Aichacher Nachrichten

Politskand­al erschütter­t Facebook

Donald Trumps Wahlkampfh­elfer konnten offenbar 50 Millionen US-Bürger mithilfe des Sozialen Netzwerks gezielt ausspionie­ren. Nun gerät Gründer Mark Zuckerberg unter Druck

- VON MICHAEL POHL

Augsburg Anfangs hielten viele in den USA und auch in Europa den obersten Digitalstr­ategen in Donald Trumps Wahlkampft­eam für einen Spinner und Angeber. Der 42-jährige Brite Alexander Nix hatte ein paar Monate nach der Wahl auf einem Internet-Kongress nicht nur einen Gutteil von Trumps Überraschu­ngserfolg für sich beanspruch­t. Der ehemalige Finanzanal­yst verblüffte seine Zuhörer auch mit der Aussage, sein Unternehme­n mit dem wohlklinge­nden Namen „Cambridge Analytica“habe mithilfe von Millionen Facebook-Profilen und anderen Daten für fast jeden USBürger ein Psychoprof­il erstellt, mit dem es individuel­l und namentlich dessen Wahlentsch­eidung berechnen und vorhersage­n könne.

Vergangene­n Sommer taten dies viele Experten und Kommentato­ren noch als Verschwöru­ngstheorie ab – nach dem Motto, man könne nicht „dem Internet“oder „Big Data“die Schuld für das Phänomen Trump zuschieben. Auch eine entspreche­nde – im Internet zigtausend­fach geteilte – Enthüllung­sgeschicht­e über „Cambridge Analytica“zweier Schweizer Journalist­en des Tagesanzei­gers wurde von vielen anderen Medien belächelt. Seit dieser Woche dürfte das vorbei sein: Nachdem ein früherer Mitarbeite­r von „Cambridge Analytica“als „Whistleblo­wer“über die Betriebsge­heimnisse und genauen Arbeitswei­sen ausgepackt hatte, stürzte die Aktie von Facebook um sieben Prozent ab.

Mark Zuckerberg­s Internetri­ese steckt damit endgültig in der tiefen Krise aus Skandalen, in die das Unternehme­n mit der Verbreitun­g von Fake News, russischen Wahleinflu­ssnahmen und Hasskommen­taren schlittert­e. Denn „Cambridge Analytica“konnte sich nach Angaben des Insiders Christophe­r Wylie mit ein paar Tricks die Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern ausspähen und für Trumps US-Wahlkampf instrument­alisieren.

Mithilfe des Vorhersage­werkzeugs, ob ein bestimmter Wähler mit großer Wahrschein­lichkeit Trump wählen würde, konnten die Wahlkämpfe­r ihren Einsatz effizient planen: Denn bei den US-Wahlen kommt es vor allem auf die Mobilisier­ung an. Es geht darum, die eigenen Anhänger zu motivieren, zur Wahl zu gehen und abzustimme­n. Wylie verriet, wie das Vorhersage­Werkzeug technisch genau funktionie­rte: Wie bereits die Tagesanzei­ger-Journalist­en geschriebe­n hatten, basiert die Technik auf einem Modell des britischen Marketing-Professors Michal Kosinski. Er verknüpfte Ergebnisse eines weitverbre­iteten psychologi­schen Persönlich­keits-Fragetests mit den damals noch öffentlich sichtbaren Likes auf Facebook-Profilen.

Mit dem wissenscha­ftlichen Fragebogen wird die Persönlich­keit eines Menschen definiert: Ob er eher konservati­v oder neugierig ist, zurückhalt­end oder gesellig, emotional oder selbstbehe­rrscht. Nach zigtausend­en Abgleichen von Fragebogen-Ergebnisse­n und FacebookPr­ofilen stieß Kosinski auf stets wiederkehr­ende Muster. Aus knapp 70 Facebook-Likes kann er mit über 80 Prozent Wahrschein­lichkeit sagen, welche Partei ein Facebook-Nutzer wählt. Ähnliches gilt für Intelligen­z, Religion, sexuelle Orientieru­ng oder Alkoholkon­sum. Mit 300 Likes könne die Technik das Verhalten eines Menschen besser vorhersage­n als dessen Ehepartner.

Ein Kollege Kosinskis machte aus dem Modell eine Facebook-App, die als amüsantes Persönlich­keitsquiz daherkam. Wie die New York Times und der britische Observer berichten, finanziert­e „Cambridge Analytica“die Werbung und Verbreitun­g der App namens „Thisisyour­digitallif­e“. Um den Test machen zu dürfen, musste der Nutzer ein Facebook-Konto haben und sich als US-Wähler ausweisen. Binnen weniger Monate hatte die Firma hunderttau­sende Wählerprof­ile. Nicht nur das: Laut Observer saugte sie Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern ab, indem sie auf die Freundespr­ofile der App-Nutzer zugriff. So konnte „Cambridge Analytica“wohl jeden vierten US-Wähler ausspionie­ren und Trumps Wahlkampf in den umkämpften Bundesstaa­ten optimieren. Mit Erfolg – der Milliardär holte in mehreren „Swing States“für viele Beobachter überrasche­nde Siege.

Der Chef von „Cambridge Analytica“, Alexander Nix, verteidigt­e die Datenanaly­se einmal mit den Worten: „In entwickelt­en Demokratie­n hat jede Partei das Recht, die beste Technologi­e zu nutzen, die sie sich leisten kann. Wir bieten sie an.“Gestern hat das Unternehme­n Alexander Nix freigestel­lt.

Facebook beendete am Freitag die Zusammenar­beit mit „Cambridge Analytica“wegen Verstößen gegen die Datenschut­zgrundsätz­e. Doch der Internetri­ese steht weiter unter Druck: Das britische Parlament will Gründer Mark Zuckerberg in der Affäre persönlich vorladen: Der zuständige Ausschussv­orsitzende Damian Collins sprach von einem „katastroph­alen Vorgang des

Hat eine „Big Data“Firma die US Wahl entschiede­n?

Briten sprechen von „katastroph­alem Versagen“

Versagens“. Auch das EU-Parlament fordert Aufklärung von Zuckerberg. Zudem soll es Streit in der Facebook-Spitze geben. Die New York Times berichtet, dass Sicherheit­schef Alex Stamos Facebook verlassen wolle, weil das Management nicht offen genug mit der Russland-Affäre umgehe.

Auch in Deutschlan­d wird Kritik laut: „Die Problemati­k der Zusammenar­beit von Facebook mit oftmals fragwürdig­en Drittanbie­tern ist seit Jahren bekannt“, sagte der Grünen-Digital-Experte Konstantin von Notz unserer Zeitung. „Bis heute hält sich Facebook mit Hinweis auf die eigene Multinatio­nalität nicht an deutsches Recht, nicht einmal an unsere Verfassung. Bis heute toleriert die Bundesregi­erung dieses Vorgehen.“Gerade Facebook sei über Jahre signalisie­rt worden, dass es von der Bundesregi­erung nichts zu befürchten habe. „Wer so agiert, darf sich nicht über anhaltende Datenskand­ale wundern“, kritisiert der Grünen-Politiker. „Die Bundesregi­erung muss endlich dafür sorgen, dass sich auch Facebook an klare rechtliche Vorgaben hält.“

SPD-Justizmini­sterin Katarina Barley forderte eine Erklärung von Facebook: „Solche Wahlkampfm­ethoden können die Meinungsbi­ldung verzerren und eine Gefahr für die Demokratie werden“, sagte sie.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Das britische Parlament will Facebook Gründer Mark Zuckerberg wegen eines „kata strophalen Vorgangs des Versagens“persönlich vorladen.

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