Wenn dem Chor die Stimme fehlt
Viele Vereine suchen dringend neue Mitglieder. Am Beispiel der Hobby-Sänger im Landkreis werden die Herausforderungen deutlich. Wie die Chöre die Probleme lösen wollen
Aichach Friedberg Viele Vorsitzende und Leiter von Chören im Landkreis blicken mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Langsam, aber stetig sinkt die Zahl der aktiven Sänger. Der kontinuierliche Aderlass ist in erster Linie altersbedingt. Ein zusätzlicher Grund für die Sorgenfalten: Die Suche nach Nachwuchs wird immer schwieriger.
Ein Großteil der Chormitglieder im Landkreis ist 60 Jahre und älter. Alois Kammerl, Leiter des Kammerchor St. Sebastian in Aichach, erinnert sich: „Ich habe mit dem Chor vor 27 Jahren angefangen. Die Leute werden mit mir älter.“Die Jüngsten seien rund 30 Jahre alt, die Mehrheit allerdings zwischen 40 und 70 Jahren. Der Chor zählt aktuell rund 35 Mitglieder. Hinsichtlich neuer Mitglieder stellt Kammerl fest: „Die Leute stehen nicht Schlange.“
Auch der evangelische Kirchenchor Aichach ist von schwindenden Mitgliederzahlen betroffen, wie Leiter Wolfgang Kraemer sagt. Aktuell hat der Chor 20 Mitglieder, wobei die meisten zwischen 60 und 80 Jahre alt sind. „Seit Jahren müssen wir ein eingeschränktes Repertoire aufführen“, bedauert Kraemer. Ähnliche Abstriche muss auch der Frauenchor Cantabella aus Obergriesbach machen. Leiterin Sandra Tucker-Halbfell sagt: „Es fehlen vor allem Alt-Stimmen.“Den Aichachern mangelt es ebenfalls vor allem an Frauenstimmen. Anlässlich des 70-jährigen Bestehens half ihnen der Gersthofer Chor mit Frauenstimmen aus. Die Aichacher revanchierten sich mit den passenden Männerstimmen, die beim Gersthofer Chor knapp sind.
Immer sind Kooperationen aber nicht möglich. Sandra Tucker-Bell will künftig Werbung machen, um ihren Chor zu vervollständigen. Werbung steht Kraemer aber eher skeptisch gegenüber: „Werbung macht der Chor per se durch sich selbst.“Die Gründe, einem Chor beizutreten, seien ohnehin verschieden, wie Alois Kammerl erklärt: „Einige wählen den Chor nach der Attraktivität der Werke, andere suchen die Gemeinschaft.“Das Interesse an kirchlichem Liedgut sei vor allem bei Jugendlichen kaum vorhanden, bedauert Kraemer: „Schulen und Elternhäuser haben die Bindung an die Kirche verloren. In der Schule werden keine Volkslieder mehr gelehrt.“
Der Kühbacher Frauenchor Kaleidoskop unter der Leitung von Helene Monzer arbeitet dagegen mit neuem geistlichen Liedgut. Die Mitgliederzahl schwankt seit der Gründung 2009 zwischen 25 und 30 Mitgliedern. Nach wie vor könnten sie die Stücke vierstimmig singen. Weil sich über die Jahre ein gewisses Repertoire angehäuft habe, hätten es neue Sängerinnen aber schwer, bedauert Monzer. „Sie müssen das bestehende Liedgut nachlernen.“Jugendliche sind aber nicht Teil des Chores, die meisten Mitglieder sind zwischen 40 und 60 Jahre alt.
Fakt sei, dass jüngere Menschen nicht das vorrangige Ziel hätten, in einem Chor zu singen, bilanziert der geschäftsführende Präsident des Chorverbands Bayerisch-Schwaben, Jürgen Schwarz. Alois Kammerl sieht den Grund für das Desinteresse im Engagement, das man für den Chor aufbringen müsse: „Man verpflichtet sich wöchentlich zu Proben und für Auftritte.“Das Freizeitangebot sei in den vergangenen Jahren vielfältiger geworden, sodass sich weniger Menschen festlegen wollten.
Diana Tiljak-Schmoll, Leiterin der Rehlinger Chorgemeinschaft, glaubt nicht, dass das Chorsingen ausstirbt: „Man sagt immer, dass die Leute von Vereinen wegen der regelmäßigen Verpflichtung abgeschreckt sind.“Dem könne man durch Projekttage entgegentreten. „Dadurch kann der Wunsch entstehen, sich öfters zu treffen.“So organisiert die Chorgemeinschaft einen Workshop für Jugendliche am 14. April. Mit dem Projekt will die Musiklehrerin und Musiktherapeutin alle Jugendlichen aus der Umge- bung ansprechen, die Spaß am Singen haben. „Die Chorgemeinschaft kümmert sich an diesem Tag um die Verpflegung“, erklärt TiljakSchmoll. Die insgesamt 24 Sänger wollten so zeigen, dass ihnen der Nachwuchs wichtig sei.
Durch den neuen Rehlinger Jugendchor soll eine Lücke zwischen dem Kinderchor, den Tobias Lachenmayr leitet, und der Chorgemeinschaft geschlossen werden. Alle, die nicht mehr Kinderlieder singen wollen, aber auch noch kein klassisches Liedgut, können mehrstimmige Poplieder einstudieren.
Popsongs finden sich auch im Repertoire des Cantabella Chor. Die ausgebildete Sopranistin Sandra Tucker-Halbfell gründete den Frauenchor vor vier Jahren. Die meisten Mitglieder sind zwischen 40 und 50 Jahre alt. Waren es bei der Gründung noch 14 Mitglieder, sind es mittlerweile 15. Aktuell seien zwei Frauen Anfang 20 dazugekommen. „Eine ist Tochter einer Sängerin. Eine andere ist eine Gesangsschülerin von mir.“Gezielt werbe sie ihre Gesangsschülerinnen aber nicht an. „Es gibt viele Gründe für Gesangsunterricht. Es muss nicht unbedingt für den Chor sein“, erklärt TuckerHalbfell. Zeigten ihre Schüler aber Interesse, nehme sie diese gerne zu den Proben mit.
Für Wolfgang Kraemer ist die Zukunft ohnehin der Projektchor. Die Sänger treffen sich über ein Jahr meist einmal im Monat und führen abschließend ein Stück auf. „Ich probe aktuell für das Weihnachtsoratorium von Bach“, sagt er. So bleibe das Chorsingen zwar erhalten, regelmäßige Verpflichtungen entfielen aber.
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Konzert Der Augsburger Sängerkreis veranstaltete für Jugendchöre einen Stimmbildungstag. Mitgewirkt haben der Jugendchor Augustana der Sing und Musikschule Mozartstadt Augsburg, der Chor des Gymnasiums Friedberg und iVoises aus Kutzenhausen. Die Jugendli chen lernten Lieder, die mit Profis wei ter einstudiert wurden. Das Abschluss konzert ist am 17. März im Kleinen Goldenen Saal.