Aichacher Nachrichten

Der Traum von der „perfekten Fahrt“

Der Eiskanal und seine Geschichte (Serie/Teil 3) Margit Messelhäus­er paddelte 1985 auf ihrer Heimstreck­e vor mehr als 40 000 Zuschauern zum Weltmeiste­r-Titel. Zufrieden mit ihren Rennen war sie aber nur selten

- VON ANDREA BOGENREUTH­ER

In den 80er Jahren hatte sich die Olympia-Anlage am Augsburger Eiskanal bereits als Hochburg des deutschen Kanuslalom-Sports sowie als nationales Ausbildung­s- und Leistungsz­entrum einen Namen gemacht. Dass eine waschechte Augsburger­in 1985 dann noch vor heimischem Publikum Weltmeiste­rin wurde, sorgte für Begeisteru­ng in der Stadt und einen Zulauf bei den Augsburger Kanu-Vereinen. AKVAthleti­n Margit Messelhäus­er hatte für viele überrasche­nd auf ihrer Heimstreck­e den Titel im Kajak Einer der Frauen gewonnen. „Damit hatte damals keiner gerechnet. Ich doch auch nicht“, erinnert sich die Augsburger­in an ihren größten Triumph. 10000 Mal und mehr dürfte Margit Messelhäus­er während ihrer Karriere ein Boot den Einkanal hinunterge­lenkt haben. Die Fahrt am 14. Juni 1985 aber bleibt der 50-jährigen Redakteuri­n des Landsberge­r Tagblatts – einer Heimatausg­abe der Augsburger Allgemeine­n – bis heute unvergesse­n. Denn sie legte an diesem Tag vor mehr als 40 000 Zuschauern eine so gute Fahrt durch die Torstangen hin, dass die internatio­nale Konkurrenz sie nicht mehr einholen konnte. Trotzdem beurteilt Messelhäus­er ihre Gold-Fahrt bis heute eher kritisch: „Ich habe auf dem Eiskanal nach meinem Empfinden nur ein einziges perfektes Rennen geschafft. Und das war nicht die Fahrt zum WM-Titel, sondern der Lauf zum Gewinn der Deutschen Meistersch­aft 1991“, sagt sie.

Sogar im Training seien nicht viel mehr perfekte Fahrten dabei gewesen, weil der Eiskanal die Kanuten ständig vor neue Herausford­erungen stelle. „Hängt ein Tor nur zehn Zentimeter weiter, muss man sofort ganz anders fahren. Führt der Kanal nur fünf Zentimeter mehr Wasser, dann ändert sich wieder alles. Deshalb ist der Eiskanal für mich nie langweilig geworden.“

Und das obwohl sie 17 Jahre dort trainiert hat. „Der Wunsch nach dem perfekten Lauf hat mich trotz Temperatur­en unter dem Gefrierpun­kt und Blasen an den Händen täglich oft sogar mehrmals aufs Wasser gehen lassen“, schrieb Margit Messelhäus­er einmal, als sie über die Faszinatio­n Kanuslalom berichten sollte.

Mit acht Jahren begann die Augsburger­in ihre Karriere im Kajak Einer und erinnert sich noch gut daran, wie schwer sie an den damaligen wuchtigen Glasfaserb­ooten zu tragen hatte. „Ich glaube, die wogen fast 15 Kilogramm, waren vier Meter lang, 60 Zentimeter breit und dazu noch ziemlich hoch. Aber als Kind hatte man trotzdem den Ehrgeiz, sein Boot selbst tragen zu wollen. Also habe ich mir einen dicken Schwamm zwischen Boot und Schulter geklemmt. Glückliche­rweise sind dann bald die viel leichteren Kohlefaser­boote in Mode gekommen.“

Die wogen nur noch fünf Kilo und ließen sich über das Heck wieselflin­k drehen. Heute müssen die ein vorgeschri­ebenes Mindestgew­icht von neun Kilogramm auf die Waage bringen.

Seit Messelhäus­ers aktiver Zeit in den 80er Jahren ist in der Sportart Kanuslalom einiges anders geworden. Damals gab es beispielsw­eise noch Rückwärtst­ore, die mittlerwei­le nicht mehr zum WettkampfR­epertoire gehören. Ein spezieller Torrichter musste damals darauf achten, dass die Kanuten wirklich rückwärts durch das entspreche­nd markierte Tor fuhren. Klappte das nicht, gab es 50 Strafsekun­den. „Die Technik für die Rückwärtst­ore war in den Rennen damals ganz entscheide­nd – und meine war da nicht die schlechtes­te. Dadurch hatte ich sicher einen gewissen Vorteil“, erzählt Messelhäus­er, die neben Einzel-Gold in Augsburg noch WMTeam-Gold im französisc­hen Bourg-Saint Maurice (1987) holte und zweimal Deutsche Meisterin (1985 und 1991) wurde.

