Ein Vorzeigeprojekt wird zum Problemfall
Seit seiner Gründung vor über 40 Jahren war der Augsburger Integrationsbeirat oft mit eigenen Querelen beschäftigt. Aktuell gibt es wieder Schwierigkeiten. Dennoch glauben Experten, dass das Gremium für die Stadt wichtig ist – und zwar noch für lange Zeit
Rund 45 Prozent aller Augsburger haben Migrationshintergrund: Sie haben entweder Eltern, die aus anderen Ländern stammen, oder sind selbst Ausländer. Dass der Migrantenanteil in Augsburg so hoch ist, liegt unter anderem an der Geschichte der Stadt: Als Produktionsstandort mit tausenden Arbeitsplätzen in der Textilindustrie zog sie viele Gastarbeiter an.
Die Frage, wie gut diese Menschen in eine fremde Kultur, in ein ihnen fremdes Land integriert werden können, stellte sich in Augsburg früh. Um den Gastarbeitern die Eingliederung zu erleichtern – und um auch der Stadtverwaltung Zugang zu den neuen Bürgern zu verschaffen – wurde in den 70er Jahren ein Ausländerbeirat gegründet. Augsburg galt damals bayernweit als Vorreiter. Die Geschichte des Beirats und auch seine Erfolgsbilanz jedoch sind wechselhaft.
Begründet liegt das auch in der Art, wie das Gremium zunächst aufgestellt war: „Weil die Migranten die Mitglieder wählen durften, glaubten sie, dass jetzt ein Stadtrat für die ausländische Bevölkerung entsteht“, erinnert sich Cemal Bozoglu. Der Grünen-Stadtrat, der in Istanbul geboren wurde und mit 17 Jahren nach Deutschland kam, weiß: „Die Erwartungen der Migranten an den Beirat waren hoch.“Doch sie erfüllten sich nicht, da das Gremium keine Entscheidungen fällen, sondern nur Ratschläge geben kann. Hinzu kam, dass der anfangs stark türkisch geprägte Ausländerbeirat zur Plattform wurde für interne Probleme unterschiedlicher türkischer Gruppierungen. „Im Beirat wurden Konflikte ausgetragen, die in die Türkei gehörten“, sagt Bozoglu. Die Folge: Der Ausländerbeirat war mehr mit eigenen Problemen beschäftigt, als sich für die Belange aller Migranten einzusetzen. Die Stadt reagierte mehrfach: Sie änderte den Namen von Ausländer- zu Integrationsbeirat und nahm Einfluss auf seine Zusammensetzung. Seit letztem Jahr werden die Mitglieder nicht mehr gewählt. Stattdessen wird unter mehreren Bewerbern ein aufgrund seiner Qualifikation geeignetes Gremium zusammengestellt. Nationalität und religiöse Ausrichtung spielen keine Rolle. Bozoglu ist überzeugt, dass auf diese Art eine konstruktive Zusammenarbeit möglich sein kann – trotz der aktuellen Probleme.
Denn kaum hat sich der neue Beirat zusammengefunden, gibt es schon wieder Krach: Vorsitzender Maximilian Rothermel hat sein Amt niedergelegt, nachdem er wegen islamkritischer Äußerungen in sozialen Netzwerken von anderen Mitgliedern des Beirats kritisiert worden war. Rothermel selbst wirft seinen Kollegen vor, sich vor unbequemen Diskussionen zu verstecken und stattdessen lieber „Beschwichtigungspolitik“zu betreiben. Wieder einmal kreist der Integrationsbeirat also um sich selbst, während ein Großteil der Augsburger mit ausländischen Wurzeln – provokativ gesagt – wohl nicht einmal von seiner Existenz weiß.
Wie es nun weitergeht, ist offen. Am kommenden Montag findet eine Sitzung des Gremiums statt. Es ist anzunehmen, dass die Mitglieder dann über die aktuellen Verwerfungen diskutieren. Ob sie beim Treffen bereits einen neuen Vorsitzenden wählen, ist fraglich. Insider glauben, dass es dafür zu früh ist. „Die Auseinandersetzungen müssen erst aufgearbeitet werden.“Solange das nicht geschieht, kann der Beirat seine eigentliche Arbeit nicht aufnehmen.
Cemal Bozoglu ist dennoch davon überzeugt, dass der Integrationsbeirat nicht überflüssig ist. „In den nächsten zehn bis 20 Jahren brauchen wir diese Struktur, um die gesellschaftliche Mitte zu stärken.“Wolle man in diese Debatte auch Migranten einbinden, sei der Beirat der einzig sinnvolle Weg: „Hier können die Menschen zusammenkommen, diskutieren, der Stadt Vorschläge machen.“Problematisch dabei könnte jedoch sein, dass viele Menschen gar nicht daran interessiert sind, Stadtgesellschaft und Kommunalpolitik mitzugestalten – egal, ob sie nun deutsche oder ausländische Wurzeln haben.
Beim Bayern Festakt ist der Beirat nun doch dabei
Wenige Monate nach seiner Neuaufstellung steht der Augsburger Integrationsbeirat einmal mehr an einem Scheidepunkt. Wenn es nicht gelingt, die Querelen zu beenden und stattdessen zu einer konstruktiven Arbeit überzugehen, macht sich der Beirat über kurz oder lange überflüssig. Bozoglu hofft, dass die Mitglieder, die zum Großteil neu und damit politisch unerfahren sind, schnell lernen und den richtigen Weg einschlagen.
Eine Entscheidung, die in diese Richtung weist, haben sie bereits getroffen: Obwohl der Beirat zunächst seine Teilnahme am heutigen Festakt „100 Jahre Bayern“im Kongress am Park abgesagt hatte, wird nun doch eine Delegation daran teilnehmen. Man schließe sich, heißt es in einer Presseerklärung des Gremiums, mit der Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migrantenund Integrationsbeiräte Bayerns an zusammen, um an einem Tisch über die Arbeit zu informieren. Am Montag organisiert die Augsburger Migrantenvertretung außerdem eine Aktion im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus: Von 15 bis 17.15 Uhr werden in der Fußgängerzone Broschüren mit Blumensamen verteilt. Der Name der Aktion ist bezeichnend: „Frieden säen“. Vielleicht sollten die Mitglieder des Beirats einige Päckchen Samen auch in den eigenen » Reihen ausstreuen. Bayern, S. 17