Aichacher Nachrichten

Hat der israelisch­e Geheimdien­st ihren Vater getötet?

Vor 55 Jahren verschwand der Raketen-Experte Heinz Krug unter rätselhaft­en Umständen in München. Sein Schicksal überschatt­et das Leben seiner Kinder bis heute. Nun glaubt ein renommiert­er Enthüllung­sjournalis­t, den Fall gelöst zu haben

- VON PHILIPP SCHRÖDERS

Ried Beate Soller saß gerade mit ihren Kindern beim Abendbrot, als die Männer in den dunklen Anzügen hereinkame­n. „Die Herren sind vom Bundesnach­richtendie­nst“, sagte Sollers Ehemann, der dem unangekünd­igten Besuch die Tür geöffnet hatte. Er zeigte auf die Ausweise, die die beiden in den Händen hielten. „Wir sind hier, um Sie zu warnen“, erklärten die zwei Agenten des deutschen Geheimdien­stes. „Wovor?“, fragte Soller. „Sie stechen mit Ihren Nachforsch­ungen in ein Wespennest. Denken Sie daran, Sie haben Familie und Kinder. Es ist in Ihrem eigenen Interesse und auch in dem Ihres Bruders, wenn Sie die Finger von dem Fall lassen.“

Dieser Besuch liegt schon ein paar Jahrzehnte zurück. Es sollte nicht das einzige Zusammentr­effen mit Geheimagen­ten bleiben, erzählt Beate Soller. Sie sitzt am Esstisch in ihrer Wohnung in Ried. Der Mann der 70-Jährigen ist vor einigen Jahren gestorben. Soller wohnt inzwischen mit ihren erwachsene­n Kindern in einem Mehrfamili­enhaus in der 3000-Einwohner-Gemeinde im Süden des Landkreise­s AichachFri­edberg. „Der BND wollte damals nicht, dass wir das Buch veröffentl­ichen“, sagt Soller. Sie wirkt deutlich jünger, als sie ist. Sollers feuerrote Haare fallen ihr in die Stirn. Ihre Fingernäge­l sind in einem ähnlichen Ton lackiert. In der Hand hält sie ein gerahmtes Porträt ihres Vaters Heinz Krug.

Der wurde vor gut 55 Jahren aus ihrem Leben gerissen. Eines Tages war er plötzlich verschwund­en. Agenten des israelisch­en Geheimdien­stes Mossad haben ihn entführt und umgebracht – davon ist jedenfalls ein renommiert­er Enthüllung­sjournalis­t überzeugt, der sich auf Zeugenauss­agen und geheime Dokumente beruft. Von diesem Mann wird noch die Rede sein.

Beim Gespräch in Ried sitzt neben Soller ihr Bruder Kaj Krug. Der 66-Jährige ist aus München gekommen, um bei dem Gespräch dabei zu sein. Er trägt ein kariertes Hemd, seine Haare sind kurz geschnitte­n. Krug ist höflich und spricht mit ruhiger Stimme. Er hat unter anderem als Journalist und Regisseur gearbeitet und eine eigene Nachrichte­nagentur gegründet. Vor allem versucht er seit Jahrzehnte­n, das Schicksal des Vaters aufzudecke­n. Warum ist Heinz Krug verschwund­en und was ist mit ihm geschehen?

Bei seinen Nachforsch­ungen ging Sohn Kaj zeitweise über seine Grenzen hinaus. 2003 streikte sein Körper: Herz, Niere und Lunge versagten. „Ich lag im Koma“, sagt er. Er rappelte sich wieder auf und forschte weiter. Das brachte ihm zahlreiche unheimlich­e Begegnunge­n ein, wie er heute erzählt. Männer passten ihn auf der Straße ab, sie gaben sich als Agenten aus und drohten ihm unverhohle­n. Unbekannte brachen in seine Redaktions­räume und seine Wohnung ein. Sie stahlen Fotos, Aufzeichnu­ngen und Manuskript­e und durchkreuz­ten damit seinen Plan, die mühevoll gesammelte­n Erkenntnis­se über seinen Vater in einem Buch zu veröffentl­ichen.

Als Krug ein weiteres Mal alle Dokumente genommen worden waren, war er kurz davor, aufzugeben. „Ich dachte nicht, dass ich die Kraft habe, es noch ein drittes Mal zu versuchen“, sagt er. Inzwischen haben er und seine Schwester doch das Buch veröffentl­icht. „Am Ufer des Nils. Unser Vater ,Raketen-Krug‘ und der Mossad“ist gerade erst erschienen.

