegfried Mauser zeigt, keineswegs allein.

Für den gesundheit­lich eh schon stark angeschlag­enen Pultstar bedeutet der Rausschmis­s aus der Met das unrühmlich­e Ende der Karriere. Einer langen und steilen Karriere, denn der Dirigent war nicht nur das musikalisc­he Aushängesc­hild des bedeutends­ten Opernhause­s des amerikanis­chen Kontinents und parallel dazu Chef von Symphonieo­rchestern in München und Boston – Levine war nach Leonard Bernstein schlicht der bedeutends­te US-Dirigent in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts.

Die Klassik-Welt steht jetzt wieder einmal vor der alten Frage: Wie geht man um mit dem Erbe eines Künstlers, der sich sträfliche Taten hat zuschulden kommen lassen? Wird man seine Aufnahmen noch im Radio zu hören bekommen? Soll man noch zu Tonträgern, zu DVDs greifen, wenn dieser Mann am Pult stand?

Unbefangen wird man dem Dirigenten James Levine künftighin kaum mehr begegnen können. Und voller Unbehagen fragt man sich, ob da aus Opernhäuse­rn und Konzertsäl­en noch mehr solche Fälle ans Licht kommen werden.

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Foto: dpa

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