Adalbert Stifter: Prokopus (11)
Als das kostbare Mahl geendet war und man sich mit Ausnahme einiger, die noch beim Weine geblieben waren, wieder in das Schloß hinüber begeben hatte, zog die Mutter Gertrauds den jungen Gatten in ein Nebengemach, wo zufällig auch der Vater, Bruder und einige Verwandte standen, nahm ihn bei beiden Händen und sagte: „Ich habe Euch alles, was ich besitze, übergeben, teurer Eidam, Ihr wisset, daß ich keine Tochter mehr habe und daß Söhne sich um Mütter wenig zu bekümmern pflegen – behandelt sie gütig und freundlich, behandelt sie ja recht gut; denn sie ist es von Jugend auf gewohnt.“Der junge Graf legte seine rechte Hand, die er sanft von der Schwiegermutter losgemacht hatte, auf die Brust und sagte: „An diesem Herzen will ich sie halten wie mein liebstes Wesen, auf diesen Händen will ich sie tragen wie mein Kleinod; denn es ist unter allen Geschöpfen, die da Raum haben in der Wesenheit der Dinge, kein einziges, das ich so liebe wie sie.“
„Amen“, sagte der alte Graf von der Staue, „es ist schon recht und gut.“
Man gab sich die Hände, schüttelte sich dieselben und verfügte sich wieder zu den andern.
Gertraud war von ihren Frauen schon in ihre Gemächer geleitet worden. Da Prokopus ebenfalls von der Gesellschaft Abschied nahm, um sich in seine Wohnung zu begeben, trat ein großer, finsterer Mann, Flerenz von den Tennen, der bisherige Vormund und Gerhab, herzu und sagte: „Ich wünsche dir Glück, Graf Prokopus, ich wünsche dir Glück.“
„Ich danke Euch, ich danke“, erwiderte dieser. Auf dem Gange sagte Bernhard von Kluen zu ihm: „Sei recht glücklich, Prokop, sei für alle Tage deines künftigen Lebens zufrieden und heiter.“
„Lebe wohl, guter, treuer Lehrer und Vater“, antwortete Prokopus, „gute Nacht, gute Nacht.“
Und sie schieden unter dem Lichte der herabstrahlenden Lampe, indem der eine in seine Schlafgemä- cher ging und der andere sich zu den wenigen Gästen zurückverfügte, die noch in dem großen Saale waren.
Prokopus war durch die hohen Türen, die in seine Wohnung führten, hineingegangen, und es war nach dem geräuschvollen Tage, in welchem den Menschen ihr Tun wie eine Rolle im Schauspiele war vorgeschrieben worden, eine Last von ihm genommen, da er allein war. Die Lampe in dem großen Vorgemache hatte, da er eintrat, ihr sanftes, wohnliches Licht auf ihn herabgegossen, die Schritte, welche auf dem Gange gehallt hatten, waren auf den Teppichen seiner Zimmer nicht zu hören. Der Kammerdiener stand mit dem Nachtgewande vor ihm, als er in dem inneren Gemache stehen blieb und sich an der Ecke eines kalten Marmortisches hielt. Die mehreren einfachen Lampen, wodurch seine Zimmer erhellt wurden, streuten ihr mildes Licht auf die Gegenstände, unter denen er so lange gelebt hatte. Er legte den schönen, federbebuschten Hut auf ein Ruhebett, das die weichen, mit feinem Leder überzogenen Kissen ihm entgegenschwellte. Dies Zeichen war für den Diener der Anfangspunkt seines Geschäftes. Er legte die Nachtkleider über die Lehne eines Sessels, und Prokopus ließ sich Stück nach Stück von seinem schimmernden Gewande von dem Leibe nehmen und sich das einfache, dunkle Kleid und das leichte, dunkle Wams umlegen. Das dargereichte Barett nahm er nicht an, sondern die langen schwarzen Haare sanft mit der eigenen Hand zurückstreichend, ging er in das innere Zimmer hinein, wo sein Bett stand, auf das ein allseitiges freundliches Licht herniederfiel, und betrachtete die Bücher, die auf dem Bettische lagen, und welche nun schon geraume Tage nicht aufgeschlagen worden waren. Dann ging er wieder zurück und bedeutete dem Diener mit der Hand, daß er entlassen sei, indem er nur noch hinzufügte, daß die andern, welche in den Vorzimmern dienen, schlafen gehen oder sich vergnügen können, nur solle er darauf sehen, daß sie von dem Weine, der für sie bereitsteht, nicht zu viel nehmen und sich schaden.