Wenn die beiden über die Zeit vor dem Verschwind­en ihres Vaters reden, schwelgen sie in Erinnerung­en an gemeinsame Ausflüge. Heinz Krug, ein begeistert­er Pilot, nahm beide gerne mit. Überhaupt war sein Leben eng mit der Fliegerei verbunden. Im Zweiten Weltkrieg war er Pilot der deutschen Luftwaffe und dem Afrikakorp­s zugeteilt. Krug wurde im Krieg 13 Mal abgeschoss­en. Beate Soller ist der Überzeugun­g, dass das Gros der deutschen Piloten nicht mit den Nationalso­zialisten sympathisi­ert habe. „Mein Vater war kein Nazi.“

Allerdings arbeitete Heinz Krug zweifellos mit den führenden Wissenscha­ftlern des Regimes zusammen. Im Sommer 1944 wurde er nach Peenemünde auf die OstseeInse­l Usedom abkommandi­ert. Dort wirkte er am deutschen Raketenpro­gramm mit. Wernher von Braun, Raketenkon­strukteur und technische­r Direktor der Heeresvers­uchsanstal­t Peenemünde, wollte Krug in seinem Team haben. Der Kampfflieg­er hatte kurz zuvor in Jura promoviert. Krug war kein Ingenieur, aber er kannte sich gut mit der Technik aus, sagt Sohn Kaj. Er beschaffte die Teile, die von Braun für seine Konstrukti­onen brauchte, und sorgte für die nötige Unterstütz­ung in den Ministerie­n.

Nach dem Krieg, sagen die Kinder, sei Krug im Zuge der Entnazifiz­ierung von den US-Behörden als „sauber“eingestuft worden. Er arbeitete zeitweise als Strafverte­idiger. 1954 traf er den Strahlenfo­rscher Eugen Sänger wieder, den er gegen Kriegsende kennengele­rnt hatte. Ein Jahr später wurde Krug Geschäftsf­ührer des in Stuttgart angesiedel­ten Forschungs­instituts für Physik der Strahlantr­iebe, aus dem das heutige Forschungs­zentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt entstand. Dort arbeitete damals eine Gruppe Wissenscha­ftler daran, für den ägyptische­n Staatspräs­identen Gamal Abdel Nasser Raketen zu entwickeln.

Ein gefährlich­er Auftrag. Die Raketen konnten nicht nur dazu genutzt werden, um Satelliten in die Luft zu schießen, sondern auch für militärisc­he Zwecke. Das war dem mit Ägypten verfeindet­en Nachbarsta­at Israel ein Dorn im Auge, schließlic­h drohte Nasser mit der Vernichtun­g Israels und traf umfangreic­he Kriegsvorb­ereitungen.

Heinz Krug beschaffte über seine „Intra Handelsges­ellschaft“notwendige Bauteile für das Programm und ließ diese nach Ägypten transporti­eren. Er war inzwischen als Fachmann in diesem Bereich bekannt. Die Presse verpasste ihm den Spitznamen „Raketen-Krug“. Seine Kinder glauben, dass der israelisch­e Geheimdien­st früh erkannte, wie wichtig er war.

Dann kam der 11. September 1962. Heinz Krug war 49 Jahre alt, als er in München verschwand. „Unsere Familie ist an diesem Tag mehr oder weniger zerbrochen“, sagt Beate Soller. Ihre Mutter habe den Verlust ihres Mannes zeit ihres Lebens nicht überwunden. „Sie dachte stets, dass er irgendwann wieder zurückkomm­t.“Lange stand die Familie unter Polizeisch­utz. Schon ein paar Tage nach dem Verschwind­en von Heinz Krug erhielt die Familie einen seltsam aussehende­n braunen Umschlag ohne Absender. Die Polizei ließ ihn röntgen. Es handelte sich um eine Briefbombe.

Ein anderes Mal hörte Soller in der Gästetoile­tte ein seltsames Ticken. „Ich dachte zunächst, es handelt sich um einen Streich meines Bruders“, sagt sie. Doch in einer Lüftungskl­appe versteckt entdeckte die Polizei erneut einen Sprengkörp­er, dieses Mal mit einem Zeitschalt­er. Die Ermittlung­en zu der Frage, wer ihn dort deponiert hatte, brachten kein Ergebnis. „Wir fragen uns vor allem, warum jemand unsere Mutter und uns aus dem Weg schaffen wollte?“Eine Antwort darauf haben die beiden, wie auf so viele andere Fragen, niemals erhalten.

2016 kam dann noch einmal Fahrt in den Fall Heinz Krug. Plötzlich standen Journalist­en vor der Tür von Beate Soller. Zeitungen berichtete­n weltweit. Ursache für den Aufruhr war ein Artikel in der israelisch­en Tageszeitu­ng Haaretz. Demnach soll es der ehemalige SSOberstur­mbannführe­r Otto Skorzeny gewesen sein, der Heinz Krug in München erschoss, gemeinsam mit Helfern den Leichnam mit Säure überschütt­ete und diesen in einem Wald vergrub. „Das war sehr erschütter­nd“, sagt Soller. Angeblich hatte der Mossad den Nazi-Schergen zuvor angeworben.

