Aichacher Nachrichten

Wie sich Augsburg in Zukunft fortbewegt

Die Diskussion um ein Diesel-Fahrverbot ist kein Schreckges­penst, sondern ein Segen. Jetzt ist klar: So kann der Verkehr nicht weiterflie­ßen. Doch wie sehen die Alternativ­en aus?

- VON MARCUS BÜRZLE mb@augsburger allgemeine.de

Jeder weiß, dass eine ausgewogen­e Ernährung und Bewegung das Rezept für ein gesundes Leben sind. Zwischen Wissen und Tun liegen jedoch Welten. Ohne eine klare Ansage zum Beispiel vom Arzt finden wir immer Gründe, doch anders zu leben. Ganz ähnlich ist das im Straßenver­kehr. Jeder weiß seit Jahren, dass uns eines Tages Öl und Benzin ausgehen. Es ist kein Geheimnis, dass Autos giftige Abgase in die Luft blasen, die krank machen. Zugeparkte Straßen und Staus fallen ebenso nicht vom Himmel – sie sind das Ergebnis einer maßlosen Begeisteru­ng für das Auto. Wir haben uns bislang durchgemog­elt. Es brauchte ein Gericht, das sagt: Leute, so geht es nicht!

Unverschäm­t, oder? Frechheit! Nein, das Urteil ist ein Weckruf und eine günstige Gelegenhei­t. Ein drohendes Fahrverbot schafft Chancen. Wenn plötzlich über kostenlose­n Nahverkehr diskutiert wird, muss jede Stadt hellwach sein. Es scheint nämlich – im Angesicht des Verbots – plötzlich viel Geld denkbar zu sein für den Verkehr von morgen. Augsburg hat sich darüber schon Gedanken gemacht. Die Stadt ist einerseits mutig, anderseits aber auch verzagt. Mutig war es, mit der Mobilitäts­drehscheib­e klar auf den Nahverkehr zu setzen. Verzagt wirkt es allerdings, wenn die gleichen Stadträte eine Tarifrefor­m durchwinke­n, die zumindest einen Teil der (potenziell­en) Fahrgäste abschreckt. Mutig war es, die Fahrradsta­dt auszurufen, verzagt wirkt es, wenn dann über jeden wegfallend­en Parkplatz eifrig diskutiert wird. Mutig war es, auf ein Miteinande­r unterschie­dlicher Fortbewegu­ngsmöglich­keiten zu setzen. Verzagt wirkt es, wenn man die Schadstoff­werte mit ein paar schlauen Ampeln senken will. Es geht nämlich um mehr.

Selbst wenn Autos (vor Ort) schadstoff­frei fahren sollten – etwa mit Strom – bleibt die große Frage: Wie wollen wir den Lebensraum Stadt aufteilen? Vorfahrt für das Blech? Oder Vorfahrt für die Menschen? Es bleiben drei Wege – wie in der Ernährung: Weiter so mit Schweinsha­xen, eine radikale Nulldiät oder eine ausgewogen­e Mischung. Wie beim Essen scheiden die Optionen eins und zwei aus. Das „Weiter so“führt eines Tages in den Kollaps. Eine Nulldiät ist nicht vermittelb­ar. Das Auto verspricht so viel individuel­le Freiheit, dass man sie nicht einfach streichen kann. Über Jahrzehnte war es ein Zeichen des Aufschwung­s und des Erfolgs. Das lässt sich nicht ignorieren. Freiheit und Komfort des einzelnen Automobili­sten gehen aber auf Kosten vieler anderer. Daher kann die Lösung nur in einer gesunden Mischung liegen. Augsburg hat das längst als Ziel formuliert, jetzt ist die Zeit, Zeichen zu setzen.

In der Debatte, die unter anderem im Entwurf des Stadtentwi­cklungskon­zept geführt wird, darf es keine Tabus geben. Augsburg fehlt zum Beispiel eine Tangente nördlich der Innenstadt. Undenkbar? Überlegen muss erlaubt sein. Könnte man so nicht die Karlstraße vom Verkehr entlasten? Und niemand wollte sich eine Stadt ohne B 17 oder Schleifens­traße vorstellen. Augsburg muss das Projekt Fahrradsta­dt weiter mit Leben erfüllen. Es darf auch mal ein ungewöhnli­ches Leuchtturm­projekt sein, das zeigt: Hey, hier passiert etwas. Und der öffentlich­e Nahverkehr muss ohne Frage weiter ausgebaut werden. Wahrschein­lich ist es an dieser Stelle sogar schlauer, nicht auf kostenlose Busse und Straßenbah­nen zu setzen.

Mit dem vielen Geld kann auf der anderen Seite nämlich auch das Angebot verbessert werden. Die Stadtwerke setzen schon auf Carsharing und eine Verknüpfun­g verschiede­ner Verkehrsmi­ttel. Doch die Frage ist: Wie können Bus und Tram so attraktiv und komfortabe­l werden, dass man das Auto stehen lässt? Eine kleine Utopie: Wie wäre es, wenn am Stadtrand nicht simple Parkplätze auf Pendler und Einkäufer aus dem Umland warten würden. Sondern ein Parkhaus, hell und sicher. Mit Cafés und vielleicht Geschäften. Mit einem beheizten Warteraum, von dem aus man komfortabe­l umsteigen kann in pünktlich verkehrend­e Straßenbah­nen, die ohne Parkplatzs­uche direkt vor dem Büro oder dem Geschäft halten. Der Tarif ist so attraktiv, dass man im Normalfall gar nicht mehr überlegt, ob man anders in die Stadt will. Wie wäre es, wenn es einen Gepäckserv­ice gäbe, der die Einkäufe aus dem Zentrum unabhängig vom Einkäufer in das Parkhaus und damit zum Auto bringt?

Auf der anderen Seite würde Platz geschaffen für Menschen, die mit dem Auto in die Stadt müssen. Es gäbe mehr Raum für Fußgänger, Fahrradfah­rer, Einkäufer und spielende Kinder. Viele Menschen, die in der Stadt leben, könnten aufatmen. Und ein DieselFahr­verbot wäre ein Gespenst von gestern.

Die Frage lautet: Wem gehört der Lebensraum Stadt?

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Symbolfoto: Tobias Hase, dpa Auto, Straßenbah­n, Fahrrad oder Fußgänger: Der Verkehr der Zukunft kann nur eine gesunde Mischung sein.
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