In diesem Gesangsverein spiegelt sich Geschichte
Vor 175 Jahren wurde der Philharmonische Chor gegründet. Als Augsburger Liedertafel sorgte er sofort für Aufsehen
Schon kurz nach der Gründung war die Anteilnahme riesig. Als die soeben entstandene Augsburger Liedertafel im Juli 1843 nach Siebentisch wanderte und dort ein Konzert gab, wurde der Chor von 4000 Zuhörern aus allen Kreisen der Bevölkerung begleitet. Besser kann ein Einstand nicht verlaufen. Den Augsburger Sängern war der Erfolg Ansporn für mehr. Vor 175 Jahren wurde der Chor gegründet, am Wochenende feiert er sein Jubiläum, allerdings unter dem neuen Namen „Philharmonischer Chor“.
Willkommen in der 175-jährigen Vereinsgeschichte, mit der nicht nur Augsburger Stadtgeschichte erzählt werden kann, sondern gleichzeitig auch Musikgeschichte und auch deutsche Geschichte. Zum Beispiel über die beginnende Industrialisierung, die die alte ständische Ordnung und die Zünfte obsolet machte. An deren Stelle traten Vereine, in Augsburg etwa die Liedertafel, gegründet von dem Privatier Johannes Rösle, der 37 Jahre lang als Vorstand und Chorleiter die Geschicke des Vereins lenkte. Nachzulesen ist das in der Festschrift, die Bernhard Wißner angefertigt hat (Wißner Verlag, 110 Seiten, reich bebildert, 10 Euro), sowie im Stadtarchiv Augsburg, das eine Ausstellung über den Philharmonischen Chor und dessen Vorgänger zeigt. Denn 1970 haben sich die Augsburger Liedertafel und der 1866 gegründete Oratorienverein aufgrund von Mitgliedermangel zu einem Chor zusammengeschlossen.
Beide Vereine haben das Musikleben Augsburgs, das nach der Neuordnung Deutschlands durch Napoleon darbte, wieder auf die Beine gestellt. Die Liedertafel hat als Chor innerhalb kürzester Zeit bayernund dann auch deutschlandweit für Aufsehen gesorgt und immer wieder höchste Auszeichnungen auf Sängerfesten erhalten. Der Oratorienverein, gegründet von Hans Michael Schletterer, hat es sich zur Aufgabe gemacht, sechs Konzerte im Jahr zu organisieren. Dieser Verein ermöglichte es den Augsburgern, wieder große Orchesterwerke zu hören (es gab ja noch keine Schallplatten und kein Radio).
In den Vereinsarchiven, die mittlerweile dem Stadtarchiv übergeben worden sind, befinden sich kleine Schätze. Zum Beispiel eine Korrespondenz mit Felix Mendelssohn Bartholdy im November 1845. Die Liedertafel wollte dessen „Antigone“aufführen, der Chorleiter konnte aber die Partitur nicht beschaffen. Und weil der Chor gemeinnützig auftrat, wollte auch Mendelssohn Bartholdy nicht geizig sein, verzichtete auf ein Honorar und beschaffte den Sängern ein Manuskript.
Deutlich ist zu sehen, wie politisch der Sängerverein war – immer wieder ist bis 1870 die lang ersehnte deutsche Einheit ein großes Thema, das sich durch viele für die Liedertafel komponierte Stücke hindurchzieht. Der Verein nimmt an gesamtdeutschen Sängerfesten teil, die wiederum große Kundgebungen für ein liberales, geeintes Deutschland waren. 1861 singen die Augsburger beim Großen Deutschen Sängerfest in Nürnberg: „O teures Vaterland,/ Gott gebe Dir, Einheit und Größe unter Deinen Eichen/ Und Freiheit für Dein heiliges Panier!“
Die Weltkriege waren für das Vereinsleben einschneidende Ereignisse. Nach 1918 gelang es mühsam, wieder in Tritt zu kommen. Bemerkenswert ist zum Beispiel die Geschichte Arthur Piechlers, der sich auch als Leiter des Oratorienvereins große Verdienste um die Musik in Augsburg erwarb. Weil seine Mutter jüdischen Glaubens war, zwang die Reichskulturkammer 1938 die Stadt Augsburg, diesen zu entlassen. Drei Jahre lang widersetzte sich Augsburg, danach gelang es der Stadt immerhin, Piechler bis 1945 vor Schlimmerem zu beschützen. Gleich nach dem Krieg trat Piechler 1945 mit dem Oratorienverein am 9. November in Dachau auf: auf dem Programm das „Deutsche Requiem“von Brahms.
Aktuell befindet sich der Philharmonische Chor in einer Phase großer Kontinuität. Seit 1982 wird er von Wolfgang Reß geleitet. Ihm fehlt nur noch ein Jahr, um mit Johannes Rösle, dem Gründer und Rekord-Chorleiter, gleichzuziehen. ⓘ
Festakt für geladene Gäste am Sams tag, 17. März, um 19 Uhr im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses. Die Aus stellung „175 Jahre Philharmonischer Chor“im Stadtarchiv Augsburg ist bis 6. April zu sehen, Mittwoch und Donners tag von 8 bis 12 Uhr und 13 bis 17 Uhr, Freitag von 8 bis 12 Uhr.