Aichacher Nachrichten

Fukushima: „Wunde Heimat“verstört Kinobesuch­er

Dokumentar­film macht Besucher betroffen. „Furusato“läuft heute noch einmal in Aichach

- VON MARTIN GOLLING

Aichach „Furusato“heißt „wunde Heimat“. Es ist ein verstörend­er Dokumentar­film über die Atomkatast­rophe von Fukushima. „Wir sollten uns erst einmal unsere Betroffenh­eit aus dem Kittel schütteln“, übernahm Ernst Haile, Kreisvorsi­tzende des Bund Naturschut­z, dann auch das Wort, nachdem Furusato im Cineplex Aichach geendet hatte. Insgesamt vier Mal wird der Film in Aichach gezeigt. Am heutigen Mittwoch um 19 Uhr, und das nächste Mal am Sonntag, 25. März, um 12.30 Uhr.

Der Streifen beginnt mit einer Heimkehr. Eine Familie holt sich bei den Behörden die Genehmigun­g für eine Fahrt durch die Sperrzone der geteilten Stadt Minamisoma in der Nähe von Fukushima. Ein Teil dieser Stadt darf ohne Atemschutz und Geigerzähl­er bewohnt bleiben, ein anderer nur mit Schutzanzü­gen betreten werden. Vorbei an Ruinen geht die Fahrt durch eine Geistersta­dt. Schließlic­h können die Familienmi­tglieder ihr verlassene­s Haus aufsperren. Ein Blick in die Scheune, man besieht sich die Ahnengaler­ie an den Wänden des Wohnzimmer­s, um im nächsten Moment alles wieder hinter sich zu lassen.

Dann wird ein Landwirt gezeigt, der seine Pferdezuch­t auf kontaminie­rtem Boden betreibt und mit jeder Geburt eines Fohlens Hoffnung aufkeimen sieht. Doch der Nachwuchs schwächelt: Viel zu große Köpfe auf dürren Beinen, denen noch im Jugendalte­r buchstäbli­ch die Nerven versagen. Die Hinterbein­e lassen sich nicht mehr kontrollie­rt bewegen.

Weitere Szene: Noch rocken ein paar Jungs in ihrer Band. Wenige Filmminute­n später verlässt der Sänger die Region, um in Tokyo ein neues Leben zu beginnen. „Mein Mann und ich sind alt, ich weiß aber, dass alle jungen Leute betroffen sein werden“, sagt die Frau, die einen Tempel betreut. Im Turmdach hat sie die letzten Spatzen der gesamten Umgebung gefunden.

Der Film Furusato setzt viel Wissen voraus. Ein Tepco-Ingenieur steht vor vier scheinbar frisch getünchten Reaktorblö­cken und bedauert den Unfall. Es sind keineswegs die havarierte­n Meiler, sondern intakte Meiler in einigen Kilometern Entfernung. Später provoziert derselbe Ingenieur, als er in Sichtweite derselben Blöcke auf dem Meer aufreizend-genussvoll frisch gefangenen Fisch isst, obwohl er sicher weiß, dass unweit davon riesige Berge mit „Big Bags“voller Strahlenmü­ll am Strand lagern.

Zahlen? Kommen im Film kaum vor. „Selbst nach Tschernoby­l stieg bei uns die Zahl der Kinder mit Schilddrüs­enkrebs“, sagt ein Aktivist. Wie viele Kinder nun erkrankt sind? Keine Angaben. Erstaunlic­herweise sind es die Frauen, die sich trauen, unbequeme Gedanken auszusprec­hen. Wie zum Beispiel jene Mutter: „Eines Tages wird sich die Menschheit mit ihrer eigenen Technologi­e zugrunde richten.“

In der Diskussion berichtete Heidi Bentele, Vorsitzend­e der Hilfe für Kinder aus Tschernoby­l, aus der Region um Gomel in Weißrussla­nd, die 80 Prozent des radioaktiv­en Fallouts aus Tschernoby­l abbekam: „Die Todesrate – jedes dritte Kind ist schwer krank – ist so hoch, dass die große Depression sich in allen Gesichtern widerspieg­elt.“Gleichzeit­ig bekämen die Kranken so gut wie keine Hilfe mehr. In Sachen Radioaktiv­ität herrsche Informatio­nsverbot. „Wenn ich dann bei uns höre, die Windkraft verschande­le die Landschaft, könnte ich kotzen.“Raimund Kamm, der Landesvors­itzende des Bundesverb­ands Wind Energie, erinnert an das, was täglich bei uns geschehe: „Allein an diesem Tag werden die beiden Blöcke Isar II und Gundremmin­gen Block C so viel Atommüll produziere­n, wie im Versuchsla­ger ,Asse Neu‘ gebunkert ist.“

Die Aichacher Umweltrefe­rentin Magdalena Federlin (Grüne) fragte: „Wie kann sich der Mensch so kontinuier­lich den Ast absägen, auf dem er sitzt?“Und Anne Glas, Zweite Bürgermeis­terin in Dasing, erklärte: „Ich bin erschrocke­n, wie hilflos und dilettanti­sch Japan mit den Folgen der Katastroph­e umgeht.“

 ?? Foto: Martin Golling ?? „Furusato“läuft im Cineplex Aichach: (von links) Werner Rusch und die Diskussion­s teilnehmer Ernst Haile, Roderich Zauscher vom Bund Naturschut­z Dachau, Heidi Ben tele und Raimund Kamm.
Foto: Martin Golling „Furusato“läuft im Cineplex Aichach: (von links) Werner Rusch und die Diskussion­s teilnehmer Ernst Haile, Roderich Zauscher vom Bund Naturschut­z Dachau, Heidi Ben tele und Raimund Kamm.

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