Damals verfolgten die Verbände vehement das Ziel, den Kanuslalom wieder olympisch zu bekommen, weshalb aus Kostengrün­den die Anzahl der Kampfricht­er reduziert werden musste. So wurde entschiede­n, dass die Kanuten die Tore künftig zwar mit der Strömung (vorwärts) und gegen die Strömung (aufwärts), aber eben nicht mehr rückwärts fahren müssen.

Ebenso wurden die Paddelstre­cken mit Blick auf die Olympiatei­lnahme verkürzt. „Wir haben unsere Rennen früher am Eiskanal noch ganz oben an der Schleuse begonnen und sind insgesamt 30 Tore gefahren. Damals war die Strecke fast 800 Meter lang. Heute liegt die Wettkampfs­trecke etwa bei 400 Metern und 25 Toren“, berichtet Margit Messelhäus­er, wie die Sportart speziell in Augsburg medientaug­licher und damit auch für die Zuschauer attraktive­r gemacht wurde. „Der Sport hat sich insgesamt ganz extrem verändert“, sagt Messelhäus­er im Rückblick.

Schmunzeln­d erinnert sie sich da an den „Zuckerhut“, der zu den gefürchtet­en Betoneinba­uten gehörte, wie heute etwa die „Waschmasch­iKajaks ne“oder die „Bogenbrück­e“. „Den Zuckerhut ganz oben am Eiskanal gibt es heute leider nicht mehr. Vor dem hatten wir als Kinder besonders Angst. Denn dahinter war das Wasser voll mit Strudeln und Pilzen. Wenn man da oben gekentert ist, hat man sauber Wasser geschluckt“, erzählt sie lachend.

Und sie erzählt, „wie oft ich vor Frust oder Wut geheult habe“, wenn sie die Strecke nicht wie gewünscht hinunterge­kommen sei. Da gab es auch schon mal ein blaues Auge, als sie sich bei den damaligen Torstangen aus massivem Holz verschätzt hatte. „Auch die Ellenbogen waren sehr gerne blau, wenn man irgendwo dagegen geknallt ist. Heute sind die Stangen dagegen aus leichtem Kunststoff.“

Unverhohle­n gesteht Messelhäus­er, dass sie in ihrer Karriere gern noch ein bisschen mehr erreicht hätte. Eine Teilnahme an den Olympische­n Spielen 1992 in Barcelona war ihr Traum. Doch es kam anders. Nach sechs Jahren als Mitglied in der Nationalma­nnschaft und einem Zerwürfnis mit dem damaligen Chefcoach Brümmer habe sie sich bei der Qualifikat­ion im französisc­hen Seu d´Urgeil wohl zu sehr unter Druck gesetzt und die OlympiaQua­lifikation um zwei Hundertste­l verpasst. „Drei Boote waren qualifizie­rt, ich war Vierte. Das war dann mein letztes Rennen“, erinnert sich Messelhäus­er, „ich habe meine Sachen gepackt und bin, ohne einmal anzuhalten, von Frankreich nach Hause gefahren. Daran hatte ich lange Zeit schwer zu knabbern.“

Ihre Hingabe für den Spitzenspo­rt war mit diesem Tag vorbei, die Liebe zum Kanusport aber ist bis heute geblieben. Ohne Reue blickt sie auf die turbulente und anstrengen­de Zeit als deutsche Spitzenspo­rtlerin zurück und gesteht: „Ich habe viel Glück in meiner Karriere gehabt.“Bis auf ein paar entspannte Paddeltour­en oder eine kleine Spaßfahrt den Eiskanal hinunter hat sie mit diesem Kapitel aber nun schon lange abgeschlos­sen.

Serie Am 23. März wird in Tokio über die Vergabe der Kanuslalom Weltmeis terschaft 2022 entschiede­n. Die Stadt Augsburg hat sich neben einem Mit konkurrent­en aus Italien mit den zwei Augsburger Kanu Vereinen und der Olympiaanl­age als Austragung­sort bewor ben. In einer sechsteili­gen Serie stellen wir die Geschichte dieser traditions­reichen Sportstätt­e vor.

 ?? Foto: Fred Schöllhorn ?? Margit Messelhäus­er fährt 1985 auf ihrer Heimatstre­cke am Eiskanal zum Weltmeiste­rtitel. Sogar die Sportlerin selbst war über rascht über ihren Erfolg.
Foto: Fred Schöllhorn Margit Messelhäus­er fährt 1985 auf ihrer Heimatstre­cke am Eiskanal zum Weltmeiste­rtitel. Sogar die Sportlerin selbst war über rascht über ihren Erfolg.
 ??  ?? M. Messelhäus­er
M. Messelhäus­er

Newspapers in German

Newspapers from Germany