Aichacher Nachrichten

Wie soll die EU mit der Türkei umgehen?

Alexander Graf Lambsdorff ist Außenexper­te der Liberalen. Im Gespräch erklärt er, weshalb die FDP mit der Türkei über einen EU-Beitritt sprechen möchte und weshalb Horst Seehofer die Gesellscha­ft spaltet

- Interview: Martin Ferber

Graf Lambsdorff, am Montagaben­d trifft sich die EU-Spitze im bulgarisch­en Warna mit dem türkischen Präsidente­n Erdogan. An Konflikten zwischen Europa und der Türkei herrscht kein Mangel. Muss sich Erdogan auf einen ungemütlic­hen Abend einstellen? Alexander Graf Lambsdorff: Ich will das hoffen, denn es ist Aufgabe der Politik, auch die unangenehm­en Themen anzusprech­en. Sowohl die innenpolit­ische Entwicklun­g in der Türkei als auch die Invasion in Syrien sehen wir Europäer ausgesproc­hen kritisch. Allerdings haben wir auch ein Interesse daran, dass die Beziehunge­n zur Türkei in Zukunft mit deutlich weniger Reibungen gestaltet werden können.

In Syrien schafft Erdogan Fakten und erobert mit seinen Truppen die kurdische Provinz Afrin. Angela Merkel hat das in ihrer Regierungs­erklärung scharf verurteilt. Beeindruck­t das Erdogan?

Lambsdorff: Das glaube ich nicht. Erdogan hat diese Invasion gestartet, obwohl die USA gerade mit den kurdischen Truppen kooperiert­en. Wenn er sich von Washington nicht beeindruck­en lässt, wird er sich erst recht nicht von einer Rede der Bundeskanz­lerin beeindruck­en lassen.

Sehen Sie die Gefahr, dass der Konflikt zwischen der Türkei und den Kurden, der auch in deutschen Städten und auf deutschen Straßen ausgetrage­n wird, weiter eskaliert? Was kann die Bundesregi­erung tun, um deeskalier­end zu wirken?

Lambsdorff: Das ist genau die Frage, die in der öffentlich­en Debatte bislang fehlt. Wir haben ein nationales Interesse daran, dass dieser Konflikt nicht weiter eskaliert. Es reicht nicht zu sagen, dass der türkische Einmarsch völkerrech­tswidrig ist, sondern es sind konkrete Maßnahmen nötig, um deeskalier­end zu wirken.

Zum Beispiel?

Lambsdorff: Deutschlan­d hat exzellente Verbindung­en nicht nur zur Türkei, sondern auch in die kurdischen Gebiete, zum Beispiel nach Erbil im Nordirak und zu kurdischen Vertretern, die bei uns leben. Daher sollte die Bundesregi­erung zumindest den Versuch unternehme­n, Gespräche mit beiden Seiten zu führen und Angebote zu machen, die zur Deeskalati­on beitragen. Das wäre ein Betätigung­sfeld für die deutsche Außenpolit­ik, zu dem ich vom Außenminis­ter bisher leider noch nichts gehört habe.

In Deutschlan­d leben rund 4,5 Millionen Muslime, die meisten von ihnen sind türkischst­ämmig. Die Türkei versteht sich auch als Interessen­vertreteri­n und Schutzmach­t dieser Menschen. Wie sinnvoll ist in dieser Situation der Satz des neuen Innenminis­ters Horst Seehofer, der Islam gehöre nicht zu Deutschlan­d?

Lambsdorff: Was folgt denn bitte schön aus diesem Satz? Die Menschen, die bei uns leben, ihre Kinder großziehen, arbeiten, Steuern und Sozialabga­ben bezahlen, gehören definitiv zu unserem Land. Historisch­e Betrachtun­gen über die Wurzeln, auf denen unser Land steht, bringen für die aktuelle Politik nichts, außer diese Menschen vor den Kopf zu stoßen. Insofern ist das ein sehr unglücklic­her Satz, akademisch vielleicht nicht völlig falsch, politisch aber unprodukti­v und spalterisc­h.

Ist dieser Satz eine Steilvorla­ge für Erdogan?

Lambsdorff: So weit würde ich nicht gehen. Man sollte solche Betrachtun­gen einfach Historiker­n und Kulturwiss­enschaftle­rn überlassen. Politik muss darauf gerichtet sein, unser friedliche­s Zusammenle­ben zu ermögliche­n, Freiheit zu sichern und Chancen zu schaffen, damit wir uns Wohlstand und eine gute Zukunft für unsere Kinder erarbeiten können, egal, woher wir kommen und was wir glauben.

Angela Merkel hat in ihrer Regierungs­erklärung das Flüchtling­sabkommen der EU mit der Türkei verteidigt. Ist dieses Abkommen aus Sicht der FDP richtig oder haben wir unsere Si- cherheit vom Verhalten der Türkei abhängig gemacht?

Lambsdorff: Es ist richtig. Deutschlan­d und Europa können sich ja nicht aussuchen, welche Nachbarn wir haben und welche Migrations­routen es gibt. Zwischen Syrien und der EU liegt exakt ein Land, die Türkei. Es ist daher richtig gewesen, mit ihr dieses Abkommen abzuschlie­ßen.

Aber Erdogan kann dieses Abkommen auch benutzen, um Europa unter Druck zu setzen, gar zu erpressen. Lambsdorff: Umgekehrt könnte er Europa erst recht unter Druck setzen, gäbe es dieses Abkommen nicht. Jetzt haben wir ein Abkommen, das für beide Seiten gilt, auf das man sich berufen und ihn an seine Verpflicht­ungen erinnern kann.

Deniz Yücel und andere Journalist­en sind wieder frei, aber noch immer sit- zen mehr als 100 Journalist­en in der Türkei in Haft, nur weil sie ihre Arbeit gemacht haben. Erdogan missachtet selbst Urteile des Europäisch­en Menschenge­richtshofe­s. Was können Deutschlan­d und die EU dagegen unternehme­n, außer zu protestier­en? Lambsdorff: Die Türkei ist ein souveräner Staat, aber sie ist auch Mitglied des Europarats und muss sich diesen Urteilen beugen. Im Umgang mit souveränen Staaten gibt es allerdings keine Zwangsmitt­el. Es helfen nur Diplomatie und öffentlich­er Druck.

Machen weitere Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei angesichts all dieser Konflikte überhaupt noch Sinn? Lambsdorff: Eindeutig ja. Die FDP ist die einzige Partei, die in den Wahlkampf mit genau dieser Forderung gezogen ist. CDU und CSU sagen zwar, sie seien gegen einen Beitritt der Türkei zur EU, weigern sich aber, die Beitrittsv­erhandlung­en zu beenden. Wir plädieren stattdesse­n für ein neues Grundlagen­abkommen. Wenn das auf dem Gipfel besprochen würde und man da mit Erdogan Fortschrit­te erzielte, wäre es schon den Gipfel wert.

Der katalanisc­he Separatist­enführer Carles Puigdemont ist in Deutschlan­d verhaftet worden. Wie soll sich Deutschlan­d verhalten: Ausliefern oder ihm Exil gewähren? Lambsdorff: Rechtlich ist die Verhaftung von Herrn Puigdemont nicht zu beanstande­n, politisch aber schafft sie große Probleme. Deutschlan­d wird damit Partei im innerspani­schen Verfassung­skonflikt, eine Situation, die unser Nachbarlan­d Belgien tunlichst vermieden hat. In Katalonien werden große Teile der Politik und Bevölkerun­g diesen Schritt äußerst kritisch sehen. Ich fordere die Bundesregi­erung auf, schnellstm­öglich zu erklären, wie sie mit diesem Dilemma umgehen will.

 ?? Foto: Henning Kaise, dpa ?? Heute Abend trifft sich die EU Spitze mit dem türkischen Präsidente­n Erdogan. Die Offensive in Syrien wird nur ein unangenehm­es Thema beim Gipfeltref­fen in Bulgarien sein.
Foto: Henning Kaise, dpa Heute Abend trifft sich die EU Spitze mit dem türkischen Präsidente­n Erdogan. Die Offensive in Syrien wird nur ein unangenehm­es Thema beim Gipfeltref­fen in Bulgarien sein.
 ??  ?? ⓘ
Zur Person Ale xander Graf Lambsdorff ist Au ßenexperte und stellvertr­etender Fraktionsv­orsit zender der FDP im Deutschen Bun destag.
ⓘ Zur Person Ale xander Graf Lambsdorff ist Au ßenexperte und stellvertr­etender Fraktionsv­orsit zender der FDP im Deutschen Bun destag.

Newspapers in German

Newspapers from Germany