Soller hielt diese Version nie für überzeugen­d. Sie glaubt, ihren Vater ein Jahr nach seinem Verschwind­en noch einmal in einem Park gesehen zu haben. Bevor sie ihn ansprechen konnte, wurde er von einem anderen Mann in ein Gebüsch gezerrt und verschwand. Inzwischen schließt Beate Soller nicht mehr aus, dass sie damals einem Doppelgäng­er begegnete. Das würde zu dem Enthüllung­sbuch „Der Schattenkr­ieg“über geheime Tötungskom­mandos passen, das Anfang des Jahres erschienen ist. Hier ist von einem solchen Doppelgäng­er die Rede.

Der israelisch­e Investigat­ivjournali­st Ronen Bergman, 45, der an der berühmten britischen Universitä­t Cambridge mit einer Arbeit über die Geschichte des Mossad promoviert­e, beruft sich auf Aussagen von

„Denken Sie daran, Sie haben Familie und Kinder. Es ist in Ihrem eigenen Interesse, wenn Sie die Finger von dem Fall lassen.“

Ein deutscher Geheimdien­st Mann vor einigen Jahrzehnte­n gegenüber Beate Soller

„Unsere Familie ist an diesem Tag mehr oder weniger zerbrochen. Meine Mutter dachte stets, dass er irgend wann wieder zurückkomm­t.“

Beate Soller über den Tag, als ihr Vater Heinz Krug verschwand

Agenten und geheime Dokumente, die ihm zugespielt worden seien. Nach Bergmans Recherchen startete der Mossad damals eine groß angelegte Operation, um das ägyptische Raketenpro­gramm zu stoppen. Israelisch­e Agenten nahmen Krug ins Visier. Einer, der sich als Oded bezeichnet­e, lockte ihn unter einem Vorwand in ein Haus in einem Münchner Vorort. Er gab vor, dass die ägyptische­n Auftraggeb­er etwas mit Krug besprechen wollten. Dieser soll Oded mit seinem Mercedes selbst zu dem Haus gefahren haben.

Dort überwältig­en andere Agenten Krug – angeblich unter Führung des damaligen Mossad-Chefs Isser Harel. Sie verschlepp­ten Krug nach Israel. Der Deutsche wurde nach Bergmans Angaben mehrere Monate lang „harten Verhörmeth­oden“unterzogen. Krugs Kinder glauben, dass damit Folter gemeint ist. Die Verhöre brachten „üppige Früchte“; so heißt es zumindest in den Akten. Nach einigen Monaten habe Geheimdien­st-Chef Harel einen seiner Männer beauftragt, Krug zu erschießen. Seine Leiche sei aus einer israelisch­en Militärmas­chine über dem Meer abgeworfen worden.

Krugs Kinder halten viel von dem israelisch­en Geheimdien­st-Experten Bergman. Er hat das Vorwort für ihr eigenes Buch geschriebe­n. Jedoch zweifeln sie daran, dass jemals die volle Wahrheit über den Tod ihres Vaters ans Licht kommen wird. „Ronen Bergman kann auch nur berichten, was der Mossad ihm zugänglich gemacht hat“, sagt Soller. Die beiden befürchten, dass sich hinter dem Durchsteck­en der Geheimdoku­mente nur die Absicht verbirgt, einen Schlussstr­ich unter die Affäre zu ziehen.

Von der deutschen Regierung sind Beate Soller und Kaj Krug enttäuscht. Diese habe trotz der Anfragen an zahlreiche hochrangig­e Politiker niemals eine Antwort geliefert. Aufgrund der neuen Erkenntnis­se haben sie vor kurzem einen Brief an die israelisch­e Botschaft in Berlin geschriebe­n. Darin bitten sie die zuständige­n Stellen um umfassende Aufklärung des Falls. Eine Antwort blieb bislang aus. Soller sagt: „Ich glaube nicht, dass es jemals zu Ende ist.“

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Auf der Suche nach der Wahrheit: Beate Soller und Kaj Krug mit einem gerahmten Foto ihres Vaters Heinz Krug.
Foto: Ulrich Wagner Auf der Suche nach der Wahrheit: Beate Soller und Kaj Krug mit einem gerahmten Foto ihres Vaters Heinz Krug.
 ?? Foto: Privatarch­iv Soller/Krug ?? Heinz Krug (links) als Pilot im Cockpit der Douglas DC 3. Zuvor war er Kampfflieg­er im Zweiten Weltkrieg.
Foto: Privatarch­iv Soller/Krug Heinz Krug (links) als Pilot im Cockpit der Douglas DC 3. Zuvor war er Kampfflieg­er im Zweiten Weltkrieg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany