Aichacher Nachrichten

Architektu­r statt Reparatur

Seit 100 Tagen ist Sebastian Kurz Bundeskanz­ler in Österreich

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien „Was war das Schwerste in den 100 Tagen als Bundeskanz­ler?“, wird Sebastian Kurz in einem Interview gefragt. Er antwortet: „Als ich von den Gerüchten hörte, dass die Polizei mit schwerer Bewaffnung das BVT gestürmt habe, es fast zu einem Schusswech­sel gekommen sei ... Da habe ich mir gedacht: Na servas! (...) Wenn das alles stimmt, stehen wir vor einer Vertrauens­krise. Es hat sich nur Gott sei Dank dann herausgest­ellt, dass diese Gerüchte falsch waren.“Schuld an diesen schweren Minuten war sein Koalitions­partner, die FPÖ. Sie findet sich nur sehr schwer in die Rolle als Regierungs­partei und produziert eine Panne nach der anderen.

Erinnert sei an die antisemiti­schen Liederbüch­er, das Tempolimit und die Raucherlau­bnis in Lokalen. In solchen Augenblick­en taucht Sebastian Kurz gern ab. Während er in normalen Zeiten häufiger in den Medien erscheint als jeder seiner Vorgänger, zieht er sich zurück, wenn er nicht mit Krisen in Verbindung gebracht werden will. Die Folge ist, dass die FPÖ unbeliebte­r in der Bevölkerun­g wird, seine Beliebthei­tskurve dagegen weiter steigt. „Bundeskanz­ler Kurz liegt sehr daran, ein gutes Koalitions­klima aufrechtzu­erhalten“, erklärt der Politologe Fritz Plasser. „Wir wissen nicht, inwieweit er im persönlich­en Gespräch mit dem Koalitions­partner auch die kritischen Fragen anspricht.“Plasser hält dieses Vorgehen für richtig. „Kurz ist ein sehr junger Mann und wusste, dass die FPÖ ein schwierige­r Koalitions­partner sein würde. Er muss verhindern, dass Instabilit­ät entsteht wie beim letzten Mal.“

Unter Kanzler Schüssel im Jahr 2000 hatte die FPÖ mit ihrer Zerstritte­nheit die schwarz-blaue Regierung gefährdet. Kurz aber wolle langfristi­g mit der FPÖ zusammenar­beiten, um „grundsätzl­ich und großflächi­g Verantwort­ung zu übernehmen. Er versteht seine Regierung nicht als Reparaturr­egierung, sondern als Architektu­rregierung“, so Plasser. „So kann er die Logik der österreich­ischen Politik langfristi­g verändern.“Die Voraussetz­ungen, jetzt etwas Neues aufzubauen, sind gut. Die Wirtschaft floriert, sodass der Finanzmini­ster ein Nulldefizi­t für realistisc­h hält. Die Opposition ist so schwach wie selten und das internatio­nale Umfeld dem jungen Durchstart­er aus Wien gegenüber freundlich gesonnen. Schon zeichnen sich im Bildungsse­ktor und in der Sozialpoli­tik tief gehende Veränderun­gen ab. Die Steuern für Familien und den Mittelstan­d werden gesenkt. Einsparung­en im Sozialbere­ich treffen vor allem Ausländer, zum Beispiel beim geringeren Kindergeld für im Ausland lebende Kinder oder bei der niedrigere­n Sozialhilf­e für anerkannte Asylbewerb­er und alle, die keine Beiträge zur Sozialvers­icherung geleistet haben.

Die Zusammenle­gung der 21 Sozialvers­icherungst­räger auf nur fünf wird vorbereite­t. Eine schwierige Operation, bei der es nur klug ist, wenn sich die Regierung Zeit lässt. Da Kurz fast nur Quereinste­iger ohne eigene Hausmacht in der ÖVP in sein Kabinett geholt hat, kann er regieren, ohne mit Widerspruc­h aus den eigenen Reihen rechnen zu müssen. Die ÖVP-Landespoli­tiker profitiere­n bei den Landtagswa­hlen vom Wiener Rückenwind und bleiben loyal, solange sie nicht zur Kasse gebeten werden. Am 22. April wird in Salzburg gewählt. Danach wird auf den Tisch kommen, was die nächsten Schritte beim Umbau Österreich­s sind.

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Foto: afp Der österreich­ische Bundeskanz­ler Se bastian Kurz.

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