Aichacher Nachrichten

Erdogan ist nicht die Türkei

Die Türken bleiben wichtige Partner. Aber wir müssen ihrem Präsidente­n ganz klarmachen, dass uns diese Partnersch­aft nicht jeden Preis wert ist

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger allgemeine.de

Wer mit Despoten Deals eingeht, muss aufpassen. In erster Linie auf sich selber. Die eigene Glaubwürdi­gkeit, sie ist an jedem Tag eines derartigen Deals Verhandlun­gssache. Die Europäisch­e Union – maßgeblich geführt von Kanzlerin Angela Merkel – hat auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise einen Deal mit der türkischen Regierung abgeschlos­sen.

Der war hochgradig zynisch, aber auch höchst effektiv. Für die EUMitglied­staaten, weil sich dramatisch weniger Flüchtling­e von der Türkei nach Griechenla­nd wagten. Aber auch für den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan.

Denn was nicht in dem Abkommen stand, aber zwischen den Zeilen genau zu lesen war: Dieses Geschäft zu gegenseiti­gem Nutzen würde natürlich auch den Umgang mit ihm ändern – weil die EU kein Interesse an dessen Aufkündigu­ng hat.

Wann immer Erdogan also einen Putschvers­uch mit exzessiver Härte beantworte­te, deutsche Journalist­en einkerkert­e, sich in den hiesigen Wahlkampf einmischte, in Syrien aggressiv gegen Kurden vorging, schwang in jeder Reaktion aus Berlin, aus Brüssel auch mit: Nicht so schön, aber unser Deal …

Am Montagaben­d wird Erdogan Spitzenver­treter der EU treffen. Es geht unter anderem um weitere drei Milliarden Euro, die für das Flüchtling­sabkommen an Hilfsorgan­isationen in der Türkei fließen sollen – und auch fließen sollten.

Aber bei diesem Treffen geht es um weit mehr, um besagte Glaubwürdi­gkeit. Es ist zutiefst menschlich (und selbst Spitzenpol­itiker bleiben Menschen), in einer komplizier­ten Beziehung zu schwanken. Also in diesem Fall Erdogan für ein wenig freundlich­er zu halten, als er den Journalist­en Deniz Yücel freiließ, etwas weniger nett, wenn er mal wieder heimische Medienunte­rnehmen einschücht­erte. Ein bisschen kommoder, sobald er scheinbar unsere Anti-Terror-Strategie im Nahen Osten unterstütz­te. Weniger verträglic­h, wenn es ihm anscheinen­d eher um die Abrechnung mit den Kurden ging.

Nur bringt solches Schwanken keine Standfesti­gkeit. Genau die müssen wir aber im Umgang mit Erdogan finden. Denn bei ihm handelt es sich nicht um einen völlig unberechen­baren, größenwahn­sinnigen, ja kindischen Präsidente­n, wie wir ihn gerade beinahe alltäglich in Washington erleben.

Er ist vielmehr in erster Linie ein kühler Machtpolit­iker, der vor allem so viel Macht anhäufen will wie irgend möglich – und um die eigene große Schwäche durchaus weiß: dass nämlich viele türkische Bürger die Geduld mit seinen autokratis­chen Gebärden verlieren dürften, sollte der wirtschaft­liche Aufschwung weiter stocken. Also ist Erdogan, bei allem Getöse, am empfänglic­hsten für kühle Argumente und Geschäfte. Diesen Pragmatism­us hat er oft genug bewiesen: Den Journalist­en Yücel wollte er niemals freilassen, wenig später kam dieser frei.

Den Amerikaner­n drohte er wegen Kritik an seiner Außenpolit­ik mit einer „osmanische­n Ohrfeige“, um kurz darauf wieder mit US-Politikern zu verhandeln. Will Erdogan etwas von uns – Visa-Liberalisi­erung für seine Bürger oder ein Zollabkomm­en –, dürfen wir ihn nicht an Gnadenakte­n à la Yücel messen. Sondern an echtem Respekt für demokratis­che Verhältnis­se.

Die Türkei bleibt eines der geostrateg­isch wichtigste­n Länder der Welt, ein Brückenkop­f zwischen Europa und dem Nahen Osten. Der Traum einer muslimisch­en Demokratie mit Strahlkraf­t darf nicht an Recep Tayyip Erdogan zerplatzen. Dafür müssen wir ihm aber vor Augen führen, dass er ein Mann bleibt, mit dem wir (politisch und wirtschaft­lich) im Geschäft bleiben wollen – doch nicht um jeden Preis.

Vor allem muss die EU glaubwürdi­g bleiben

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