An der Seite des Schlosses, wo die Fenster seiner Wohnung hinausgingen, war ein sehr großer Balkon, der eine weite Umsicht über die Teile des Berges und über die entfernteren Gegenden gewährte. Zum Schutze gegen die Sonnenstrahlen war der Balkon gewöhnlich mit einem Dache von Leinwand überspannt und hatte an seinen Seiten manchmal auch schmale leinene Wände. Heute war statt den Linnen weiße Seide gezogen, das Innere war mit rotem Samt ausgefüttert und mit demselben Stoffe gleichsam zu einer großen, prachtvollen Nische ausgebaut, in der man sitzen und den ungeheuren Raum vor sich betrachten konnte. Zur Bequemlichkeit waren lange, an den Enden nach vorwärts geschweifte Ruhebänke von Samt gestellt. Der Balkonsaal, dessen Tür hinausführte, war bei der neuen Einrichtung der Wohnungen Gertrauds und Prokops so geordnet worden, daß er einen gemeinschaftlichen Saal abgab, aus dem man rechts in die Zimmer des Grafen, links in die Gertrauds gelangen konnte.
Prokopus war durch seine Gemächer bis in das letzte zurückgegangen, war durch den Saal, der heute auch in seinem Innern lauter Seide zeigte, auf diesen Balkon hinausgetreten und lehnte sein Haupt an eine der eisernen Stangen, an denen der Samtbau befestigt war.
Der Tag hatte von dem Berge des Rothensteines schon Abschied genommen, nur in dem äußersten Abende, wie es im Sommer zu sein pflegt, war noch ein schwaches Rot, das aber sogleich in jenen blassen Schein des Himmels überging, der nur noch durch das matteste Leuchten angibt, wo die Sonne ihren Weg von uns fort genommen hatte. Sonst war tiefe Einheit an dem Himmel, durch kein einziges, noch so kleines Wölkchen unterbrochen. Auf der Erde war die Stille noch nicht eingetreten. Es feierten wohl die Bäume, die in schwarzen Klumpen unten standen, und der Rasen, der sich gleich einem dunklen Tuche hinbreitete, die Nachtruhe: aber zwischen den Bäumen kam noch der verlorene Schimmer von Lampen und Kerzen herüber, die in dem Speisesaale brannten, und über den Rasen schwamm noch mancher vereinzelte Laut daher, der sich von denen verirrte, die etwa noch beim Becher saßen oder sich sonst über die Freude des heutigen Tages vergnügten. Selbst von der untersten Stelle der Ummauerung des Berges, wo das Kastellanhäuschen stand, kamen noch Zeichen des Lebens herauf. An der Wand des Baumdunkels war der Lichterschein zu erkennen, der für das eingeladene Volk war angezündet worden, und zuzeiten war es, als hörte man das Brausen herauf, wie es sich unterredete.
Von den fernen Ländern und Bergen, die man am Tage gleichsam wie in einem sanften Rauche schwimmend von dem Schlosse aus sehen konnte, war in der Nacht nichts zu erblicken, und der Berg mit seinem breitgedehnten Gipfel und mit den Werken, die man auf ihm errichtet hatte, stand ganz allein in der ihn umgebenden, beinahe fürchterlichen Leere. »12. Fortsetzung folgt