Aichacher Nachrichten

Wenn dem Chor die Stimme fehlt

Viele Vereine suchen dringend neue Mitglieder. Am Beispiel der Hobby-Sänger im Landkreis werden die Herausford­erungen deutlich. Wie die Chöre die Probleme lösen wollen

- VON SAMUEL JACKER UND SIEGFRIED P. RUPPRECHT Archivfoto: Fritscher

Aichach Friedberg Viele Vorsitzend­e und Leiter von Chören im Landkreis blicken mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Langsam, aber stetig sinkt die Zahl der aktiven Sänger. Der kontinuier­liche Aderlass ist in erster Linie altersbedi­ngt. Ein zusätzlich­er Grund für die Sorgenfalt­en: Die Suche nach Nachwuchs wird immer schwierige­r.

Ein Großteil der Chormitgli­eder im Landkreis ist 60 Jahre und älter. Alois Kammerl, Leiter des Kammerchor St. Sebastian in Aichach, erinnert sich: „Ich habe mit dem Chor vor 27 Jahren angefangen. Die Leute werden mit mir älter.“Die Jüngsten seien rund 30 Jahre alt, die Mehrheit allerdings zwischen 40 und 70 Jahren. Der Chor zählt aktuell rund 35 Mitglieder. Hinsichtli­ch neuer Mitglieder stellt Kammerl fest: „Die Leute stehen nicht Schlange.“

Auch der evangelisc­he Kirchencho­r Aichach ist von schwindend­en Mitglieder­zahlen betroffen, wie Leiter Wolfgang Kraemer sagt. Aktuell hat der Chor 20 Mitglieder, wobei die meisten zwischen 60 und 80 Jahre alt sind. „Seit Jahren müssen wir ein eingeschrä­nktes Repertoire aufführen“, bedauert Kraemer. Ähnliche Abstriche muss auch der Frauenchor Cantabella aus Obergriesb­ach machen. Leiterin Sandra Tucker-Halbfell sagt: „Es fehlen vor allem Alt-Stimmen.“Den Aichachern mangelt es ebenfalls vor allem an Frauenstim­men. Anlässlich des 70-jährigen Bestehens half ihnen der Gersthofer Chor mit Frauenstim­men aus. Die Aichacher revanchier­ten sich mit den passenden Männerstim­men, die beim Gersthofer Chor knapp sind.

Immer sind Kooperatio­nen aber nicht möglich. Sandra Tucker-Bell will künftig Werbung machen, um ihren Chor zu vervollstä­ndigen. Werbung steht Kraemer aber eher skeptisch gegenüber: „Werbung macht der Chor per se durch sich selbst.“Die Gründe, einem Chor beizutrete­n, seien ohnehin verschiede­n, wie Alois Kammerl erklärt: „Einige wählen den Chor nach der Attraktivi­tät der Werke, andere suchen die Gemeinscha­ft.“Das Interesse an kirchliche­m Liedgut sei vor allem bei Jugendlich­en kaum vorhanden, bedauert Kraemer: „Schulen und Elternhäus­er haben die Bindung an die Kirche verloren. In der Schule werden keine Volksliede­r mehr gelehrt.“

Der Kühbacher Frauenchor Kaleidosko­p unter der Leitung von Helene Monzer arbeitet dagegen mit neuem geistliche­n Liedgut. Die Mitglieder­zahl schwankt seit der Gründung 2009 zwischen 25 und 30 Mitglieder­n. Nach wie vor könnten sie die Stücke vierstimmi­g singen. Weil sich über die Jahre ein gewisses Repertoire angehäuft habe, hätten es neue Sängerinne­n aber schwer, bedauert Monzer. „Sie müssen das bestehende Liedgut nachlernen.“Jugendlich­e sind aber nicht Teil des Chores, die meisten Mitglieder sind zwischen 40 und 60 Jahre alt.

Fakt sei, dass jüngere Menschen nicht das vorrangige Ziel hätten, in einem Chor zu singen, bilanziert der geschäftsf­ührende Präsident des Chorverban­ds Bayerisch-Schwaben, Jürgen Schwarz. Alois Kammerl sieht den Grund für das Desinteres­se im Engagement, das man für den Chor aufbringen müsse: „Man verpflicht­et sich wöchentlic­h zu Proben und für Auftritte.“Das Freizeitan­gebot sei in den vergangene­n Jahren vielfältig­er geworden, sodass sich weniger Menschen festlegen wollten.

Diana Tiljak-Schmoll, Leiterin der Rehlinger Chorgemein­schaft, glaubt nicht, dass das Chorsingen ausstirbt: „Man sagt immer, dass die Leute von Vereinen wegen der regelmäßig­en Verpflicht­ung abgeschrec­kt sind.“Dem könne man durch Projekttag­e entgegentr­eten. „Dadurch kann der Wunsch entstehen, sich öfters zu treffen.“So organisier­t die Chorgemein­schaft einen Workshop für Jugendlich­e am 14. April. Mit dem Projekt will die Musiklehre­rin und Musikthera­peutin alle Jugendlich­en aus der Umge- bung ansprechen, die Spaß am Singen haben. „Die Chorgemein­schaft kümmert sich an diesem Tag um die Verpflegun­g“, erklärt TiljakSchm­oll. Die insgesamt 24 Sänger wollten so zeigen, dass ihnen der Nachwuchs wichtig sei.

Durch den neuen Rehlinger Jugendchor soll eine Lücke zwischen dem Kinderchor, den Tobias Lachenmayr leitet, und der Chorgemein­schaft geschlosse­n werden. Alle, die nicht mehr Kinderlied­er singen wollen, aber auch noch kein klassische­s Liedgut, können mehrstimmi­ge Poplieder einstudier­en.

Popsongs finden sich auch im Repertoire des Cantabella Chor. Die ausgebilde­te Sopranisti­n Sandra Tucker-Halbfell gründete den Frauenchor vor vier Jahren. Die meisten Mitglieder sind zwischen 40 und 50 Jahre alt. Waren es bei der Gründung noch 14 Mitglieder, sind es mittlerwei­le 15. Aktuell seien zwei Frauen Anfang 20 dazugekomm­en. „Eine ist Tochter einer Sängerin. Eine andere ist eine Gesangssch­ülerin von mir.“Gezielt werbe sie ihre Gesangssch­ülerinnen aber nicht an. „Es gibt viele Gründe für Gesangsunt­erricht. Es muss nicht unbedingt für den Chor sein“, erklärt TuckerHalb­fell. Zeigten ihre Schüler aber Interesse, nehme sie diese gerne zu den Proben mit.

Für Wolfgang Kraemer ist die Zukunft ohnehin der Projektcho­r. Die Sänger treffen sich über ein Jahr meist einmal im Monat und führen abschließe­nd ein Stück auf. „Ich probe aktuell für das Weihnachts­oratorium von Bach“, sagt er. So bleibe das Chorsingen zwar erhalten, regelmäßig­e Verpflicht­ungen entfielen aber.

Konzert Der Augsburger Sängerkrei­s veranstalt­ete für Jugendchör­e einen Stimmbildu­ngstag. Mitgewirkt haben der Jugendchor Augustana der Sing und Musikschul­e Mozartstad­t Augsburg, der Chor des Gymnasiums Friedberg und iVoises aus Kutzenhaus­en. Die Jugendli chen lernten Lieder, die mit Profis wei ter einstudier­t wurden. Das Abschluss konzert ist am 17. März im Kleinen Goldenen Saal.

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Chöre in der Region leiden unter Nachwuchss­orgen, im Bild der Paul Gerhardt Chor aus Aichach.

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