Wenn der Job ins Privatleben schwappt
Beruf Nicht nur Ärzte und Handwerker kennen das: In der Freizeit löchern sie Freunde mit Fragen. Wie Sie eine Grenze ziehen
Berlin Wenn Nora Meyer bei einem Familienfest ist, dauert es nicht lange, bis eine Tante ihr ein Körperteil entgegenstreckt. Könnte sie die Muttermale vielleicht mal kurz genauer unter die Lupe nehmen? Schließlich sei sie ja Ärztin. „Ja“, sagt die 43-Jährige dann, „ich bin aber Kinderärztin.“Dermatologie ist ihr als Fachgebiet so fremd wie einem Automechaniker ein Uhrwerk. Die Tante interessiert das nicht. Arzt ist Arzt.
Das Problem hat Meyer nicht nur mit ihrer Tante. Auch Freunde fragen – genauso im Kindergarten oder der Schule. Als Ärztin ist sie in einem Zwiespalt: Nach dem hippokratischen Eid muss sie in akuten Situationen helfen. „Wenn Husten und Schnupfen schon seit Tagen anhalten, bitte ich die Eltern, in die Praxis zu kommen.“Der Trick: „Ich sage, wir versuchen sie einzuschieben – das besänftigt sie meist.“
Oft müssen sich Experten im Privatleben solcher Kniffe bedienen. Denn die Reaktionen darauf, wenn sie keine Ratschläge für lau geben können oder wollen, sind vielfältig. „Das reicht von beleidigtem Schweigen bis zu empörten Schreiattacken“, sagt Arbeitsrechtler Michael Felser. Er zieht eine klare Li- nie bei Beratungen für Freunde und Verwandte: „Jeder kann sich in der Kanzlei einen Termin geben lassen.“Aber Beratung im Privaten gibt es nur in absoluten Ausnahmefällen. „Alle bekommen die gleiche Leistung von mir, nämlich hundert Prozent“, sagt er. „Und dann bekommen auch alle eine Rechnung.“
Denn Anwälte, Steuerberater oder auch Finanzbeamte haben ein Problem, wenn sie nebenher beraten: die Haftung. „Wenn der Rat falsch, unvollständig oder nicht erschöpfend war, dann kann ein großer Schaden entstehen – und das kann unangenehme Folgen haben“, warnt Felser.
Auch Cordula Nussbaum kennt das Problem. Sie ist Coach und hilft unter anderem Selbstständigen beim Aufbau ihrer Existenz. Immer wieder ist sie mit der Frage konfrontiert, wie viel Umsonst-Beratung im Rahmen ist – in ihrer Freizeit und auch bei Klienten. „Offenbar klingt es für Menschen wie eine Einladung, mir ihr Herz auszuschütten, wenn ich sage, dass ich Coach bin“, erzählt sie. Natürlich unterstützt und fördert sie gern andere Menschen. Das sei schließlich der Schwerpunkt ihrer Arbeit. „Doch man muss auch klare Grenzen setzen, sonst wird man schnell ausgenutzt.“
Schon bei der Coaching-Ausbildung gibt es einen eisernen Grundsatz, den man mit zunehmender Erfahrung immer mehr versteht, sagt Nussbaum: „Coache nie im Freundeskreis!“Der Grund: Ist der Coach kein neutraler Dritter, sondern ein Freund, kann er Teil des Problems sein oder die Entwicklung des Klienten beeinflussen. „Das ist absolut kein professionelles Verhalten.“
Auch wer sich frisch selbstständig macht, muss eine gesunde Balance zwischen Freundschaftsleistungen und klaren Ansagen finden. Wer etwa als Physiotherapeut eine Praxis eröffnet, kann am Anfang eventuell noch praktisches Wissen gebrauchen. Dann ist man froh um Bekannte und Verwandte, die sich zur Verfügung stellen. „Doch irgendwann ist genügend Praxis da“, sagt Nussbaum. Und dann müsse man klar kommunizieren, dass man fortan Rechnungen verschickt.
Allerdings haben viele Studien ergeben, dass gerade Selbstständige und Angestellte in Helferberufen sich leichter ausnutzen lassen als andere. Daher sei es gerade für diese Menschen wichtig, die eigenen Bedürfnisse nicht nur wahr-, sondern auch ernst zu nehmen. „Das ist ein Lernprozess“, so Nussbaum. Und es falle leichter, „Nein“zu sagen, je länger man im Beruf ist. „Man wird abgeklärter und selbstbewusster.“
Auch Anwalt Felser rät, lieber mal unfreundlich zu sein und die Freundschaftsdienste einzuschränken. „Nach ein paar Wochen ist auch das Beleidigtsein des Gegenübers normalerweise vorbei.“
Am leichtesten sei es daher, private Anfragen konsequent abzulehnen. Und auf den Bauch sollte man noch hören, rät Nussbaum. „Man merkt schnell, wenn es über einen Freundschaftsdienst hinausgeht.“